Die Staatsoper Berlin open air: Bitte keinen Regen am Bebelplatz

„Staatsoper für alle“ spielt auf dem Bebelplatz umsonst und draußen. Es ist ein Fest mit neuer Opernmusik und alten Fußballhymnen.

Der Kopf einer Frau erscheint groß hinter einer Reihe von Porzellankatzen, dunkel und klein davor die Silhouette eines Mannes

Philippe Jaroussky (Valoushka ) und seine Mutter, Madame Esther, in „Melancholie des Widerstands“ von Marc-André Dalbavie Foto: William Minke

Ausgerechnet für das kommende Wochenende sehen die Wettervorhersagen Regen vor. Da bleibt nur zu hoffen, dass die dicksten Wolken am Bebelplatz vorbeiziehen, denn dort soll am Freitag und Samstag das wohl größte „Umsonst und draußen“-Klassik-Event der Hauptstadt steigen: „Staatsoper für alle“ findet hier seit 2007 immer zum Abschluss der Saison statt, also zur gewitterträchtigsten Zeit des Jahres (außer in den Jahren der Pandemie).

Auch die Magistrale Unter den Linden wird dafür gesperrt. Auf Fotos vom letzten Jahr ist zu sehen, dass die bespielte Fläche – 33.000 ZuschauerInnen sollen es 2023 insgesamt gewesen sein – tatsächlich über die gesamte Straßenbreite hinweg bis vor das Hauptgebäude der Humboldt-Universität reicht.

Ein Highlight der Open-air-Sause wird am Freitagabend (12. Juli) die Live-Übertragung von Marc-André Dalbavies Oper „Melancholie des Widerstands“ nach dem gleichnamigen Roman von László Krasznahorkai sein, die zeitgleich auf der Bühne der Staatsoper gespielt wird. Das Werk, das vor gerade einmal zehn Tagen seine Welturaufführung erlebte, ist von Regisseur David Marton in enger Zusammenarbeit mit dem Komponisten als „filmische Oper“ konzipiert worden und eignet sich ausgesprochen gut für die Übertragung auf die große Leinwand.

Den größten Reiz dieser Inszenierung, die raffinierte Verschränkung von Bühnen- und filmischem Geschehen, können die ZuschauerInnen auf dem Platz zwar nur mittelbar erleben; aber ein Film-im-Film-Spiel ist auch in der Bühnenfassung bereits vorhanden, wird also durch die Projektion der Vorstellung auf eine weitere Leinwand im Prinzip nur eine Ebene weiter getrieben.

„Melancholie des Widerstands“: Staatsoper Unter den Linden. Nächste Vorstellung: 12. Juli

Mehr über Staatsoper für alle unter https://www.staatsoper-berlin.de/de/spielplan/staatsoper-fuer-alle-2024/

Einige der berührendsten Momente der Oper finden in der filmischen Ebene statt, vor allem in der Beziehung zwischen zwei der Hauptfiguren, Mutter (Tanja Ariane Baumgartner) und Sohn (Phi­lippe Jaroussky), die während des gesamten Geschehens niemals auf einer Spielebene zusammenkommen – bis es zu spät ist. „Melancholie des Widerstands“ ist ein ausgesprochen bildstarkes, in Handlung und Musik nicht eben heiteres Werk.

Machtwillkür und Chaos

In ihrer Parabelhaftigkeit passt Krasznahorkais literarische Vorlage in jede Zeit, in der die menschliche Freiheit durch Gewalt, Machtwillkür und Chaos bedroht wird. Dalbavie und Marton fangen die surrealistisch-bedrohliche Atmosphäre des Romans gut ein.

Es gibt viele wunderbare Szenen; was aber nicht wirklich gelingt, ist der Aufbau eines dramatischen Bogens, der über zwei Stunden zu fesseln vermag. Dirigentin Marie Jacquot und die Staatskapelle sind die meiste Zeit dazu bestimmt, flächiges musikalisches Hintergrundgedräu zu vertonen. Doch hin und wieder steigert sich die Musik zu bruitistischen Höhepunkten, einmal auch zu einem Bach-inspirierten, polyphon arrangierten Fugen-Medley – denn eine weitere Hauptfigur ist ein Musiktheoretiker (Matthias Klink), besessen damit beschäftigt, seinem Klavier die wohltemperierte Stimmung auszutreiben.

Großartige sängerische Leistungen, angeführt vom Star der Produktion, Philippe Jaroussky, dessen engelsgleichem Männersopran der Part des naiven Sehers/Postboten Valouchka auf die Ausnahmestimmbänder geschrieben wurde, entschädigen immer wieder für die zeitweilige Mühsal der Rezeption.

Klappstühle als Souvenir

Gut beraten ist man jedenfalls, den Abend sitzend zu bestreiten. Sitzgelegenheiten für den längeren Aufenthalt auf hartem Pflaster sind selbst mitzubringen; Klappstühle mit dem Aufdruck „Staatsoper Unter den Linden“ können als wiederverwendbares Souvenir aber auch vor Ort – je nach Vorratslage – käuflich erworben werden.

Wer sich am Freitagnachmittag vor der Opernübertragung bereits in Stimmung bringen will, ist übrigens eingeladen, sich ab 17.30 Uhr am gemeinsamen Singen von „berühmten Fußballhits und -hymnen“ zu beteiligen.

Auch am Samstagabend gibt es ein Vorprogramm; diesmal bringen das Kinderopernorchester und der Kinderchor der Staatsoper Werke von Duke Ellington, Robert Schumann und Antonín Dvořák zu Gehör.

Später am Abend, und das ist sicher der eigentliche Höhepunkt der diesjährigen „Staatsoper für alle“, betritt der designierte neue Chef die Freilichtbühne auf dem Bebelplatz: Christian Thielemann ist ab kommender Saison Nachfolger Daniel Barenboims auf dem Chefdirigentenposten der Staatskapelle. Er dirigiert die „Alpensinfonie“ von Richard Strauss. Zwar fehlt auf dem Bebelplatz die entsprechende landschaftliche Kulisse, aber die wird man dann eben kraft musikalischer Imagination selbst herstellen müssen.

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