Der Stadtraum als Protagonist

Seine Filme machen die Veränderungen Berlins sichtbar. Nun wurden dem Regisseur Thomas Arslan eine Ausstellung und eine Filmreihe gewidmet

Von Tom Mustroph

Thomas Arslan hat Berlin mit Dokumentarfilmen, Spielfilmen und Thrillern vermessen. Seine fiktionalen Figuren bewegen sich oft im Außenraum. In den dokumentarischen Arbeiten ist ohnehin der Stadtraum wichtigster Protagonist. Jetzt werden seine Filme in einer Werkschau im Kino Arsenal gezeigt. Und der neue berliner kunstverein hat eine Ausstellung aus Filmschnipseln und Objekten realisiert, in der man durch paralleles Schauen zu einer Art Mustererkennung von Arslans Schaffen gelangt und gleichzeitig die vor allem traurige Veränderung der Stadt sichtbar wird.

An der einen Monitorwand im n.b.k. laufen die Menschen noch. Sie bewegen sich zu Fuß durch Kreuzberg oder Tiergarten und werden auch mal am Wannsee gesichtet. Zuweilen werden sie durch andere Passanten oder vergleichsweise wenige Autos verdeckt. Es sind Figuren aus Arslans Berlin-Trilogie „Geschwister – Kardeşler“ (1997), „Dealer“ (1999) und „Der schöne Tag“ (2001). Damals war die Stadt noch ziemlich leer. Arslan konnte, na ja musste – das Budget gab nicht mehr her – in Kreuzberg ganz ohne Straßenabsperrungen drehen. Das führt dazu, dass die Filme heute als Dokumente damaligen Stadtlebens taugen, mit ganz authentischen Menschen. Vor allem die Dar­stel­le­r*in­nen im ersten Film waren meist Schauspiel-Laien. Unter anderem spielte der Rapper Cool Savas mit. Was im Rückblick auch auffällt: Auf den Straßen Kreuzbergs gab es in jener Zeit keine Touristen, die in Horden durchs Bild liefen. Absperrungen waren also nicht einmal nötig.

Die Fassaden in den 1990er Jahren waren noch rau, vielfach mit Schichten von Graffiti bedeckt

An einer zweiten Monitorwand, an der Ausschnitte aus Arslans späteren Filmen gezeigt werden, aus den Thrillern „Im Schatten“ (2010) und „Verbrannte Erde“ (2024), sieht man ebenfalls kaum Touristen. Das allerdings liegt daran, dass Protagonist Trojan die Menschen allgemein eher scheut. Er baldowert Raubüberfälle aus und vermeidet es dabei tunlichst, von menschlichen Augen und erst recht von den technischen Augen der Überwachungsinfrastruktur erfasst zu werden.

Trojan (Mišel Matičević) bewegt sich vornehmlich im Auto durch die Stadt. Man sieht ihn durch die Fensterscheiben, er nimmt seinerseits die Stadt durch diesen Filter wahr. Und die Stadt selbst hat sich ebenfalls verändert. Die Oberflächen sind glatter, abweisender, kühler geworden. Waren die Fassaden der Gebäude aus den 1990er Jahren noch rau, vielfach mit Schichten von Graffiti bedeckt, die selbst wiederum durch Einschusslöcher aus dem Zweiten Weltkrieg wie perforiert wirkten, so kann man sich in den blank gewienerten Fassaden des neuen Berlins schemenhaft spiegeln. Hinein in diese Trutzburgen der globalen Investorennetzwerke gelangt aber nur, wer zum Zugang auch autorisiert ist.

Ein Filmstill aus Thomas Arslans „Dealer“ aus dem Jahr 1999 Foto: © Thomas Arslan

Die privatisierte Stadt spielt eine Hauptrolle in den jüngsten Filmen Arslans. Geradezu logisch, dass der Aufstiegstraum der Gestalten dieser Stadt in der sehr individualisierten und keinesfalls gesetzeskonformen Reichtumsumverteilung liegt.

Zehn- bis 20-minütige Sequenzen ließ Kurator Marius Babias aus den einzelnen Filmen herausschneiden und auf die parallel angeordneten Monitore einspeisen. Den Ton holt man sich über Kopfhörer. Das Arrangement fasziniert. Denn es wird einerseits offensichtlich, wie sehr Arslan den Stadtraum für seine Filme nutzt. Nicht nur als Bühne oder Kulisse, sondern als Mitspieler, der den menschlichen Prot­ago­nis­t*in­nen ihre Bewegungen aufzwingt. Der Stadtraum kreiert zugleich die Atmosphären, mal in Konkurrenz, mal im Zusammenspiel mit den Close-ups auf die Gesichter der Darsteller*innen. Deren Antlitz wird so selbst zur Stadtlandschaft.

Ein Filmstill aus Thomas Arslans „Der schöne Tag“ aus dem Jahr 2001 Foto: © Thomas Arslan

Die intensivsten Vergleiche zwischen dem Berlin, wie es früher war, und der aktuellen Stadt ergeben sich in der Doppelpräsentation von „Am Rand“ (1991) und „Am Rand Revisited“ (2024). Zwei Jahre nach Mauerfall schwenkte Arslan den Mauerstreifen ab. Die Kamera erfasste vor allem Brachen und Niemandsland. Teilweise gruben sich urtümliche Bagger ins Erdreich. Reste von Mauersegmenten wurden abgebaut. Auch Laubengrundstücke, die an die Mauer grenzten, fallen ins Auge. Einige Lauben gibt es auch jetzt noch, mehr als 30 Jahre später. Hinzugekommen sind Hinweisschilder auf Lokale in der Nähe. Überhaupt fällt das Mehr an Werbung auf. Und vieles, was einst Brache war, ist inzwischen zugebaut.

Wer die Filme in Langform sehen will, einzeln und hintereinander, nicht parallel, sollte ins Kino Arsenal gehen. Ab 15. Juni werden Arslans Berlin-Filme dort gezeigt. Aber auch Arslans Western „Gold“ (2013) über deutsche Auswanderer, die dem Goldrausch am Klondike erliegen, und der Uckermark-Streifen „Ferien“ (2017) werden ausgestrahlt. Hinzu nahm Filmkuratorin Birgit Kohler Arbeiten von filmhistorischen Vorbildern Arslans ins Programm wie etwa Orson Welles’ „Touch of Evil“ oder Barbara Lodens „Wanda“.

Thomas Arslan, n.b.k. und Arsenal, bis 4. August