Individualreisen in Albanien: Süchtig nach Geheimtipps

Albanien ist seit vielen Jahren ein Reise-Geheimtipp. Auch, weil dort kein Massentourismus herrscht. Woher kommt die Sehnsucht nach Authentizität?

Eine Person im Sonnenuntergang

Sonnenuntergang in Durrës in Albanien Foto: Pond5/imago

Die Fahrgäste im Minibus von Tirana nach Durrës sind hip und interna­tional. Sprachen aus halb Europa klimpern gedämpft vor sich hin, während wir zwischen Industriegebieten, Plastikmüllbergen und Wildwiesen Richtung Adriaküste fahren. Einer der wenigen Albaner im Gefährt kennt das Wi-Fi-Passwort und erfreut sich großer Popularität.

Albanien ist seit so vielen Jahren ein Geheimtipp, dass es noch etwa so geheim ist wie Berliner Clubkultur. Und auch ich bin hier mit einer gewissen Black-Friday-Denke: Schnell noch vor dem Massenansturm Albanien sehen, solange es noch billig und einigermaßen authentisch ist. Schnell noch auf die Suche nach – was eigentlich?

Ich spaziere durch Durrës, die zweitgrößte Stadt des Landes. Die palmengesäumten Straßen sind erfüllt von ewig lärmendem Autoverkehr. Ein Shop verkauft gigantische rote Plüschbären, Graffitis klagen die Verschmutzung der Flüsse an, am Meer finden sich moderne Hochhauskomplexe und ein austauschbarer Pier, im Stadtzentrum sanierte Moscheen und die große Ruine des antiken Amphitheaters.

Leute in Deutschland, denen ich die Fotos schicke, sind überrascht: Das sei doch sicher nicht repräsentativ für Albanien? Ich weiß nicht, was sie erwartet haben. Vielleicht mehr bröckelnden Putz, mehr Schafhirten, mehr Balkanschluchten. Wenn ich ehrlich bin, waren das auch Bilder, nach denen ich gesucht habe. Die Prekarität, die mir authentisch vorkam.

Zu Fremd?- Nein Danke

Reisende suchen nichts so sehr wie ein authentisches Erlebnis. Meist aber meint das: ärmliche Folklore. Ein wildromantisches Gestern vielleicht, das man in der eigenen Postmoderne verloren glaubt. Eine Zeitreise mehr als eine Ortsreise. Zu fremd soll es nämlich auch für die meisten Back­pa­cke­r:in­nen nicht sein – Pakistan oder Tschad, nein danke. Eher eine kontrollierbare Wildnis wie in einem Nationalpark, eine beherrschbare und beherrschte Andersartigkeit. Eine, die auch vor Ort schon das Parfüm von vorgestern versprüht.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

In einem Café in Durrës esse ich Lakror, einen gefüllten herzhaften Kuchen. Die Albaner um mich rum nehmen Pommes und Fleisch, aber Lakror wird als „traditionelle Speise“ beworben – und sollte ich nicht was authentisch Albanisches probieren? Der Kellner serviert in perfektem Englisch. Auf dem Fernseher läuft ein Schwarz-Weiß-Streifen mit Partisanen­szenario. Da gibt es niedliche Bergdörfer, wackere schnauzbärtige Bauern im Schafspelz, zähe Omis mit Kopftüchern und wohlerzogenen Enkeln.

Bilder, die mir vertrauter sind als jene um mich rum. Ich schaue den Männerrunden in dem tatsächlich recht untouristischen Café zu, es wird ein guter Nachmittag. Obwohl ich, zugegeben, mehr Lust auf Pommes hatte.

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Jahrgang 1991, studierte Journalismus und Geschichte in Dortmund, Bochum, Sankt Petersburg. Schreibt für die taz seit 2015 vor allem über politische und gesellschaftliche Sportthemen zum Beispiel im Fußball und übers Reisen. 2018 erschien ihr Buch "Wir sind der Verein" über fangeführte Fußballklubs in Europa. Erzählt von Reisebegegnungen auch auf www.nosunsets.de

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