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Schwungvoll übers LandRauf und runter, so wie das Leben

Ein Gericht, ein Song – oder eine Bewegung, die uns in die Kindheit katapultiert und glücklich macht. Für unseren Autor ist es das Schaukeln.

So schaukelt's sich im Tessin am Luganer See Foto: Mats Silvan/alimdi/imago

Es gibt nur wenige Momente im Leben eines Erwachsenen, in denen die eigene Kindheit plötzlich wieder zum Greifen nah ist. Gerüche aus Kindertagen haben solche Macht. Lieblingsessen von damals. Und ein ganz bestimmtes Bewegungsmuster: Schaukeln.

Meine Schwester und ich haben die Schaukel auf dem Spielplatz gleich neben dem Wohnblock in unserem westmecklenburgischen Heimatdorf geliebt. Ich wollte immer hoch hinaus, mit offenen Augen, den Himmel fest im Blick, selbstvergessen.

Meine Schwester schaukelt heute nicht mehr. Je älter sie wird, desto mehr Routinen gehen ihr verloren. Der Schaukel scheint sie schon lange nicht mehr über den Weg zu trauen. Alles, was schwingt und schwankt, passt nicht mehr in ihre ganz eigene, verschlossene, ja autistische Welt.

Aber in meine, bis heute. Immer wenn ich meine Schwester besuche, schaukele ich und hole mir so meinen Glücksmoment. Sie lebt in einer Wohnstätte für Menschen mit Behinderung in unserer alten Heimat, und da gibt es gleich mehrere Schaukeln auf dem Gelände am Dorfrand, auf denen auch Erwachsene Platz nehmen können, also auch Schwergewichte wie ich. Mein Blick geht beim Schaukeln immer noch nach oben, in die unendliche Weite. Mich macht das einfach glücklich. Und ja, schaukeln lässt sich zu jeder Jahreszeit.

Schaukeln hat eine philosophische Seite

Wilhelm Schmid empfiehlt das Schaukeln als Glückstechnik. Der in Berlin lebende Philosoph ist Bestsellerautor mit seinen klugen Büchern zur Lebenskunst. Nun hat er mit „Schaukeln – Die kleine Kunst der Lebensfreude“ (Inselverlag, Berlin 2023, 110 Seiten, 12 Euro) über das so beruhigende Schaukeln geschrieben. Schmid ist 70 Jahre alt und hat gerade „eine schwierige Zeit hinter sich“, wie er am Telefon erzählt, vor zweieinhalb Jahren ist seine Frau gestorben.

„Zur Lebenskunst gehört ohne jeden Zweifel, das Leben genießen zu lernen“, sagt er. Aber das wäre nur die eine Hälfte: Die andere Hälfte der Lebenskunst bestünde darin, mit den schwierigen Seiten des Lebens zurechtzukommen. Schmid hat das Schaukeln und „diese leichte wie schöne Bewegung“ bei der Trauerarbeit geholfen – auch im übertragenen Sinn: „Rausgehen, nicht in sich selbst verschließen“, sei sein Rat beim Verlust eines lieben Menschen.

Und eben rauf auf die Schaukel. „Das Hin und Her, das Rauf und Runter, so wie das Leben eben ist – das ist die philosophische Seite des Schaukelns.“

Und Schaukeln finden sich ja eigentlich überall. Man muss sich nur umsehen. Vor ein paar Monaten, erzählt Schmid, sei er auf Reisen in Vorarlberg in Österreich gewesen. „Da sind schon vor Jahren Schaukeln an Wanderwegen entlang aufgestellt worden, für Touristen eine wunderbare Sache.“ Schaukeln stehen zum Beispiel im Großen Walsertal. „Und jetzt erzählen Sie von dieser Initiative im Tessin, die ich bisher nicht kannte, das ist großartig und lässt darauf schließen, dass es an der Schaukel ein neues Bedürfnis gibt.“

Im Tessin in den siebten Himmel schaukeln

Ja, das Tessin, wo italienische Lebensart auf Schweizer Präzision trifft, ist ein guter Ort, um zu schaukeln. Auch ich war erst kürzlich da. Denn ein Mal im Tessin mit Blick auf das unglaublich schöne Alpenpanorama zu schaukeln, war ein lang gehegter Lebens­traum für mich.

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Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Um eine solche Schaukel zu erreichen, muss man einen Berg hinaufsteigen. Oberhalb des Künstlerdorfes Carona liegt ein riesiger Botanischer Garten, der Parco San Grato – die Stadt Lugano mit dem See und den Bergen ringsum ist nur 10 Kilometer entfernt. Schon der gemächliche Aufstieg lohnt, wer vom Dorf (mit dem Bus von Lugano aus gut zu erreichen) aus aufbricht, braucht gut eine Stunde hinauf. Im Park lockt auf 62.000 Quadratmeter Fläche eine allseits schöne Aussicht und Azaleen, Rhododendren, Koniferen, Nadelbäume. Und eine riesige Schaukel.

Die steht am höchsten Punkt – und ist gerade besetzt. Ein älteres Paar mit Kind ist schon am Schaukeln. Nach ein paar Minuten haben Opa und Kind (Oma machte Fotos) genug geschaukelt. Und wie war’s? „Einfach fantastisch“, sagt der Herr auf Schweizerdeutsch. Jetzt bin ich aber an der Reihe.

Die gigantische Panoramaschaukel baumelt an dicken Seilen zwischen zwei starken Bäumen. Der große, dicke Holzsitz ist angenehm warm. Unter den Füßen liegen ein paar kleine Steine und Sand und Nadeln, ringsum große Gesteinsbrocken – und vor einem sozusagen die weite Welt. Der Blick ist durch rein gar nichts verstellt und geht über den Landschaftspark hinweg auf den Lago di Lugano und die Alpen und eben in den Himmel. Wie schön ist das denn?! Man muss einfach Fotos machen.

Fabio Balassi und Elisa Cappelletti, die an diesem Nachmittag für ein Gespräch auf den Berg gekommen sind, haben die Panoramaschaukel erfunden und ihr Projekt „Swing the World“ genannt. Die Idee sei im Corona-Lockdown entstanden, erzählen die beiden, die nicht nur Geschäftspartner, sondern auch privat ein Paar sind. Damals hätten sie zu Hause gesessen und sich gefragt, was sie bloß „mit der ganzen Zeit machen sollten“, sagt Fabio Balassi.

Er erinnerte sich an früher: „Als Kind hatte ich in unserem Garten eine riesige Panoramaschaukel. Warum bauen wir nicht eine für uns beide? Nur so zum Zeitvertreib und weil Schaukeln schön ist.“ Schnell fanden sich Seile, ein Stück Holz, und kurze Zeit später war die erste Schaukel fertig. „Sozusagen der Prototyp.“

Die Schaukel sollte an einem schönen Ort hängen. Bei ihm zu Hause, im Dorf Lionza, sei es zwar „schon schön“, aber für ihn und seine Freundin, beide arbeiten als Fotograf:innen, noch nicht schön genug, erzählt Balassi. Ihre Schaukel sollte sich an einem Ort befinden, der eine wirklich atemberaubende Aussicht hat, mit anderen Worten: instagramtauglich ist. „Wir wollten einfach schöne Bilder haben.“

Die Entscheidung fiel auf den bekannten Wasserfall von Foroglio im Bavonatal. Balassi und Cappelletti hängten die Schaukel auf, machten ein paar Fotos für ihre Social-Media-Kanäle und bauten sie wieder ab, denn es brauchte eine Erlaubnis. „In meinem Tal fanden wir dann einen passenden Standort und bekamen die benötigten Genehmigungen von Kommune und Landeigentümer. Weil ich dort viele Leute kenne, ging das alles leichter“, sagt Belassi. Die erste Schaukel schaukelte in Rasa, einem kleinen Bergdorf im Centovalli-Tal.

Danach „hagelte es Anfragen“, erzählt Elisa Cappelletti auf Italienisch, ihr Freund übersetzt ins Deutsche. Da haben die beiden das Potenzial ihrer Geschäftsidee erkannt: Und sich mit der Frage der Produktion ihrer Schaukeln befasst. „Wir hatten ja nur den Prototyp.“

Mit der Zeit sei die Auswahl der Materialien und die Konstruktion verbessert worden, sagt Fabio Balassi. Das Holz ist Robinie, das 18 Millimeter starke Seil sieht wie ein Hanfseil aus, ist aber aus dem Kunststoff Polypropylen, der widerstandsfähiger ist als ein Naturmaterial. Im Seil verstecken sich vier Drahtseile. Die Stahlaufhängungen hat Balassi, der auch Maschinenkonstrukteur ist, selbst entworfen, damit die Seile nicht direkt am Baum befestigt werden und bei jeder Bewegung quietschen.

Mit ihrem breiten Sitz und den zwei Tonnen Tragkraft eignen sich die Schaukeln nicht nur für Single-Schaukler, sondern auch für zwei Liebende, die auf ihnen in den siebten Himmel schaukeln wollen. Seit dem Prototypen vor drei Jahren kamen immer neue Exemplare hinzu. Derzeit sind es 24 Schaukeln, 18 davon stehen im Tessin.

An schönen Standorten mit atemberaubenden Ausblicken mangelt es bekanntlich auch hierzulande nicht. Planen Fabio Balassi und Elisa Cappelletti, auch außerhalb von der Schweiz ihre Schaukeln aufbauen?

Ja, aber in kleinen Schritten, als Nächstes sei erst mal die Deutschschweiz dran, sagen sie.

Die höchste Schaukel der beiden steht übrigens auf 2.270 Meter auf dem Gemmipass in den Berner Alpen im Wallis. Unser Gespräch findet neben einer Schaukel auf 754 Meter Höhe statt. In gut eineinhalb Stunden lässt sich vom Landschaftspark Parco San Grato hinunter zur nächstgelegenen Panoramaschaukel wandern.

Dazu steigt man vom Berg kommend gen Ende der Strecke Stufe um Stufe herab und schaut aufs malerische Morcote mit der Kirche vor dem Luganer See. Die Kommune bestellte die Schaukel direkt für diesen Standort, für diesen Blick aufs Gotteshaus, das Wasser und die Berge. Auf ihr sitzend, Schwung holend, beseelt hin- und herschaukelnd, scheint die Zeit für einen Moment zu schweben – für einen Augenblick noch mal Kind sein, so fühlt es sich an. Den weiten Himmel und ein bisschen Glück gibt es gratis dazu.

Wenn beim Schaukeln die Gedanken fliegen

Wilhelm Schmid hat für diesen nostalgisch umwehten Moment das passende Sprichwort parat: „Wir werden das Kind schon schaukeln.“ Was nichts anderes bedeutet, als dass sich eine Problemlösung findet. „Auf so einer Schaukel kannst du in einen Flow, ja in Trance geraten und kommst dabei auf Ideen“, sagt Schmid. „Und weil die Gedanken frei hin und her fliegen, lösen sich dabei manchmal Probleme ganz von allein.“ Tja, wir sollten alle viel mehr schaukeln.

Transparenzhinweis:

Reise und Recherche wurde unterstützt von Ticino Turismo und Schweiz Tourismus.

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