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Staatstrauer und Feuerwerk

Nach dem Tod des iranischen Präsidenten Raisi wird erneut die große Spannung in dem islamischen Gottesstaat deutlich. Auch wenn mit dem Politiker ein wichtiger Vertreter der Unterdrückung verschwindet, hat das Mullah-Regime das Land immer noch im Griff

Nervös am Wrack: Die Absturzstelle wird untersucht Foto: Salam Pix/ABACAPRESS/imago

Von Daniela Sepehri

Es gibt kaum eine Person in der Islamischen Republik Iran, die so viel Blut an den Händen kleben hat wie Präsident Ebrahim Raisi. Das erklärt auch die Reaktionen auf den Tod des Regierungschefs. Während die Staatsmedien Raisi nach seinem Tod bei einem Hubschrauberabsturz als Märtyrer betrauern, feiern die Menschen in Iran in zahlreichen Städten des Landes mit Feuerwerk. Raisi war zusammen mit seinem Außenminister Amirabdollahian auf der Rückreise von einem Besuch im Nachbarland Aserbaidschan, als der Hubschrauber Sonntagnacht abstürzte.

In den 1980er Jahren war er als stellvertretender Generalstaatsanwalt von Teheran Teil einer vierköpfigen Todeskommission, die in minutiösen Schnellverfahren Abertausende politische Gefangene hinrichten ließ. Bis heute ist unklar, wie viele Gefangene tatsächlich, zum großen Teil außergerichtlich, hingerichtet worden sind. Frauen wurden vor der Exekution systematisch vergewaltigt, damit sie nicht als „Jungfrauen“ sterben und ins „Paradies“ kommen. Die Leichname wurden in Massengräbern verscharrt, das bekannteste ist der Khavaran-Friedhof. Die meisten Familien wissen bis heute nicht, wo ihre Angehörigen begraben liegen. Amnesty International spricht von einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Doch Konsequenzen gab es für den „Schlächter von Teheran“ nie. Im Gegenteil: Im Jahr 2019 wird Raisi Chef der Justiz. In diesem Jahr lässt das Regime mindestens 1.500 Menschen bei den Novemberprotesten auf der Straße erschießen. Bis heute droht zahlreichen Protestierenden die Hinrichtung. Kurz darauf wird er auf Wunsch des Obersten Führers Ali Khamenei im Jahr 2021 Präsident der Islamischen Republik und verantwortet die brutale Niederschlagung der „Frau Leben Freiheit“-Proteste im Herbst 2022.

Vor dem Hintergrund dieser Menschenrechtsverletzungen ist die Freude über Raisis Tod bei vielen Ira­ne­r*in­nen groß. In den sozialen Medien beglückwünschen sich Oppositionelle noch bevor die Meldung über den Tod des Präsidenten bestätigt war. In zahlreichen Städten Irans besetzten Basij-Milizen die Straßen, um Feierlichkeiten zu verhindern. Dennoch sind Bilder von Feuerwerken aus zahlreichen Städten zu sehen. Angehörige derer, die bei den „Frau Leben Freiheit“-Protesten getötet worden sind, teilten Videos, wie sie anstoßen. „Karma“ ist das Wort, das immer wieder fällt. Der Hubschrauber ist am ersten Jahrestag der Hinrichtung von drei Protestierenden der „Frau Leben Freiheit“-Bewegung aus Isfahan abgestürzt, in der Provinz Ost-Aserbaidschan, wo wenige Kilometer entfernt am selben Morgen mindestens fünf Gefangene im Urmia-Gefängnis hingerichtet worden sind, darunter eine 53-jährige krebskranke Frau.

Auch Ak­ti­vis­t*in­nen aus Syrien, Irak und weiteren Ländern freuen sich, immerhin ist der iranische Außenminister Abdollahian mitverantwortlich für den Terror in vielen Staaten gewesen.

Bei aller Freude ist jedoch auch klar, dass sich durch den Tod des Präsidenten nicht viel ändern wird im Land. Die eigentliche Regierungsmacht liegt nicht im Präsidentenamt, sondern im Büro des Obersten Führers Khamenei sowie der Revolutionsgarde.

Der Vizepräsident Mohammad Mokhber wird die Amtsgeschäfte übernehmen, bis ein neuer Präsident gewählt ist. Dies muss nach iranischer Verfassung in den nächsten 50 Tagen geschehen.

Laut Verfassung muss in 50 Tagen ein Nachfolger gewählt werden

Eine Kommission bestehend aus dem Vizepräsidenten Mokhber, dem Chef der Justiz Gholam Hossein Mohseni-Eje’i und dem Sprecher des Parlaments Mohammad Baqer Qalibaf sollen diese Wahlen organisieren. Letzterer wird durchaus als möglicher nächster Präsident gehandelt, zumal es derzeit kaum Alternativen gibt. Qalibaf versuchte bereits 2005 und 2013 Präsident des Landes zu werden.

Mit Raisis Tod ist nicht nur der Platz als Präsident der Islamischen Republik frei geworden, sondern auch als möglicher Nachfolger Khameneis. Für Khameneis Sohn Mojtaba Khamenei gibt es nun einen Konkurrenten weniger.

Es ist eine politische Krise für die Islamische Republik. Es fehlt an Alternativen, die Wahlen müssen in den nächsten Wochen stattfinden und die Bevölkerung kann es kaum abwarten, bis das Regime stürzt. Ob die Menschen diese Krise nutzen und erneute Straßenproteste entfachen, bleibt abzuwarten. Für sie ist jedoch eines klar: Auch mit einem neuen Präsidenten wird sich an ihrer Lage nichts ändern. Für sie sind die Kandidaten bloß weitere Marionetten Khameneis.