Die wärmende Sonne im Rücken zu haben ist eines der besten Gefühle der Welt. Ausgerechnet in China, wo man sich sonst mit allen denkbaren Mitteln vor der Sonne schützt, ist das gerade der Sommertrend des Jahres

In einem Park im ostchine­sischen Huaibei hofft man auf die heilsame Wirkung des Rückensonnens Foto: afp

Zu den schönsten Wörtern und Begriffen zählen oft jene, für die es in anderen Sprachen keine exakte Entsprechung gibt. Das deutsche Fernweh zum Beispiel, oder das japanische komorebi, das etwa so viel heißt wie „Lichtstrahlen, die durch die Blätter eines Baumes fallen“. Oder das chinesische Wort shài.

Das Schriftzeichen für shài setzt sich zusammen aus einer kleinen Sonne, die dem Zeichen für Westen vorangestellt ist, und es ließe sich wohl relativ simpel mit „Sonnenbaden“ übersetzen. Allerdings badet man in China äußerst selten in der Sonne, es sei denn, man ist Rent­ne­r*in mit Knochen- und Gelenkbeschwerden. Stattdessen schaukeln, sobald der Himmel ein paar wolkenlose Stunden verspricht, vielerorts Daunendecken und gesteppte Überwürfe auf Wäscheleinen und Bambusstangen. Das Sonnenbad sorgt dafür, dass die Bettwäsche am Abend wunderlich frisch duftet – selbst dann, wenn es auf irgendeinem Parkplatz in irgendeiner Millionenstadt stattgefunden hat.

Die eigenen Körper hingegen schützen die meisten Chi­ne­s*in­nen lieber vor UV-Strahlung. Insbesondere unter Frauen geht der Hype um die möglichst makellose schneeweiße Haut so weit, dass beim Strandurlaub riesige Hüte, oder gleich facekinis, also gewissermaßen Badesturmhauben, getragen werden. Mindestens aber hat man im Sommer zum Schutz vor der Sonne einen Schirm dabei.

Umso bemerkenswerter, dass derzeit der Trend zum Rückensonnen die Runde macht. Auf der Social-Media-Plattform xiaohongshu (wörtlich: kleines rotes Buch) erklären User*innen, warum es laut Traditioneller Chinesischer Medizin (TCM) gut sei, den nackten Rücken morgens oder nachmittags für 10 bis 30 Minuten in die Sonne zu halten. Alte Menschen berichten von Schmerzlinderung, andere sagen, sie schliefen besser oder fühlten sich einfach gut gelaunt. Auch Mediziner und TCM-Ex­per­t*in­nen argumentieren, dass sich die Praxis positiv auf die Gesundheit auswirken und unter anderem die Zirkulation des Qi, also der Lebensenergie, fördern soll. Aus schulmedizinischer Sicht ist das Ganze zumindest unbedenklich, solange man sich eincremt, extreme Hitze meidet und nicht länger in der Sonne bleibt.

Hunderte Millionen hochgeladener Fotos zeigen mittlerweile Menschen, die an allen möglichen Orten stehend, sitzend oder liegend mit hochgekrempelten Oberteilen ihre nackten Rücken der Sonne entgegenstrecken. shài bèi heißt das und wird zufälligerweise genau so ausgesprochen, wie das Sonnen der Bettdecken.

Lin Hierse