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Träume von der blau-grünen Welle

Bei der Kommunalwahl in Sachsen treten auch die rechtsextremen „Freien Sachsen“ an – und könnten der AfD Mehrheiten verschaffen

Von Konrad Litschko

Christian Fischer und Lutz Giesen stehen auf dem Marktplatz von Leisnig und lächeln. Seit Wochen machen die Freien Sachsen in der 6.500-Seelen-Stadt zwischen Leipzig und Dresden Wahlkampf: mit Ständen, Flyern, Pumpkaffee und Lautsprecherwagen. Auch ein Kinderfest plante die rechtsextreme Kleinstpartei für Samstag, doch das Unwetter machte es zunichte.

Bei der Kommunalwahl am Sonntag wolle man „die da oben aus den Parlamenten jagen“, rief der 41-jährige Schlosser Fischer zuletzt. Seine Partei werde „Politik endlich wieder für Deutsche machen“. In Leisnig treten die Freien Sachsen mit 5 Kandidaten an und wollen in Fraktionsstärke in den Stadtrat einziehen – und dort nicht bloß eine Statistenrolle. „Wir wollen mitbestimmen“.

So vollmundig treten die Freien Sachsen derzeit nicht nur in Leisnig auf, sondern im ganzen Bundesland. Von einer „weiß-grünen Welle“ tönen sie, von einem „Sturm auf die Rathäuser“. Das wird so nicht kommen, die Konkurrenz der AfD ist groß. Aber tatsächlich treten die Freien Sachsen erstmals in allen Landkreisen zur Kreistagswahl an, mit immerhin 493 Kandidierenden und weiteren bei den 36 Stadtratswahlen. Die Partei könnte danach der AfD zu Mehrheiten verhelfen.

Erst drei Jahre sind die Freien Sachsen alt, gegründet von dem Rechtsextremisten und Anwalt Martin Kohlmann, der schon die rassistischen Aufmärsche in Chemnitz 2018 befeuerte. Seitdem mobilisiert die Partei sachsenweit zu rechten Protesten, wo immer sich Gelegenheiten bieten: erst gegen die Coronamaßnahmen, dann bei den Bauern, nun wieder gegen Geflüchtete. Frühere NPD-Aktivisten tummeln sich dort, Kameradschaftler, Coronaleugner, Reichsbürger. Der Leisniger Christian Fischer kommt aus der völkischen Siedlerbewegung, war bei der NPD-Jugend. Das ist Konzept: Die „Freien Sachsen“ erlauben explizit doppelte Parteimitgliedschaften, sehen sich als „Sammlungsbewegung“. Man distanziere sich „von niemandem“, betont Fischer.

Die Partei zog vor Häuser von Bür­ger­meis­te­r*in­nen oder blockierte einen Grenzübergang

Der Ton ist brachial. „Handschellen müssen klicken“, heißt es auf Wahlplakaten. Regierende Politiker werden als „Politverbrecher“ bezeichnet, Geflüchtete durchweg als Kriminelle. Die Partei zog vor Häuser von Bür­ger­meis­te­r*in­nen oder blockierte einen Grenzübergang. Sie wollen Geflüchteten alle Sozialleistungen entziehen und einen „Säxit“, also einen Austritt Sachsens aus der Bundesrepublik. Ziel ist eine neue, „gründliche Wende“. Auf Telegram zählen die Freien Sachsen 140.000 Follower. Mitglieder hat die Partei nach eigenen Angaben 1.200.

Der sächsische Verfassungsschutz stuft die Partei als rechtsextrem ein, ihr Präsident Dirk-Martin Christian sieht die Partei als „Mobilisierungsmaschine“. Ihre Hetze hat schon heute Folgen. Als zuletzt der CDU-Bundestagsabgeordnete Marco Wanderwitz in Zwönitz bei einem Stadtgespräch auftreten wollte, musste dies nach Protestaufrufen der Freien Sachsen abgesagt werden. Der Verfassungsschutz wirft der Partei „gezielte Bedrohungsszenarien“ gegen Politiker vor. Parteichef Kohlmann wie auch die Leisniger Fischer und Giesen sind alle wegen Volksverhetzung verurteilt.

Ihren Aktivitäten tut das keinen Abbruch. In Leisnig sind die „Freien Sachsen“ bisher nicht im Stadtrat vertreten. Aber keine Partei sei im Wahlkampf so aktiv, sagt die Grüne Maria-Christin Anderfuhren, die auch im örtlichen Demokratiebündnis aktiv ist. Die Resonanz auf dem Marktplatz sei überschaubar. Aber Fischer und seine Mitstreiter nutzten jede Gelegenheit, um „Ängste und Hetze zu schüren“. In der Szene seien sie bestens vernetzt, ihre Aktionen gut organisiert, sie müssten irgendwelche Geldgeber haben. Und sie gingen bewusst in Vereine oder die Feuerwehr und stießen dort auf wenig Gegenwehr. „Die haben einen Plan, und der geht bisher auf“, warnt Anderfuhren. „Ich habe den Eindruck, dass den wenigsten bewusst ist, dass hier eine rechtsextreme Agenda verfolgt wird.“

Auch die AfD ist in Leisnig bisher nicht im Stadtrat, nun tritt auch sie vor Ort zur Wahl an. Aber ihre Chancen stehen gut: Landesweit liegt die Partei in Umfragen bei 34 Prozent, vor allen anderen Parteien. Nach der Wahl am Sonntag könnte sie in mehreren Kreistagen und Stadträten mit den Freien Sachsen gemeinsame Sache machen. Zwar führt die AfD die Freien Sachsen auf einer Unvereinbarkeitsliste – auf der Straße standen beide Parteien aber zuletzt schon gemeinsam. Und auch in Leisnig rechnet die Grüne Anderfuhren damit, dass sich AfD und Freie Sachsen zusammentun. „Inhaltlich liegen die ja nicht weit auseinander.“

Bei den Freien Sachsen tummeln sich Omas, verurteilte Volksverhetzer, NPD-Aktivisten, Kameradschaftler, Coronaleugner, Reichsbürger. Hier eine Demo in Chemnitz im März 2024 Foto: Härtel Press/imago

Auch der sächsische Verfassungsschutz sieht „zunehmend Kooperationen“ zwischen AfD und Freien Sachsen, auch wenn das Verhältnis „ambivalent“ und ein Konkurrenzkampf um Wäh­le­r*in­nen bleibe. Der Leipziger Soziologe Johannes Kiess, der sich viel mit den „Freien Sachsen“ beschäftigt, ist überzeugt: „Es liegt absolut nahe, dass beide Parteien auch zusammenarbeiten, wenn sie zusammen in Parlamenten sitzen.“ Die Freien Sachsen nennt er einen „Scheinriesen“. In Hochburgen könnten sie aber bis zu 15 Prozent der Stimmen erhalten – und den Diskurs weiter vergiften, Parlamentssitzungen chaotisieren.

Freie Sachsen-Chef Kohlmann machte klar, dass seine Partei in den Parlamenten nur vom „Gegner“ lernen wolle, „um ihm das Leben schwerer zu machen“. Der Leisniger Christian Fischer erklärte, er wolle im Stadtrat Informationen einfordern, etwa zu den Zuzügen von „Südländern“.

Und man wolle mitbestimmen und „Mehrheiten erzeugen“, so Fischer in einem Video. „Um später andere Dinge angehen zu können.“