Abschiebungen „im großen Stil“ werden real

Nachdem der Bundeskanzler im Herbst schnellere Abschiebungen gefordert hatte, sind die Zahlen nun gestiegen. Besonders bei Menschen aus dem Irak schlagen Behörden zu

In mindestens 272 Fällen benutzten Beamte bei einer Abschiebung allein in diesem Jahr schon Gewalt: Abholung im Dezember aus einer Kirche in Schwerin Foto: Bernd Wüstneck/dpa

Von Cem-Odos Güler

Es ist ein Trend mit Ansage: Die Zahl der Abschiebungen aus Deutschland hat im Vergleich zum vergangenen Jahr deutlich zugenommen. Im ersten Quartal wurden nach Angaben der Bundesregierung 4.791 Menschen abgeschoben, das sind 34 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Die meisten Abschiebeflüge gingen nach Geor­gien, wie es in der Antwort auf die Anfrage der Linken-Abgeordneten Clara Bünger zu den Zahlen hieß.

Demnach nahmen aber auch die Abschiebungen von Menschen in den Irak deutlich zu. Menschenrechtsorganisationen kritisierten am Donnerstag Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der im Herbst in einem Spiegel-Interview Abschiebungen „im großen Stil“ gefordert hatte.

„Das ist genau die Haltung mit der die Bundesregierung nun vorgeht“, sagte Tareq Alaows von der Organisation Pro Asyl mit Blick auf Scholz' Aussagen aus dem Oktober zur taz. „Wenn wir Ezi­d*in­nen abschieben, obwohl wir vor zwei Jahren den Völkermord anerkannt haben, dann ist das auch ein Ausdruck dieser veränderten Haltung.“ Pro Asyl kritisiert, dass Deutschland allein zwischen Anfang Januar und Ende März 169 Menschen in den Irak abgeschoben hat. Zum Vergleich: Im gesamten vergangenen Jahr 2023 waren es 300 Menschen. Selbst nach Iran wurden in diesem Jahr bereits 4 Menschen abgeschoben.

Neben Georgien wurden zwischen Januar und März besonders viele Menschen nach Nordmazedonien (1.177), Albanien (1.104) und Moldau (997) abgeschoben. Die Bundesregierung betrachtet Georgien und Moldau seit dem 23. Dezember als sogenannte sichere Herkunftsstaaten: Die Bleibeperspektive für Menschen aus diesen Ländern ist deshalb gering und Abschiebungen in diese Länder können schneller vollzogen werden.

Die Rechtsanwältin Kareba Hagemann aus Göttingen sieht bei den zuständigen Ausländerbehörden eine neue „Euphorie“, gerade im Hinblick auf die Ausweisungen in den Irak. „Jetzt, wo das möglich ist, möchte man auch die hohen Zahlen auch erreichen“, sagte sie der taz. Niedersachsen habe Ende April Abschiebungen in den Irak wieder ermöglicht, nachdem diese lange Zeit ausgesetzt waren. Seitdem habe sie bereits zwei Angehörige der Volksgruppe der Êzi­d*in­nen vertreten, die ohne Vorwarnung in Abschiebehaft genommen worden seien.

Am 18. Januar hatte die Bundesregierung von SPD, Grünen und FDP das sogenannte Rückführungsverbesserungsgesetz beschlossen. Damit wurde die Dauer einer möglichen Abschiebehaft von 10 auf 28 Tage verlängert, außerdem sollen Abschiebungen nicht mehr angekündigt werden, sofern nicht Familien mit Kindern unter 12 Jahren betroffen sind.

Aus der Antwort auf die parlamentarische Anfrage der Linken-Abgeordneten Bünger geht hervor, dass unter den Abgeschobenen im ersten Quartal des laufenden Jahres 907 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren waren, die meisten von ihnen stammten aus Nordmazedonien. Demnach setzten Polizisten auch bei 272 Menschen von den insgesamt betroffenen 4.791 Abgeschobenen körperliche Gewalt ein.

„Ermuntert von der Politik wird bei Abschiebungen immer rücksichts­loser vorgegangen“

Clara Bünger, Linken-Abgeordnete

Bünger wirft der Bundesregierung „Abschiebewahn“ vor. „Die moralischen Hemmungen scheinen auf der Behördenseite zu schwinden, ermuntert von der Politik wird bei Abschiebungen immer rücksichtsloser vorgegangen“, erklärte sie.

Vertreter der Regierungsparteien wollten die gestiegenen Zahlen am Donnerstag gegenüber der taz zunächst nicht kommentieren. Abgeordnete der Grünen, SPD und FDP, darunter auch Spre­cher*­in­ner für Migrations- und Sicherheitsfragen, ließen Anfragen unbeantwortet, ob sie die vermehrten Abschiebungen als Erfolg betrachten.