Spitzenpolitik in Vietnam: Strippenzieher wird Präsident
Vietnams Kommunistische Partei nominiert den Hardliner und bisherigen Sicherheitsminister To Lam zum Staatsoberhaupt. Seine Wahl gilt als sicher.
Die Wahl ist für Pfingstmontag in der Nationalversammlung angesetzt. Es gibt wenig Zweifel, dass sie erfolgt. 2023 jedoch wollte der 66-jährige To Lam schon einmal Staatspräsident werden, bekam im Parlament des Einparteienstaates dafür aber keine Mehrheit. Er war umstritten als innenpolitischer Hardliner, aber auch als jemand, der mitten in der Pandemie, als es der Bevölkerung wirtschaftlich schlecht ging, in einem Londoner Luxusrestaurant ein vergoldetes Steak verzehrte, was der Betreiber des Ladens in den sozialen Medien dokumentierte.
Laut Urteil des Berliner Kammergerichtes von 2018 ist To Lam zudem Auftraggeber der Entführung des nach Deutschland geflohenen früheren Wirtschaftsfunktionärs Trinh Xuan Thanh von Berlin nach Hanoi im Juli 2017. Es gibt auch wenig Zweifel, dass er Entführungen von oppositionellen Publizisten aus Thailand in Auftrag gegeben hat.
Für den Strippenzieher To Lam geht es bei der Wahl um alles. Denn wenn Anfang 2026 nach dem 14. Parteitag die Positionen in Partei und Staat neu besetzt werden, kann er aus Altersgründen nicht erneut Minister werden. Nur für die vier höchsten politischen Ämter in Partei und Staat (Parteichef, Staatspräsident, Ministerpräsident, Parlamentschef) gibt es keine Altershöchstgrenze. Bekommt To Lam nicht einen dieser Posten, bleibt ihm nur die Rente.
Und da hat er als Sicherheitsminister vorsorglich gleich mal zwei Funktionen im Führungsquartett freigeräumt. Sowohl der Staatspräsident als auch der Parlamentspräsident mussten in den letzten Wochen ihre Ämter wegen angeblicher Korruptionsvorwürfe räumen. Wären sie nicht „freiwillig“ gegangen, hätten sie mit Strafen rechnen müssen.
Dabei ist bezeichnend, dass die Vorwürfe gegen den bisherigen Staatspräsidenten mehr als zehn Jahre zurückliegen. Und dem sehr fähigen bisherigen Parlamentspräsidenten wurden nicht einmal eigene Korruptionshandlungen vorgeworfen. Vielmehr ging es um die Korruption eines Mitarbeiters.
Unter ähnlichen Umständen musste auch schon der Gesundheitsminister sein Amt räumen, der Vietnam äußerst erfolgreich durch die Pandemie gebracht hatte, sowie mehrere Spitzendiplomaten.
Seit 2016 hatte sich Vietnams KP unter Führung des inzwischen greisen und kranken Nguyen Phu Trong den Kampf gegen die Korruption auf die Fahnen geschrieben. Die ist in Vietnam in der Tat weit verbreitet, denn ohne Bestechung bekommt man weder eine Baugenehmigung noch einen lukrativen Arbeitsplatz. Doch statt sich mit den strukturellen Ursachen der Korruption zu befassen, maßregelt Vietnam einzelne Protagonisten.
„Trongs Antikorruptionskampagne haben Partei-Hardliner vorangetrieben. Sie haben Mitglieder der höchsten Führungsriege gestürzt und so den Weg für sich selbst geebnet,“ schreibt der australische Vietnamexperte Carl Thayer. Allein im Jahr 2023 wurden nach Recherchen der BBC 459 Parteikader wegen „Korruption“ ausgesondert. Die Nachfolger kommen meist aus Polizei, Militär oder dem Ideologieapparat. „Die Polizei übernimmt nach und nach die Macht“, sagte der britisch-tschechische Journalist David Hutt der BBC.
Vietnams bekanntester Dissident, der im deutschen Exil lebende Nguyen Van Dai, kann der Nominierung To Lams zum Präsidenten bei aller Kritik auch etwas Gutes abgewinnen. Er sagte der taz: „Dann ist To Lam nicht mehr der Herr über die Ermittlungsakten und hat womöglich sogar weniger Einfluss als in seiner bisherigen Funktion.“ Auf der anderen Seite geht Dai davon aus, dass To Lam auf dem nächsten Parteitag Anfang 2026 den Posten des Parteichefs anstrebt, Vietnam wichtigstes politisches Amt. Wenn er schon dem Führungsquartett angehört, hat er gute Chancen den Posten auch zu bekommen.
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