Proteste in Senegal: „Heute sind es echte Kugeln“

Senegals Sicherheitskräfte unterbinden mit harter Hand jeden Protest gegen die Absage des Wahltermins 25. Februar. Die Opposition lässt nicht locker.

Menschen bei Protesten, im Hintergrund eine brennende Barrikade.

Proteste in Senegals Hauptstadt Dakar am 9. Februar Foto: Zohra Bensemra/reuters

SAINT-LOUIS taz | Die Wut entlädt sich auf der Brücke, die die dicht besiedelte Langue de Barbarie und die zum Unesco-Weltkulturerbe gehörende Île de Saint-Louis miteinander verbinden. Am frühen Dienstagabend stehen in der Stadt Saint-Louis im Norden Senegals nahe der Grenze zu Mauretanien dutzende Jugendliche und junge Erwachsene den Sicherheitskräften gegenüber. Letztere haben schon am Mittag an den Brücken Stellung bezogen, damit sich mögliche Proteste nicht ausbreiten.

Die De­mons­tran­t:in­nen schauen auf den Platz Faidherbe, an dem der Gouverneurssitz liegt. Die Gendarmen schauen in die Abendsonne und fordern Pas­san­t:in­nen auf, weiterzugehen. Sie bleiben auch ruhig, als irgendwann ein Pflasterstein fliegt.

Die Szene wird auch von einigen Tou­ris­t:in­nen beobachtet. Die sitzen beim Aperitif in den zahlreichen Lokalen, die sich in den alten Häusern aus der Kolonialzeit befinden, oder lassen sich in einer Pferdekutsche den ältesten französischen Handelsposten an Afrikas Atlantikküste zeigen. Gegensätzlicher könnte es nicht sein.

Für Dienstag waren in Senegal Schweigemärsche angekündigt, um gegen die von Präsident Macky Sall veranlasste Verschiebung der Präsidentschaftswahl zu protestieren. In der Hauptstadt Dakar wurde der Marsch in letzter Minute verboten. „Aar Sunu Élection“ (Schützt unsere Verfassung), ein neuer Zusammenschluss aus der Zivilgesellschaft, kündigt neue landesweite Proteste nun für Samstag an.

Nicht mehr nur reden, sondern wählen
Porträt Ndeye Magatte Seck.

Ndeye Magatte Seck Foto: Katrin Gänsler

Die Protestierenden erkennen die Verschiebung der ursprünglich für den 25. Februar angesetzten Wahlen auf den 15. Dezember nicht an. Auf X postet der Parlamentsabgeordnete Guy Marius Sagna ein Foto, auf dem er Flyer für den Präsidentschaftskandidaten Bassirou Diomaye Faye hochhält, und schreibt dazu: „Wir sind im Wahlkampf.“

Darauf geht die Regierung von Präsident Macky Sall nicht ein. Etwa zeitgleich hat sie ein Imagevideo mit klarer Botschaft veröffentlicht: Ein „nationaler Dialog“ ist eröffnet und wird von den Altpräsidenten Abdou Diouf und Abdoulaye Wade unterstützt. Beide haben in einer gemeinsamen Erklärung alle politischen und gesellschaftlichen Kräfte zur Beteiligung daran aufgerufen. Auch dagegen richtet sich der Protest. Viele wollen nicht reden, sondern wählen, und zwar jetzt, nicht erst im Dezember. Der letzte „nationale Dialog“ ist nicht einmal ein Jahr her.

Auch Ndeye Magatte Seck will wählen. Die 23-Jährige studiert privates Handelsrecht und engagiert sich ehrenamtlich in ihrer Heimatstadt Saint-Louis als Generalsekretärin der internationalen Handelskammer für junge Un­ter­neh­me­r:in­nen (JCI) und Vizepräsidentin einer lokalen Bürgerinitiative. Von einer Dachterrasse blickt sie aufs Meer und hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Sie hat keine Lust mehr, dass ihr Leben von den Alten bestimmt wird und die Jungen keine Stimme haben, sagt sie. „Es heißt so oft: Das wisst ihr nicht. Dabei haben wir gute Ideen, manchmal sogar die besseren.“ Auch will sie sich nicht länger von der Politik fernhalten, obwohl ihre Eltern das wünschen.

Studierende im ganzen Land geschockt

Denn in den vergangenen zwölf Tagen ist für sie zu viel passiert, was sie schockiert und entsetzt. „Anfangs haben sie gegen Demonstrierende Tränengas eingesetzt, heute sind es echte Kugeln.“ Dann fällt ein Name: Alpha Yoro Tounkara. Der Geografie-Student ist eines der drei Todesopfer der Niederschlagung der Proteste am vergangenen Freitag und ein Freund von Ndeye Magatte Seck. „Wir stammen aus dem gleichen Dorf, kennen uns lange. Er war ein brillanter Student, sehr diszipliniert und sehr ruhig.“

Dass ausgerechnet er mitdemonstrierte, hat die junge Frau zunächst sogar verwundert. Es zeige aber, wie unzufrieden viele Se­ne­ga­le­s:in­nen mittlerweile seien, sagt sie.

Der Tod Tounkaras hat Studierende im ganzen Land geschockt. An seiner Universität Gaston Berger haben nach Informationen einer Dozentin am Wochenende Studierende die Straßen blockiert. Nach einem Aufruf der unabhängigen Hochschulgewerkschaft SAES wurde am Montag und Dienstag auch an der Assane-Seck-Universität in Ziguinchor in der Region Casamance im Süden Senegals gestreikt. Dort starb am Samstag der Gymnasiast Landing Camara.

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