: Der Union reicht ihr Teilerfolg nicht aus
Die Ampel sieht sich durch das Urteil bestätigt – die Opposition allerdings auch. CDU und CSU wollen jetzt noch mehr
Von Tobias Schulze
Im Kern hat das Bundesverfassungsgericht die Wahlrechtsreform der Ampel zwar bestätigt. Dass die Richter*innen aber zumindest den ersatzlosen Wegfall der Grundmandatsklausel als verfassungswidrig einstuften, deuteten Vertreter*innen der Union am Dienstag als Bestätigung ihrer massiven Kritik an der Koalition. „Der Versuch des eigenen Machterhalts der Ampel, mittels Manipulation des Wahlrechts andere Parteien aus dem Deutschen Bundestag zu drängen, ist gescheitert“, sagte Alexander Dobrindt, Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Bundestag. „Dieser bewusste Manipulationsversuch war in höchstem Maße respektlos gegenüber den Wählerinnen und Wählern und der Demokratie an sich.“
Darunter machte es auch sein Parteichef Markus Söder nicht: „Die Wahlmanipulation der Ampel ist entlarvt und richterlich verworfen worden“, sagte der bayerische Ministerpräsident. Und weiter: „Sollten die Wähler uns in der nächsten Regierung sehen, werden wir dieses Ampel-Gesetz umgehend ändern. Das ist für die CSU eine Koalitionsbedingung für eine nächste Bundesregierung.“ Ähnliche äußerte sich CDU-Chef Friedrich Merz. Sollte die Ampel nicht dazu bereit sein, noch vor der nächsten Wahl eine erneute Reform nach Maßgaben der Union zu beschließen, müsse „das Wahlrecht in der nächsten Wahlperiode erneut geändert werden“.
Der Wegfall der Grundmandatsklausel hätte nicht zuletzt die CSU hart treffen können: Da sie nur in Bayern zu Wahlen antritt, liegt sie berechnet auf das ganze Bundesgebiet nicht weit über der Fünfprozenthürde. Würde sie einmal darunter rutschen, wäre sie nach den ursprünglichen Ampel-Plänen komplett aus dem Bundestag geflogen. Diese Gefahr droht nach dem Urteil vom Dienstag erst mal nicht mehr. Wahrscheinlich ist aber, dass einige Wahlkreissieger der CSU künftig keine Mandate mehr bekommen, weil sie nicht vom Zweitstimmenergebnis der Partei gedeckt sind. Reformvorschläge der Union sehen vor, weiterhin alle Wahlkreissieger*innen einziehen zu lassen, ohne diese zusätzlichen Sitze mit weiteren Mandaten für andere Parteien auszugleichen. Die Union würde dadurch im Bundestag überproportional zulegen.
Gregor Gysi (Linke)
Die Ampelparteien lehnten das schon immer ab. Durch das Verfassungsgericht sehen sie sich ihrerseits in ihrem Beschluss bestärkt, nicht mehr allen Wahlkreissieger*innen einen Sitz im Parlament zu geben. „Das neue Wahlrecht wurde im Kern bestätigt“, sagte Sebastian Hartmann (SPD) noch im Gerichtssaal. Konstantin Kuhle (FDP) sagte, er sei „unfassbar erleichtert“. Das Urteil finde er „sehr, sehr gut“. Offen bleibt noch die Frage, wie die Ampel mit der Kritik des Gerichts hinsichtlich der Grundmandatsklausel umgeht. „Ich gehe davon aus, dass wir nicht versuchen werden, noch für die kommende Bundestagswahl eine Neuregelung zu beschließen“, sagte Till Steffen (Grüne). Das Gericht stellt dem Parlament frei, in diesem Punkt eine neue Regelung zu finden – zum Beispiel eine reformierte Grundmandatsklausel zu beschließen oder alternativ die Fünfprozenthürde abzusenken. Bis es zu einem solchen Beschluss kommt, bleibt die alte Klausel wieder gültig.
„Ich bin für die Absenkung der Sperrklausel auf 4 oder 3,5 Prozent“, sagte in Karlsruhe der Linken-Abgeordnete Gregor Gysi, dessen Partei von der Reform ebenfalls direkt betroffen ist. Schon bei der letzten Wahl landete sie unter 5 Prozent. In Fraktionsstärke kam sie nur wieder in den Bundestag, weil Gysi und zwei weitere Kandidierenden ihre Wahlkreise gewannen. Ob der Linken das 2025 wieder gelingt, ist ob ihrer aktuellen Schwäche trotz des Karlsruher Urteils fraglich. Aktuellen Umfragen zufolge würde sie aber auch von einem Absenken der Fünfprozenthürde nicht profitieren: Im Politbarometer lag die Linke zuletzt nur noch bei 3 Prozent.
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