Späte Debatte um frühes Wählen

Lehrerverbandschef Düll hält 16-Jährige für nicht reif genug und erntet damit Widerspruch

Von Ralf Pauli

Wenn am Sonntag über die Zukunft der EU abgestimmt wird, dürfen in Deutschland erstmals auch 1,4 Millionen 16- und 17-Jährige ihre Stimme abgeben. Im November 2022 hat die Ampelregierung das Wahlalter für die Europawahl von 18 auf 16 Jahre herabgesetzt. Damit ist Deutschland eines von insgesamt vier EU-Ländern neben Malta, Österreich und Belgien, die Minderjährige am 9. Juni wählen lassen.

Einer, der das kritisch sieht, ist Lehrerverbandschef Stefan Düll. Gegenüber der taz sprach er sich gegen das Wahlalter 16 aus: „Ich glaube nicht, dass Jugendliche in dem Alter schon über dieselbe Reife verfügen wie 18-Jährige“. Gegenüber anderen Medien hatte Düll zuvor behauptet, dass sich ein Großteil der Minderjährigen „nicht die Bohne für Politik mit ihren vielen Facetten“ interessiere. Die Formulierung bezeichnete Düll im Nachhinein als „unglücklich“.

Eine am Mittwoch durch die Bertelsmann-Stiftung veröffentlichte Umfrage scheint Dülls Aussagen jedoch zu bestätigen: Demnach wollen gerade mal 57 Prozent der Befragten im Alter von 16 bis 25 Jahren bei der Wahl zum Europäischen Parlament ihre Stimme abgeben. Bei den Älteren zwischen 26 und 69 Jahren sind es allerdings auch nur 62 Prozent.

Dass Menschen unter 18 die Reife für eine politische Wahl fehle, wie auch CDU/CSU glauben, ist umstritten. Dem Berliner Politikwissenschaftler Thorsten Faas leuchtet das Argument nicht ein. „In unseren Studien haben wir 15- bis 20-Jährige verglichen und keine Unterschiede hinsichtlich Wissen oder Interesse gefunden“, sagte Faas der Nachrichtenagentur AFP.

Auch aus Sicht der Bundesschülerkonferenz treffe Dülls „zu pauschales Urteil“ nicht zu. „Ich kenne sehr viele Jugendliche, die sich sehr für Politik interessieren“, sagt Generalsekretärin Louisa Basner der taz. Das zeige die hohe Beteiligung an den U-18-Wahlen, die Schulen vor Bundestags, Landtags- und Europawahlen abhielten. „Selbst mitbestimmen zu dürfen, steigert natürlich das Interesse an einer Wahl“, so Basner. An ihrer Schule sei die Europawahl deshalb gerade bei den 16- und 17-Jährigen ein großes Thema.

Basner sieht jedoch auch die Schulen in der Pflicht, mehr aktuelle politische Themen im Unterricht zu behandeln – und das Wahlalter generell auf 16 abzusenken. Vergangene Woche erst hatte Familienministerin Lisa Paus (Grüne) plädiert, das Wahlalter auch für Bundestagswahlen auf 16 abzusenken.

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