das portrait
: Lennard Kämnawill zurück an die Radsport-Weltspitze

Hat weiter Spaß daran, Rad zu fahren: Lennard Kämna bei einer Team-Präsentation in PalmaFoto: Clara Margais/dpa

Wenn dieses Jahr so gelaufen wäre, wie es Lennard Kämna geplant hatte, dann hätte er jetzt gerade seine ersten olympischen Spiele hinter sich. Vorher hätte der Profi-Radrennfahrer aus Fischerhude bei Bremen seine jeweils dritten Teilnahmen beim Giro D’Italia und bei der Tour de France absolviert.

Alles änderte sich bei der Giro-Vorbereitung auf Teneriffa Anfang April: Auf einer Abfahrt nahm ihm bei hoher Geschwindigkeit ein Auto die Vorfahrt, Kämna fand sich schwer verletzt auf der Intensivstation wieder. Diagnose: Thoraxtrauma, Lungenprellung, Rippenbrüche. Nach einem vierwöchigen Krankenhausaufenthalt und anschließender Reha setzte er sich 63 Tage nach dem Unfall erstmals wieder aufs Rad. Anfang Juli fing er dann wieder an richtig zu trainieren.

Es war nur das erste einer Reihe schwerer Unglücke, die den Radrennrennsport in dieser Saison erschütterten: Zwei Tage nach Kämnas Unfall kam es zu einem Massensturz bei der Baskenland-Rundfahrt, bei dem sich unter anderem die Weltklasse-Fahrer Jonas Vingegaard aus Dänemark und Remco Evenepoel schwer verletzten. Im Juli verunglückte der norwegische Radprofi Andrè Drege bei der Österreich-Rundfahrt tödlich.

Unfall legt massive Sicherheitsprobleme im Radsport offen

Nicht erst seit diesen Unfällen ist das massive Sicherheitsproblem im Profiradrennsport offensichtlich. Die Fahrer und das Material werden immer schneller, der Leistungsdruck höher, die Straßen bleiben aber weitgehend die gleichen. Die Fahrer rasen die Berge mit bis zu 130 Stundenkilometer auf 25 bis 32 Millimeter breiten Reifen hinunter. „Wir haben eine sehr große Dichte guter Rennfahrer“, sagte Kämna dem Bremer Weser-Kurier. „Wir haben aber immer noch die gleichen Straßen wie vor 50, 60 Jahren. Und es ist immer noch nur ein Helm, der uns schützt – und ganz, ganz dünne Klamotten.“

Kämna, der in Wedel im Kreis Pinneberg geboren wurde, gilt spätestens seit seinem Etappensieg bei der Tour de France 2020 als größtes Talent im deutschen Radrennsport seit Jan Ullrich. Er will sich dem Risiko wohl auch künftig stellen: „Bisher fühlt sich alles sehr gut an“, sagte Kämna als ARD-Experte auf der Schluss­etappe der diesjährigen Tour de France in Nizza. „Bevor ich aufs Rad gestiegen bin, hatte ich etwas Sorge, dass ich Angst im Straßenverkehr haben könnte. Am Ende hat sich alles sehr gewohnt und vertraut angefühlt. Ich hatte Spaß daran, Rad zu fahren. Und vor allem habe ich mich sicher gefühlt.“ Die Erfahrung, nach einer langen Pause wieder erfolgreich zurückzukommen, hat Kämna schon einmal gemacht. 2021 hatte er auf die Tour de France verzichtet und mehrere Monate ausgesetzt, um sich mental zu erholen.

Den für diesen September angepeilten Neustart wird er zwar noch für seinen jetzigen Rennstall Red Bull-Bora-hansgrohe unternehmen – im Profiradrennsport kann man Teams leider nicht beim Namen nennen, ohne Produktplacement zu unterstützen. Den Ende des Jahres auslaufenden Vertrag hat er allerdings nicht verlängert, Kämna wird zu einem anderen Team wechseln. Ein Grund dafür dürfte gewesen sein, dass der Stall für die Gesamtwertungen der großen Rundfahrten auf Primož Roglič setzt, den Kämna dann unterstützen müsste – und sich selbst mit dem Gewinn einzelner Etappen begnügen.

Wenn er aber mit dem neunten Platz beim Giro 2023 etwas gezeigt hat, dann, dass er das Zeug hat, als Kapitän selbst ein Team anzuführen. Ralf Lorenzen