krieg in nahost
:

Die nächste Flucht

Israel hat die Kontrolle über den Grenzübergang Rafah übernommen. Dabei soll es sich noch nicht um die angekündigte Bodenoffensive handeln

Vom israelischen Militär vertriebene Palästinenser fliehen am 6. Mai aus Rafah nach Chan Junis Foto: Ramadan Abed/reuters

Aus Jerusalem Lisa Schneider

Das israelische Militär hat die Kontrolle über den Grenzübergang Rafah aufseiten des Gazastreifens erlangt. Das Militär veröffentlichte Bilder und Videos, die einen israelischen Panzer am Checkpoint zeigen, das eroberte Gebiet ist mit israelischen Fahnen markiert. Auch ein Video aus den sozialen Medien zeigt ein gepanzertes Fahrzeug, über dem eine gigantische israelische Fahne flattert, während es an der Grenze zwischen Ägypten und Gaza bei Rafah entlangfährt. Ein anderes Video zeigt, wie ein Panzer über einen „I love Gaza“-Schriftzug fährt. In Friedenszeiten war der Schriftzug – wie in anderen Städten auch – ein beliebtes Fotomotiv.

Bevor die Bodenoffensive in der Nacht zum Dienstag begann, wurden Zivilisten aus Ost- Rafah evakuiert. Am Montag hatte das israelische Militär dort Flugblätter abgeworfen und mit SMS und Aufrufen in den Medien zum Verlassen des Gebietes aufgerufen. Nach israelischen Angaben beschränken sich die Aktivitäten der Bodentruppen in Rafah bisher auf diesen Ostteil der Stadt, in dem sich auch der Grenzübergang nach Ägypten befindet.

Premierminister hatte Benjamin Netanjahu zuvor erklärt, auch den den Philadeplhi-Korridor wieder unter israelische Kontrolle bringen zu wollen. Der Korridor bezeichnet eine „Sicherheitszone“, die von der israelischen Grenze bis zum Meer reicht und Gaza von Ägypten abschneiden würde. Das Gebiet kontrollierte Israel bereits bis zum Rückzug aus Gaza im Jahr 2005.

Der Grenzübergang Rafah war bisher immer wieder geöffnet: zur Ausreise für Doppelstaatler aus Gaza. Zur Ausreise derer, die es schafften, die horrend hohen Summen von über 5.000 US-Dollar zusammenzubekommen, die das ägyptische Grenzregime für die Ausreise verlangte. Und für Hilfslieferungen, die teils über den Grenzübergang Kerem Schalom zwischen Gaza und Israel sowie über Rafah und einen weiteren Grenzübergang in Nord-Gaza abgewickelt wurden.

Nun ist der Übergang geschlossen, wie das Hilfswerk Ocha der Vereinten Nationen monierte: Ihnen sei der Zugang nach Gaza via Rafah verweigert worden. Der gesamte Treibstoff für den Gazastreifen wird durch Rafah geliefert. Ocha warnte, dass der vorhandene Treibstoff in Gaza nur noch für einen Tag reiche. Die Weltgesundheitsorganisation erklärte außerdem, dass Israel auch für Kranke und Verwundete den Grenzübergang Rafah geschlossen habe. Deren Ausreise sei derzeit somit nicht möglich.

Auch der Grenzübergang Kerem Schalom ist laut der Website der Cogat – der israelischen Behörde, die sich um die Hilfslieferungen nach Gaza kümmert – seit dem Beschuss von Soldaten nahe dem Übergang am Sonntag noch immer geschlossen.

Laut einem Bericht der israelischen Zeitung The Times of Israel soll der Pier, den die USA vor der Küste Gazas bauen, am Mittwoch fertiggestellt sein, die ersten Hilfslieferungen bald darauf erfolgen. Dass der Übergang in Rafah nun geschlossen ist, macht die Lieferung von Gütern über den Pier noch dringlicher.

Israel wil lediglich einer temporären Waffenruhe mit der Hamas zustimmen

Die derzeit stattfindende Operation sei noch nicht die von Premierminister Benjamin Netanjahu angekündigte Bodenoffensive, berichtet The Times of Israel unter Berufung auf eine Quelle im israelischen Staatsapparat. Was derzeit in Rafah passiere, diene dazu, den Druck auf die Hamas zu erhöhen, einem Geisel-Deal zuzustimmen. Offiziell gab Israel an, trotz der Offensive einem Deal gegenüber weiterhin offen zu bleiben.

Über einen Deal verhandeln Israel und die Hamas über die Vermittler Katar, Ägypten und die USA seit Wochen. Er soll erreichen, dass Geiseln aus Gaza freigelassen werden, dafür sollen palästinensische Häftlinge aus israelischen Gefängnissen freikommen. Die Crux an dem Deal ist der von der Hamas ebenfalls geforderte Waffenstillstand. Israel will lediglich einer temporären Waffenruhe zustimmen. Montagabend, als auch die Offensive des israelischen Militärs begann, gab die Hamas an, einem Deal zuzustimmen. Israel reagierte prompt: Der von der Hamas akzeptierte Vorschlag sei inakzeptabel.

Die Pläne einer Bodenoffensive auf Rafah hatten in den USA schon vor ihrem Beginn für Unmut gesorgt. Und obwohl das Weiße Haus immer wieder betonte, dass es fest an der Seite Israels stehe, wurden die Spannungen jüngst unübersehbar. Nach einem Bericht des Wall Street Journals soll die US-Regierung unter Präsident Joe Biden nun die Lieferung von bereits an Israel verkauften Waffen und Munition hinauszögern – zeitgleich mit dem Aufbau ­diplomatischen Drucks.