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Identitätspolitik im WiederaufbauWelche Vergangenheit?

In Deutschland wird mit Architektur Identitätspolitik gemacht. Der Architekt Philipp Oswalt zeigt das in seinem Essay „Bauen am nationalen Haus“.

Die „gute alte Zeit“: Die Rekonstruktion des Berliner Schlosses erfolgte nach einem Ideal seines Zustands vor 1918 Foto: Olaf Schuelke/imago

Was haben die Paulskirche und die Dom-Römer-Zeile in Frankfurt am Main, das Berliner Stadtschloss, die Garnisonkirche in Potsdam und das Meisterhaus-Ensemble in Dessau gemeinsam? Sie alle sind im Zweiten Weltkrieg zerstört und später wieder aufgebaut worden. Diese fünf sehr unterschiedlichen architektonischen Rekonstruktionen verlorener Originalgebäude finden sich nun als Fallbeispiele in dem schlanken, schlauen Buch „Bauen am nationalen Haus. Architektur als Identitätspolitik“ von Philipp Oswalt, Professor für Architekturtheorie in Kassel und ehemaliger Direktor der Stiftung Bauhaus Dessau.

Oswalts Buch ist keine fundamentale Forschungsarbeit zum tonnenschweren Thema. Er serviert einen locker geschriebenen, persönlichen und meinungsstarken Essay, der gelegentlich ins Polemische abschweift.

Die Beispiele des Berliner Stadtschlosses, der Potsdamer Garnisonkirche und der Rekonstruktion von 35 Altstadthäuschen in der Frankfurter Innenstadt sind ihm ein Beleg dafür, wohin sich der Diskurs um einen Wiederaufbau von historischen Gebäuden in Deutschland zuletzt verschoben hat. Denn bis in die 1980er Jahre hätten moderne und historisierende Architektur weitgehend koexistiert. Schon vor der Wende seien aber in West- wie Ostdeutschland zunehmend Bauvorhaben entstanden, die nicht nur kriegszerstörte Stadtbilder wiederherstellen sollten, sondern im Grunde die Revision deutscher Geschichte einforderten. Man will, beobachtet Oswalt, an Zeiten vor 1918 anknüpfen. Die Moderne hingegen lehnt man als „Irrweg“ mit aller Härte ab. Ihre Bauten zugunsten der Rekonstruktionsprojekte abzureißen, sei folglich legitim.

Die Zeitläufte zurückdrehen

Das Buch

Philipp Oswalt: „Bauen am nationalen Haus. Architektur als Identitätspolitik“. Berenberg Verlag, Berlin 2023, 240 Seiten, 22 Euro.

Ein frühes Beispiel in der Debatte ist für Oswalt die Frankfurter Paulskirche. Diese wurde 1947/48 mit Spenden aus Ost- und Westdeutschland nach Plänen von Rudolf Schwarz wiedererrichtet. Die Innenräume ließ Schwarz damals in modernistisch vereinfachter Form gestalten, nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen, sondern aus Überzeugung. Die Kirche sollte zum Symbol des Wiederaufbaus und der Nachkriegszeit werden, so wie der Originalbau es für die Entstehung der Demokratie in Deutschland war. Aber über ebendiesen doppelten Symbolbau brach in den 1980ern eine von der CDU initiierte Debatte aus, ob die Kirche nicht in den Originalzustand von 1848 zurückzubauen sei. Da ging es um das Zurückdrehen der Zeitläufte, wenigstens optisch.

Ähnliche Motive sieht Oswalt beim Berliner Stadtschloss und der Garnisonkirche in Potsdam. Oswalt schreibt flott und kenntnisreich, er hat sich mit diesen Fällen jahrelang beschäftigt und in den Debatten kritisch zu Wort gemeldet. Handwerkliche Fragen streift er nur, etwa diejenige um eine oft bemühte „Authentizität“, wie solche Gebäude überhaupt seriös rekonstruiert werden können, wenn fast keine Originalsubstanz erhalten blieb. Oswalt geht es um die gesellschaftspolitische Dimension.

Daher stehen im Buch die Netzwerke und Akteure im Vordergrund, die diese Rekonstruktionsprojekte bis heute vorantreiben. Und deren Wurzeln gelegentlich tief im nationalistischen oder rechtsextremen Milieu verankert sind: Die Initiative zum Wiederaufbau der Garnisonkirche ging in den 1980er Jahren von rechtsextremen Soldatenkreisen im nordrhein-westfälischen Iserlohn aus. Damit sei eine eindeutige politische Agenda hinter dem Neubau – inklusive Glockenspiel und Kriegstrophäen in der Fassade – sichtbar, die sich erstaunlich unkritisch bis heute in den Wiederaufbauplänen der evangelischen Kirche unter Schirmherrschaft des aktuellen Bundespräsidenten wiederfindet.

Nicht jede Rekon­struk­tion muss schlecht sein

Zuletzt nennt Oswalt ein Projekt, das er selber als einstiger Direktor der Stiftung Bauhaus Dessau mitverantwortet hat: die Rekonstruktion des Ensembles der Meisterhäuser von Walter Gropius in Dessau. Auch hier waren Gebäude durch Fliegerbomben im Zweiten Weltkrieg verloren gegangen und auf der entstandenen Brache ein Haus errichtet worden. An dessen Stelle wurde nach jahrzehntelanger Debatte die Gruppe der Meisterhäuser wieder vervollständigt – allerdings nicht in originalgetreuer Weise, als seien die Brüche des 20. Jahrhunderts nie passiert, sondern abstrakt interpretierend durch die Berliner Architekten Bruno Fioretti Marquez. Nicht jede Rekon­struk­tion muss also eine revisionistisch-schlechte sein.

Der zeitgenössischen Architektur – anders als der oft gehörte pauschale Vorwurf – sei ein mutiger und kritischer Umgang mit der Vergangenheit zuzutrauen. Und das vermöge die Rekonstruktion in Dessau ebenso wie Rudolf Schwarz’ Paulskirche, oder auch der Wiederaufbau des Neuen Museums in Berlin nach Plänen von David Chipperfield. Der Erfolg dieser Rekon­struk­tio­nen bei einem breiten Publikum zeige zudem, wie wenig an dem Argument dran sei, die zeitgenössische Architektur könne keine Identifikationsbauten mehr schaffen – keine gemütliche Heimat für die volksdeutsche Seele, eben kein nationales Haus. Durch diesen argumentativen Dreh wird Oswalts Buch ein wertvoller Beitrag in der immer noch wütend geführten Rekon­struk­tions­debatte.

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1 Kommentar

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  • Die wieder errichteten Gebäude stehen in keinem Zusammenhang mit dem Willen nach einer Geschichtsrevision. Es hat sich lediglich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die sogenannte "Moderen" unter ästhetischen Gesichtspunkten nicht mit den alten Gebäuden mithalten kann.

    Die Freiheiten, die Beton und Glas mit sich bringen, führen halt seltend zu etwas Schönem und sind allenfalls in Form einer Ergänzung (Glaskuppel des Reichsstages, Bau am DHM) zu etwas wirklich Ansehnlichen.