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Nachhaltige ForstwirtschaftHessen will kein FSC-Siegel mehr

Die schwarz-rote Landesregierung findet die Vorschriften des FSC-Siegels in Zeiten des Klimawandels zu starr. Die Naturschutzverbände sind entsetzt.

Sehnsuchtsort, Lebensraum, Holzlieferant: ein Wald in Hessen Foto: dpa

Berlin taz | Die Landesregierung Hessen will die FSC-Zertifizierung seiner Wälder bis 2028 aussetzen. Die Regierungsfraktionen von CDU und SPD haben am Donnerstag einen entsprechenden Antrag im Hessischen Landtag gestellt. Umweltverbände äußerten sich entsetzt: „Mit großem Unverständnis haben die hessischen Naturschutzverbände NABU, BUND, die Hessische Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz sowie die Gewerkschaft IG BAU Hessen auf den Antrag reagiert.“

Der Forest Steward Council (FSC) legt Umwelt- und Sozialstandards im Wald fest und führt unabhängige Kontrollen durch, um diese Standards zu überprüfen. Sie werden dabei von In­ter­es­sen­ver­tre­te­r:in­nen aus den drei Bereichen Wirtschaft, Soziales und Umweltschutz gleichberechtigt erarbeitet. Der FSC Deutschland nimmt das Vorhaben „mit großem Bedauern“ zur Kenntnis.“

Der Hessische Forstminister Ingmar Jung (CDU) will die FSC-Zertifizierung aussetzen, weil „der FSC-Standard derzeit nicht flexibel genug“ sei, um die Folgen des Klimawandels angemessen zu berücksichtigen. Auflagen wie durch das FSC-Siegel würden die Anpassung des Waldes an den Klimawandel zusätzlich erschweren.

Martin Häusling, EU-Abgeordneter aus dem hessischen Bad Zwesten, sieht das anders: „Gerade in Zeiten der Zwillingskrise von Klimakrise und Artensterben ist ein Mehr von ökologischer Bewirtschaftung das Gebot der Stunde.“ Mit dem FSC könnten dafür Lösungsansätze gefunden werden. Die Zertifizierung des FSC dürfe „daher auch in Hessen nicht ausgesetzt werden und muss Maßstab für die Hessischen Staatsforsten bleiben“, so Häusling.

Befreiungsschlag oder Kahlschlag?

Der FSC befürchtet, dass das Aussetzen der externen Kontrollen bei manchen als „Befreiungsschlag“ empfunden werde und dass zum Beispiel der Natur- und Bodenschutz gegenüber wirtschaftlichen Interessen an Bedeutung verlieren könnte. Ohne die FSC-Zertifizierung dürfen Gebiete flächig befahren, der Boden bearbeitet und großflächig nichtheimische Baumarten gepflanzt werden.

Während des Aussetzens will die hessische Landesregierung die Standards evaluieren. Es soll geprüft werden, „ob sich die waldbaulichen und naturschutzfachlichen Ziele ohne Anwendung dieser Standards und unter Berücksichtigung der Auswirkungen des Klimawandels effizienter und unbürokratischer erreichen lassen“, formuliert der Antrag. Aus Sicht der Naturschutzverbände wäre eine Evaluierung aber auch ohne ein Aussetzen der Zertifizierung möglich.

Die Verbände wie BUND und NABU betonen, dass unter einem Aussetzen der Zertifizierung vor allem das Vertrauen in die Forstwirtschaft leide. Die FSC-Zertifizierung „hat einen langjährigen Streit zwischen Forstwirtschaft und Naturschutz befriedet“, sagt Maik Sommerhage, Landesvorsitzender des NABU. „Die Pflichten des Landes bleiben gleich, die Kosten auch, es kommt nur ein großer Imageverlust für das Land Hessen und seinen Landesbetrieb HessenForst hinzu“, betont Andrea Pfäfflin, Waldexpertin im Landesvorstand des NABU: „Wer möchte denn ein Auto ohne TÜV-Plakette kaufen, nur weil der Verkäufer verspricht, alles wäre schon in Ordnung?“

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4 Kommentare

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  • So, nach ein Bisschen herumstartpagen (und nach Beiseiteschieben vordergründigen Bla-Blas) ergibt sich folgendes Bild:



    (a) Die Forstverwaltung hält im Hinblick auf zu erwartende Klimaveränderungen einen gewissen Anteil an Douglasien für sinnvoll; FSC ist dagegen, weil standortfremd.



    (b) Die Zertifizierung verursacht Bürokratie und kostet Geld. Letzteres nicht zu knapp, die Zertifizierer wollen ja auch leben :-)

  • Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendeine Behörde, Waldbesitzer oder Land ohne eine Art Beaufsichtigung den Wald ökologischer und weniger wirtschaftlich bearbeitet - d.h. der vorhandene Wald wird sicherlich starker ökonomisch genutzt.

    Der FSC wurde zum Schutz der Diversität und der Böden eingeführt.

  • Die Aussetzung hört sich vernünftig an . Wie mir vor kurzem der oberste Förster Rumäniens erklärte, wurdeb die Regeln der EU für den Westen entwickelt und sind für den Osten zu starr und realitätsfern. Die Vermutung liegt nahe, dass dies auch für nationale Regeln gilt, in die sich Naturschutzverbände und Forstwirtschaft zwar bequem eingerichtet haben - aber wann nimmt der Klimawandel schon Rücksicht auf Bequemlichkeit?

    Ich erinnere mich stark an einen Bergrutsch am Trauf der Schwäbischen Alb (Firstwald). Was das für ein Kampf war statt Wiederaufforstung einen Urwald entstehen zu lassen- Die Natuschutzverbände sollten vielmehr den Mut zu unbekanntem Terrain haben und konstruktiv mitwirken. Werden sie letztlich auch tun. Sie wollen sich ja nicht mit der Schmollecke selbst verzwergen.

  • flächig befahren - joo, und dann Boden kaputt bis zur nächsten Eiszeit. So sieht das zumindest Peter Wohlleben. Kehrt hessenmensch dann irgendwann doch zum Standard zurück: isses halt noch mehr als zuvor (denn auch vor Ertseinführung des FSC wurde schon kaputtgemacht) nur noch ein Label: der Boden bleibt kaputt.