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Regierungspläne zur Kindergrundsicherung„Das verfestigt Ungleichheit“

Die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, hält die Kindergrundsicherung für gescheitert. Das bestehende System werde nicht angetastet.

Mit Kind im Bio-Supermarkt: alles wird teurer durch die Inflation Foto: Ute Grabowsky/photothek/imago
Patricia Hecht
Interview von Patricia Hecht

taz: Frau Bentele, das Ziel der Kindergrundsicherung war, Kinder aus der Armut zu holen. Kann das mit den jetzigen Plänen noch klappen?

Verena Bentele: Nein. Die geplanten kleinen Veränderungen ändern nichts am System. Sie ändern nichts am grundsätzlichen Problem, dass Familien, in denen Eltern besser verdienen, durch Steuerfreibeträge stärker entlastet werden als Familien mit wenig Geld.

Momentan ist zum Beispiel geplant, dass Kindergeld und Kindersofortzuschlag um je 5 Euro erhöht werden.

Das ist nicht schlecht, aber das hat mit einer Kindergrundsicherung nichts zu tun. Alles wird teurer, durch die Inflation zum Beispiel frische Lebensmittel. Diese Beträge sind eher eine dynamische Anpassung, mit der höhere Kosten ausgeglichen werden. Im Übrigen profitieren auch hier diejenigen Personen, deren Steuerfreibeträge ebenfalls steigen. Das verfestigt Ungleichheit.

Im Interview: Verena Bentele

ist Präsidentin des größten deutschen Sozialverbands VdK und Sprecherin des Bündnisses Kindergrundsicherung. Von 2014 bis 2018 war sie Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen.

Man könnte sagen, die Erhöhungen hätte es nicht gegeben, wenn vorher nicht so hoch gepokert worden wäre.

Das kann sein, und wir befürworten diese Erhöhung auch. Aber wenn sie das Ergebnis der vielen Verhandlungsrunden zur besseren Förderung von Kindern und Familien ist, können wir uns darüber nicht freuen. Jedes Taschenbuch kostet mehr.

Kommen soll nun auch der Kindergrundsicherungscheck. Was ist damit gemeint?

Wir wissen noch nicht genau, wie der Check aussehen wird. Offenbar sollen Familien angeschrieben werden, wenn sie einen Anspruch auf Kinderzuschlag haben könnten. Um andere Leistungen wird es da nicht gehen. Zudem soll wohl ein Kinderchancenportal kommen, wo Familien Leistungen für Bildung und Teilhabe abrufen können. Aber erstens ist es eine grundsätzliche Aufgabe des Staates, seine Bür­ge­r*in­nen darauf hinzuweisen, welche Leistungen es gibt. Und zweitens frage ich mich, ob gerade die Familien, die dringenden Bedarf haben, damit auch wirklich erreicht werden und die Leistungen bei ihnen landen. Ich glaube nicht.

Wie würde man diese Eltern erreichen?

Natürlich brauchen sie gute Informationen. Aber die Hoffnung war, dass sie die Leistungen für ihre Kinder ohne den derzeitigen Aufwand, ohne die enorm komplizierten Anträge bekommen. Im Zweifel müssen sie dann auch noch Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid einlegen. Für uns wäre entscheidend gewesen, dass über die automatisierte Auszahlung eine Umkehr des Systems eingeleitet worden wäre. Je weniger die Eltern können, desto mehr Unterstützung gibt es vom Staat. Das war die Idee, die mal hinter der Kindergrundsicherung stand.

Manche sagen, dass eine automatisierte Auszahlung überhaupt nicht möglich wäre, weil die Daten, die der Staat dafür braucht, nicht automatisch erfasst werden können. Zum Beispiel, ob der Ehemann schon ausgezogen ist oder man sich die Miete teilt oder ob die Tochter BaföG bekommt.

Ich meine schon, dass da Einiges möglich wäre. Wenn zum Beispiel alle Menschen eine Steuererklärung abgeben würden, wäre auch eine zielgenauere Unterstützung und Auszahlung möglich. Generell ist es aber natürlich ein Problem, dass die Behörden in Deutschland so schlecht untereinander vernetzt sind. Das muss sich perspektivisch ändern.

Was sollte nach dem Sommer bestmöglich noch kommen?

Die Familien sollten nicht an vielen verschiedenen, sondern nur noch an einer Stelle Anträge für ihre Kinder stellen müssen. Diese Vereinfachung wäre zentral. Zudem müsste darüber gesprochen werden, ob die Steuerfreibeträge für Kinder gesenkt werden. Damit würde eben nicht die Förderung von Wohlhabenden verbessert, was in dieser Koalition aber natürlich schwierig ist – auch wenn Lisa Paus das wohl möchte. Leider kann ich mir derzeit nicht vorstellen, dass solche maßgeblichen Änderungen noch möglich sind.

Ist das Projekt Kindergrundsicherung damit erstmal auf Jahre erledigt?

Als Zivilgesellschaft, als Bündnis werden wir das Projekt weiter fördern und verfolgen. Dass das politisch in naher Zukunft nochmal angefasst wird, da bin ich eher pessimistisch. Man müsste es ja erst mal wieder in den nächsten Koalitionsvertrag bringen. Wir wissen nicht, ob das die nächste Regierung machen wird.

Woran genau ist das Projekt gescheitert?

Die Perspektiven der Koalitionsparteien gehen da deutlich auseinander. Offenbar war der Einigungswille nicht groß genug: Sich gemeinsam vortasten und schauen, was möglich wäre, ging wohl nicht. Genauere Infos haben nur die drei Koalitionäre.

Sie sehen also gar nicht nur Lisa Paus in der Verantwortung?

Keineswegs. Auch SPD und FDP haben es sich recht bequem damit gemacht, nur mit dem Finger darauf zu zeigen, was schlecht ist. So kann man ein solches Projekt auch schnell vom Tisch kriegen.

Was heißt das für die Koalition?

Für die hat es keine substanziellen Konsequenzen. Dafür ist das Projekt wahrscheinlich nicht wichtig genug. Der Kanzler hat für die Kindergrundsicherung nicht für uns hörbar auf den Tisch gehauen, um eine Einigung im Sinn armer Kinder zu erzielen. Es macht mehr Eindruck, wenn Unternehmen vor den drei Koalitionsparteien vorsprechen, als wenn über arme Kinder gesprochen wird.

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10 Kommentare

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  • Um die Fehler des Konzeptes zu erkennen brauchte es keine SPD oder FDP. Sie drängten sich von selbst auf und es brauchte schon enorme ideologische Scheuklappen und einen enormen Willen, diese nicht erkennen zu wollen. Hinzu kamen die handwerklichen Fehler der Ministerin bei der Umsetzung.

    Schön, dass Frau Bentele von sich aus die Steuerfreibeträge benennt. Um so eine Aussage hat sich das Ministerium stets gedrückt und sich zu den Steuerfreibeträgen nie geäußert. Damit wird auch die Mär beseitigt, dass sich kein Kind (eigentlich geht es ja um die Eltern) durch die Reform verschlechtere.

    Wäre dieser Aspekt früher beleuchtet worden, wäre der Eiertanz schon viel früher zu Ende gegangen.

  • Es ist traurig, wie immer gegen die gleiche Bevölkerungsgruppe getreten wird, und zwar die, die diesen Sozialstaat erst ermöglichen. Der Kinderfreibetrag ist per Grundgesetz vorgegeben. Komischerweise findet man es hier in Ordnung das zu ignorieren. Würde an anderen Stellen zu heftigem Protest von links führen. Auch die falschen Fakten irritieren: Kinderzuschlag sind 292€, Kindergeld 250€, zusammen 542€. Der Kinderfreibetrag bringt im Extremfall 370€. Das ist weniger als 542€, und nicht mehr. Bei Beamten wird es noch schlimmer, da kommt der Familienzuschlag dazu. Und der Ehezuschlag. Frau Paus findet die Förderung der klassischen Familie furchtbar - außer bei Beamten! Beamte werden von links geliebt, ist klar. Die "Besserverdienenden" müssen übrigens auch ihre KiTa und Kindergarten mit höheren Beiträgen bezahlen, das überkompensiert die 370€ sofort. Und damit wären wir beim Thema: Investiert doch lieber mal in eine Kinderversorgung für alle, statt in ständige Umverteilung, die nicht wirklich ankommt! 4.000€ (inkl. Wohnen) Bürgergeld für eine Familie mit 3 Kindern in München - aber es reicht nicht! Es muss mehr werden! Wo sind wir hier angekommen?!?

    • @Stubentiger:

      Was wollen Sie da beweisen? Sie schmeißen da mit Zahlen um sich, die beeindrucken sollen aber tatsächlich nur verwirren, das sind alles Halbwahrheiten.



      Grundsicherung wird nicht neben dem Kindergeld ausbezahlt. Beamte erhalten zwar Familiienzuschlag, werden aber nur in den allerwenigsten Fällen den Kinderzuschlag zum Kindergeld erhalten.



      Und was sind 4000 Euro in München, wenn Sie eine Wohnung für eine 5-köpfige Familie zu bezahlen haben?



      Die explodierenden Kosten fürs Wohnen sind das eigentliche Problem. Da sollte man ansetzen.

  • Das bringt wenig bis nichts, wenn die betroffenen Personen es nicht wollen. Meine Eltern, ungelernte Hilfsarbeiter ohne Schulabschluss, wollten, dass es uns Kinder mal besser geht. Ohne staatliche Hilfen, ohne Sozialarbeiter, Teilhabeprogramme etc. Ich Abschlüsse in MINT und Geisteswissenschaften in Regelstudienzeit, Lehre, etc. Meine Schwester das Gleiche. Programme helfen nichts, wenn die Beteiligten nicht den Willen dazu haben. Die Einzigen, die von solchen Programmen profitieren ist die Sozialhilfe Gruppe.

  • Ich weiß, ich mache mir keine Freunde damit und wer die Wahrheit sagt braucht ein schnelles Pferd.



    Aber ich möchte nur kurz daran erinnern dass das Motto "wir tun was für die Arbeiter und einfachen Leute" den Nazis die entscheidenden Stimmanteile gebracht haben.

    Nichts spielt den Rechten so sehr in die Hände wie Unzufriedenheit und fehlendes Vertrauen in die Politik.

  • Die armen Kinder leben in Familien die -meist- gar nicht mehr zur Wahl gehen. Das mag viele Gründe haben, einen aber ganz gewiss: sie wurden bislang immer wieder von der Politk enttäuscht, verraten. Und Leute die sowieso nicht wählen gehen, die verschwinden aus dem Sichtfeld der "sozialen", "christlichen" oder irgenwie anders "wertegebundenen" Parteien sofort. Darum braucht man sich nicht zu bemühen, nützt ja eh' nix. Da sind andere Zielgruppen gefragter: Mittelstand, Wohlhabende, Reiche na klar, Autofahrer, "Patrioten" - kurzum alle die, deren Stimme man vielleicht bekommen könnte. So what?

  • Jeder Euro ist in Bildung, Betreuung und Teilhabe an Sport usw. besser angelegt, als in diese Umverteilung, die nur in weitere Abhängigkeit vom Staat führt.

    • @Puky:

      Das wäre mal ein gutes Konzept! Und es sollten die Kinder aus allen "Schichten" Zugang haben. Damit erhält man Durchmischung und Perspektiveneröffnung. Raus aus dem eigenen Trott! Damit können dann die Aufsteiger-Geschichten beginnen! Nicht durch immer mehr Geld auf dem Konto der Eltern, die basierend darauf die Lehre an die Kinder weitergeben: du brauchst dich nicht anstrengen! Der Staat macht das dann!

    • @Puky:

      Dem schließe ich mich an. Meiner Meinung nach ist es eine politische, gesellschaftliche und soziale Fehlentwicklung, wenn Bürger für ihren Lebensunterhalt nicht mehr selbst aufkommen (können?), sondern flächendeckend für fast jede/n alle möglichen Transferzahlungen notwendig werden. Diese u.a. fehlen dann, meiner Meinung nach, in den von Ihnen genannten Bereichen.

  • Meiner Meinung nach gibt es keine armen Kinder, sondern arme Eltern. Somit wäre es aus meiner Sicht zielführender zu schauen, weshalb sind die Eltern arm, wie kann gegen die Armut der Eltern ange- und versteuert werden. Wenn die Eltern aus der Armut geholt werden können, werden auch die Kinder nicht mehr arm sein.

    Davon abgesehen sollten selbstverständlich alle Kinder bereits von Geburt an staatlicherseits den gleichen Zugang zu Förderung und Bildung haben und ihre Talente, Befähigungen und Vorlieben engmaschig beobachtet und gefördert werden.

    (Ich habe nie in der DDR gelebt, aber deren System schien mir eher auf Bildungsgerechtigkeit angelegt als unseres, auch wenn es vermutlich umstritten ist/war.)