piwik no script img

Reporter ohne Grenzen zu Assange„Vierte Gewalt unter Druck“

Der Wikileaks-Gründer Julian Assange ist frei. Ein Sieg für die Pressefreiheit? Katharina Weiß von Reporter ohne Grenzen ist skeptisch.

Freiheit mit einer Prise Kerosin: Assange am Dienstag beim Zwischenstopp in Bangkok Foto: wikileaks/X via PA Wire/dpa
Christian Jakob
Interview von Christian Jakob

taz: Ist die Freilassung von Julian Assange ein Sieg für die Pressefreiheit oder für die US-Justiz, Frau Weiß?

Katharina Weiß: Für Reporter ohne Grenzen steht an diesem Tag die Freilassung im Vordergrund. Julian Assange war seit zwölf Jahren kein freier Mann mehr, zuletzt war sein Gesundheitzustand sehr besorgniserregend. Die Freilassung ist nur mit einem Schuldeingeständnis zustande gekommen. Es ist vorstellbar, dass die Situation ihn so mürbe und krank gemacht hat, dass so ein Zugeständnis an die US-Justiz möglich und nötig wurde. Wir können über Details nur spekulieren. Aber es schmerzt uns, dass das notwendig war.

Im Interview: Katharina Weiß

ist Journalistin, Autorin und Sprecherin für die deutsche Sektion von Reporter ohne Grenzen.

Hätte man diesen Deal schon früher haben können?

Aus unserer Perspektive kommt der Deal zu spät. Assange hätte gar nicht inhaftiert werden dürfen. Jeder Tag, den er im Gefängnis war, ist ein Tag zu viel. Aber so weit wir wissen, gab es die Möglichkeit zu so einem Deal in der Vergangenheit noch nicht.

Welchen Vergehens soll Assange sich konkret schuldig bekennen?

Es geht um Verstöße gegen den Espionage Act der USA, ein Gesetz aus dem Jahr 1917. Offiziell soll Assange sich bei der Verhandlung am Mittwoch der Verschwörung zur unrechtmäßigen Beschaffung und der Verbreitung von Dokumenten schuldig bekennen. Und damit wird das Gesetz weiter als Gefahr über den Köpfen von investigativen Jour­na­lis­t:in­nen schweben – und das nicht nur in den USA.

Welche konkreten Folgen kann dies für die Arbeit anderer Jour­na­lis­t:in­nen haben?

Der Fall sendet nun schon seit vielen Jahren ein gefährliches Signal an investigative Jour­na­lis­t:in­nen weltweit. Das Gesetz kann verhindern, dass sie sich befähigt fühlen, über Menschenrechtsverletzungen oder unrechtmäßige Machenschaften westlicher Regierungen zu berichten, weil sie überall auf der Welt dafür festgesetzt werden können.

Weil die USA auf viele Staaten Druck machen können, damit sie Haftbefehle auch gegen Nicht-US-Bürger durchsetzen?

Assange war da ein Präzedenzfall. Er wäre der erste Journalist, der nach diesem sehr alten Gesetz verurteilt worden wäre. Und natürlich haben die USA mehr Macht als etwa Eritrea.

Steht der Fall Assange für einen allgemeinen Trend hin zu einer verstärkten staatlichen Verfolgung von Journalist:innen?

Auf der einen Seite gibt es den neuen European Media Freedom Act, der die Rechte von Medienschaffenden jüngst gestärkt hat. Andererseits gibt es Entwicklungen wie in der Slowakei, wo die Regierung den als unbequem empfundenen öffentlich-rechtlichen Rundfunk abwickeln will, oder wie in Italien, wo die Regierung von Giorgia Meloni den öffentlich-rechtlichen Rundfunk auf Regierungslinie zu bringen versucht. Das ist in der Tat ein Kennzeichen unserer Zeit. In der EU ist man dabei noch sehr privilegiert. Es leben nur noch ein Prozent aller Menschen in Ländern, in denen die Pressefreiheit uneingeschränkt als solide geschützt gelten kann.

Was bedeutet das für Europa?

Hier gerät vor allem die Wertschätzung der Bevölkerung, der Respekt für und das Vertrauen in die vierte Gewalt unter Druck. Das Bewusstsein dafür, dass Medien sehr schützenswert sind, geht stellenweise verloren. Und so beobachten wir etwa am Rande von verschwörungsideologischen oder auch propalästinensischen Demos eine zunehmend aggressive, aufgeheizte Stimmung gegen Reporter:innen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • Schön, dass er frei ist.



    Sein Preis dafür ist sehr hoch. Menschlich absolut verständlich.



    Uns sollte bewusst sein, dass Demokratie nicht in allen Bereichen demokratisch ist.Sie ist es nur solange es den Entscheidern nicht schadet und unmenschliches Verhalten aufdeckt.



    Pressefreiheit im ursprünglichen Wortsinn gibt es wohl nicht.

    • @M. S.:

      Nicht unwesentlichr Teile der Presse haben sich im letzten Jahrzehnt zu einer Form professioneller Aufregungsverwertung umgebaut, die die Pressefreiheit nicht mehr zu würdigen weiß, d.h. sie als vorrangig ökonomische Freiheit fehldeutet. Diesen Vorwurf muss sich die Branche gefallen lassen und ausräumen.



      .



      Schmerzhaft ist, dass derselbe Vorgang (neben anderen legitimen Deutungen) mancherorts auf eine nicht minder unfähige Verunglimpfung als "Lügenpresse" traf. Man spürte den Schmerz, aber die Deutung war atemberaubend blöd. Nun stecken wir tief darin, und es ist schwer, sich da rauszuarbeiten.

  • Mal zur Erinnerung ein unverfängliches Zitat -?



    “Als Herausgeber der Zeitschrift Die Weltbühne musste sich Ossietzky mehrfach wegen Artikeln, die illegale Zustände in der Weimarer Republik zum Thema hatten, vor Gericht verantworten. Im international aufsehenerregenden Weltbühne-Prozess wurde er 1931 wegen Spionage verurteilt, weil seine Zeitschrift auf die verbotene Aufrüstung der Reichswehr aufmerksam gemacht hatte. Kurz nach seiner Entlassung kamen die Nazis an die Macht. Ossietzky wurde am 28. Februar 1933 in die sogenannte Schutzhaft genommen. Als einer der prominentesten politischen Häftlinge wurde Ossietzky unter anderem im KZ Esterwegen besonderes Opfer nationalsozialistischer Willkür. Er wurde häufig misshandelt und gefoltert. 1936 erhielt Ossietzky in einer internationalen Hilfskampagne den Friedensnobelpreis. Im gleichen Jahr wurde er, durch die Torturen schwer erkrankt, unter Polizeiüberwachung in ein Berliner Krankenhaus verlegt. Dort starb er unter Bewachung zwei Jahre später.“



    de.wikipedia.org/w...Carl_von_Ossietzky

    kurz - Der Leviathan schläft nicht - nirgendwo •



    (tazis a 🥱 ins Stammbuch! Woll)



    de.wikipedia.org/w...an_(Thomas_Hobbes) - 🐉

    • @Lowandorder:

      Ich verstehe nicht. Soll das eine Parallele nahelegen?

      • @THu:

        Ooch - se finde dess scho raus.



        Wenn ich auch bei ehrs heute 11:02 so meine Zweifel habe! Woll

  • Das Wichtigste ist, dass die Forderungen nach Recht und Gerechtigkeit die innere Logik einer Bürokratie zum Einlenken gebracht hat. Die Verfahren verliefen stellenweise nicht mehr auf rechtsstaatlichem Boden und in unwürdigen Grauzonen. Die Selbstkontrolle drohte in großem Stil zu versagen. Und ja, das war eine Reißleine.



    .



    Es ist klug, dass die US-Justiz diese Wunde geschlossen hat (ne bis in idem) bevor der entertainment-clown sie in sein Programm aus Dummheit und Verachtung aufnehmen konnte.



    .



    Wir müssen neu lernen, Standards zu entwickeln, an denen sich unsere Demokratie beweisen muss.

  • Danke.

    "Es geht um Verstöße gegen den Espionage Act der USA, ein Gesetz aus dem Jahr 1917." Dies ist damit ein Gesetz aus der Zeit, als die USA in den Ersten Weltkrieg eingetreten ist, also ein Gesetz unter dem Krisenszenarios eines Krieges, Kriegsrecht gleichsam (was noch heute Gültigkeit haben soll!)

    "Andererseits gibt es Entwicklungen wie in der Slowakei, wo die Regierung den als unbequem empfundenen öffentlich-rechtlichen Rundfunk abwickeln will, oder wie in Italien, wo die Regierung von Giorgia Meloni den öffentlich-rechtlichen Rundfunk auf Regierungslinie zu bringen versucht."

    Man vergegenwärtige sich einmal der vielen Journalisten aus den 80ern/90er/00ern/10ern, welche auch in D nicht mehr bei den ÖR sind und wieviel Kritik geäußert wurde. Es ist naiv zu glauben, dass es immer nur im schlechten Ausland so desolat zuginge und sich nicht auch bei uns schon längst massive Fehlentwicklungen breit gemacht hätten.

  • Mir gefällt der Ausdruck "Vierte Gewalt" nicht, schon lange nicht. In demokratischen - oder ansatzweise demokratischen - Staaten ist die Presse meiner Meinung nach eher die "Erste Gewalt".

    Woraus speist sich Demokratie? Aus der - hoffentlich faktenbasierten, rationalen - Meinung ihrer WählerInnen, die ja per Wahl bestimmen, wer an die Macht kommt. Und da wir von politischen Ereignissen und Hintergründen zu 99,999% aus der Presse erfahren (gemeint sind Printmedien, Fernsehen, Internet etc.) und eher 0% aus direktem Erleben, ist die Presse die Wurzel der Demokratie.

    Das bedeutet meiner Meinung nach:



    - ihr gebührt ein besonderer Schutz



    - sie sollte nicht kapitalistischer Profitmaximierung und selbstredend keiner Parteieenkontrolle unterworfen sein



    - sie hat mit ihrer Berichterstattung eine große Verantwortung

    Verantwortung heißt z.B. kein "Froschperspektivenjournalismus". D.h., Meldungen wie "afghanischer Asylbewerber ersticht deutschen Bürger" müss(t)en immer im Kontext und mit den entsprechenden Hintergründen berichtet werden. Im gleichen Atemzug z.B. nicht zu erwähnen, wie viele Menschen sonst von anderen Personengruppen getötet werden, ist eigentlich rassistisch/tendentiös.