Inszenierung und Ausschluss

In unmittelbarer Nähe zum Finalstadion der EM beschäftigt sich eine Ausstellung mit Fußball in der NS-Zeit. Wie Sport für die Propaganda genutzt wurde, ist dabei ebenso Thema wie die Gleichschaltung der Klubs oder Wettbewerbe im Lager

Verbotene Klamotten: Trikots von Vereinen, die von den Nazis verboten wurden Foto: Mareen Meyer/what matters

Von Martin Krauss

Ein schönes Foto ist das nicht, und eine Fußballszene ist darauf auch nicht dokumentiert, aber es ist ganz wichtige Sportgeschichte. Menschen sind von hinten zu sehen, wie sie vor dem Eingang des Fußballstadions von Tottenham Hotspur an der White Hart Lane stehen. Am oberen Bildrand, ganz weit entfernt, auf dem Oberrang des Sta­dions, sieht man Menschen, die den Hitlergruß zeigen.

Es geht um ein Länderspiel Englands gegen Deutschland im Jahr 1935, und es geht um antifaschistischen Widerstand. Etliche Gruppen hatten gegen den Auftritt der damals noch von Reichstrainer Otto Nerz betreuten Truppe protestiert.„Diese Nazis“, heißt es in einem Flugblatt, „werden nur zu einem einzigen Zweck hierher geschickt, und zwar zu politischer Propaganda.“ Offiziell bestritt das NS-Regime diesen Zweck. Aber intern war klar, dass die Regierung in Berlin im Vorfeld der Olympischen Spiele 1936 Tausende von Fußballanhängern nach London geschickt hatte, um für Akzeptanz für das „Dritte Reich“ zu werben.

An diese Geschichte erinnert das beschriebene Foto und das Flugblatt in der Ausstellung „Sport. Masse. Macht“, die derzeit in Berlin im Olympiapark, nahe dem Olympiastadion, zu sehen ist und die den Untertitel „Fußball im Nationalsozialismus“ trägt.

Schon das Gelände steht im Kontrast zu dem, was im Gebäude gezeigt wird: Bauten, die für Olympia 1936 gebaut wurden und seither kaum bis gar nicht verändert Zeugen des Nationalsozialismus sind. Diese Ästhetik wollen die Ausstellungsmacherinnen um Kuratorin Yvonne Zindel und die Leiterin des Berliner Sportmuseums, Veronika Springmann, aufbrechen. Vom Film „Das große Spiel“ (1942) etwa wird nicht das Ergebnis gezeigt: blonde, arische Fußballrecken. Sondern es wird ein Foto dokumentiert, wie die als Schauspieler verpflichteten Fußballer, allesamt Spitzensportler des Deutschen Reichs, dort für die Kamera den „Hitlergruß“ üben. Gezeigt wird also nicht der „schöne Schein“, sondern wie dieser inszeniert wurde.

Das ist das Gestaltungsprinzip dieser Ausstellung, die im Rahmen des Kulturprogramms der EM angeboten wird. Es werden etwa auch keine Originalpokale ausgestellt, wie das in Sportmuseen so oft der Fall ist. Die Pokale, die es in Berlin zu sehen gibt, wurden im 3D-Drucker nachproduziert, und sie sind berührbar. Die „Victoria“ etwa, bis Kriegsende der Meisterpokal im deutschen Fußball, 1945 verschollen und nach 1990 wieder aufgetaucht, darf hier betatscht werden. Oder der „Tschammer-Pokal“, Vorläufer des DFB-Pokals und gestiftet vom Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten – dessen Villa auf dem Olympiagelände heute noch steht – kann ebenfalls mit den Händen erfühlt werden. „Wir wollten weg von dem Fetisch, den Pokale so oft in der Sportwelt haben“, sagt Yvonne Zindel.

Das gilt erst recht für Trouvaillen, die von einer anderen Sportgeschichte erzählen. Etwa von einem Fußballpokal, um den Häftlinge im KZ Sachsenhausen spielten. Wie sehr der Sport den Häftlingen half, im KZ ihre Würde zu bewahren, wird durch die haptische Erfahrung, die man mit dem Pokal machen kann,etwas besser verständlich.

Tatsächlich gab es Sport im KZ – teils als sadistische Belustigung für SS-Wachleute, teils aber auch von Häftlingen selbst organisiert. Um die Vielschichtigkeit dieses Themas – und auch anderer behandelter Themen – darstellen zu können, wurde zum Mittel der Graphic Novel gegriffen. Textlich und grafisch soll die Ambivalenz und die Bedeutung von Fußball im KZ beschrieben werden.

1933 wurde das Aus für konfessionelle und Arbeiter­sport­vereine verkündet

In einer anderen Abteilung der Ausstellung werden Trikots ausgestellt. Es sind die Sportsachen von Vereinen, die die Nazis verboten haben. 1933 wurde das Aus für konfessionelle und Arbeitersportvereine verkündet, Juden wurden aus den „arischen“ Klubs geworfen, durften aber in eigenen Vereinen weiter Sport treiben – aus Rücksicht auf Olympia 1936, das das NS-Regime auf keinen Fall gefährden wollte. Die Trikots zeigen das Alltägliche des gemeinsamen Sports, das die Nazis aufkündigten und untersagten.

Über viel mehr müsste hier berichtet werden, wie „Sport. Masse. Macht“ auf museumspädogisch innovative und auf sporthistorisch fundierte Weise sich dem schwierigen Thema nähert. Etwa über Biografien ausgesuchter Sportler oder über Bezüge zur Aktualität, wo sich die Zivilgesellschaft – oft sind es Ultras – heute gegen Rassismus und Antisemitismus im Fußball stellt und welche Widerstände sie erfährt, etwa mit dem Hinweis, Politik habe im Stadion nichts verloren.

Das Länderspiel England gegen Deutschland am 4. Dezember 1935 endete übrigens 3:0 für England. Das NS-Regime wollte so zeigen, dass es für fairen Sport stand. Von den antifaschistischen Protesten gegen dieses Spektakel hingegen existieren heute nur noch schlechte Fotos.

Sport. Masse. Macht. Fußball im Nationalsozialismus – geöffnet täglich von 10-18 Uhr (außer am Tag des Finales)

Olympiapark Berlin, Haus des Deutschen Sports, Hanns-Braun Straße, Berlin