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Polens neuer MinisterpräsidentTusk vor dem Spagat

Kommentar von Barbara Oertel

Der Weg für Donald Tusk als Ministerpräsident ist frei. Doch er will es allen recht machen und muss mit PiS-Hinterlassenschaften kämpfen.

Donald Tusk am 12. Dezember im Parlament in Warschau Foto: Marcin Obara/epa

A llen Skep­ti­ke­r*in­nen zum Trotz, die davon ausgingen, die rechtsnationale Partei PiS werde sich eine letzte Volte ausdenken, um nicht von der Macht lassen zu müssen: Der Weg für Donald Tusk ist frei. Dass die alte Regierung noch nicht einmal in der Lage ist, ihren Abgang würdig zu gestalten, zeigen die Einlassungen von PiS-Chef Jarosław Kaczyński. Er bezeichnete Polens nächsten Ministerpräsidenten am Montag im Sejm als „deutschen Agenten“.

Die Aufgaben, die auf Tusk und seine Mannschaft zukommen, sind riesig. Das gilt sowohl in Bezug auf die Erwartungen ihrer Wäh­le­r*in­nen als auch für die Herausforderung, eine tief gespaltene Gesellschaft zu versöhnen. Leisten soll das eine Koalition aus drei Parteien, in der programmatische und weltanschauliche Differenzen überbrückt und in eine konsistente Politik übersetzt werden müssen. Ein Blick auf den Zustand der Ampel in Berlin dürfte als Beispiel dienen, wie man es nicht machen sollte.

Ob Tusk jedoch zum „Brückenbauer“ taugt, wird sich zeigen. Nur eine der Sollbruchstellen ist das rigide Abtreibungsrecht, dessen Liberalisierung eine zunehmend radikalisierte und protestaffine Frauenbewegung vehement einfordert. Noch stellt sich das liberal-konservative Bündnis Dritter Weg dagegen.

Auch der im Koalitionsvertrag festgeschriebene Ausbau des Wohlfahrtsstaats bei gleichzeitigen Steuererleichterungen zwingt zum Spagat. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Die PiS bleibt omnipräsent

Die reformbedürftigen öffentlich-rechtlichen Medien, die die bisherige Regierung zu ihrem Propagandainstrument umfunktioniert hat, sind genauso ein Minenfeld wie die Kultur. Auch hier ist die PiS noch omnipräsent.

Tusks dickstes Brett ist jedoch die Wiederherstellung des Rechtsstaats. Hier die Brechstange in Form schneller und harter Maßnahmen – beispielsweise beim Austausch von PiS-Richtern – anzusetzen, verbietet sich, will man nicht neue Rechtsverstöße in Kauf nehmen.

Erschwerend kommt das Vetorecht von Staatschef Andrzej Duda hinzu, das er bis zur Präsidentenwahl 2025 umfassend nutzen wird. Doch die Regierung steht unter Handlungsdruck – nicht zuletzt, um in den Genuss zurückgehaltener EU-Mittel zu kommen.

Apropos Brüssel: Warschaus Dauerblockaden dürften der Vergangenheit angehören, allerdings wird sich Tusk nicht zum willfährigen Ja-Sager degradieren lassen. Erinnert sei an seine ausländerfeindlichen Äußerungen zum Thema Migration im Wahlkampf. Dennoch: Die Weichen für einen Neuanfang sind gestellt. Und nach acht Jahren PiS-Herrschaft wird es in Polen wieder spannend. Endlich.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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1 Kommentar

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  • Zuerst einmal: herzlichen Glückwunsch an die polnischen Nachbarn zum endlich vollzogenen Machtwechsel. Und (wieder) willkommen in Europa!



    Ja, der innenpolitischen Probleme sind gar viele und Tusks Regierungskoalition ideologisch äußerst heterogen. Da liegt auch viel politischer Sprengstoff drin (Abtreibungsgesetz, Atomenergie, Migration, Justizreform, gesellschaftliche PiS-Dominanz auf dem Lande etc., von Frau Oertel alles benannt). Hoffentlich sind sich die Parteien der Verantwortung für Polen bewusst und Tusks Bündnis erleidet nich das Schicksal der deutschen Ampelkoalition.



    Übrigens ist der Machtwechsel in Polen auch eine gute Nachricht für die Ukraine, neben derzeit leider vielen schlechten. Tusks Ankündigung, Polen werde in Europa eine Führungsrolle beanspruchen, sollte ja nicht als Drohung missverstanden werden - aus dem Mund von PiS-Vertretern klingt das freilich anders - , sondern kann auch als Chance begriffen werden. Von einer gestärkten Achse Paris-Berlin-Warschau kann auch die Ukraine profitieren, zumal wenn Washington zunehmend in den Isolationismus verfallen und als ukrainischer Verbündeter ausfallen sollte.



    Wenn es darum geht, gemeinsame europäische Sicherheits- und Verteidigungsstrukturen zu stärken, - die die Unterstützung und den Schutz der Ukraine umfassen -, ist mit Tusk sicher mehr drin als mit Morawiecki (sofern nicht historisch abgeleitete großpolnisch-chauvinistische Commonwealth-Träume wieder aufblitzen).



    de.m.wikipedia.org/wiki/Polen-Litauen