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„Es ist wichtig, die Geschichte seines Todes zu erzählen“

Ein Mahnmal soll an den 2005 in Bremen gestorbenen Laye-Alama Condé erinnern – und an die überlebenden Opfer der Brechmittelfolter: Ihren Entwurf erläutert die Künstlerin Usha Seejarim

Interview Benno Schirrmeister

taz: Frau Seejarim, was bedeutet es für Sie, dass Ihr Entwurf für ein Bremer Mahnmal in Erinnerung an die Opfer der zwangsweisen Brechmittelvergabe ausgewählt wurde?

Usha Seejarim: Ich fühle mich sehr geehrt, dass ich ausgewählt wurde, ein öffentliches Kunstwerk zu schaffen, das diese wichtige Geschichte erzählt.

Wie wichtig ist der Standort im Stadtzentrum für das Mahnmal?

Der Standort ist von entscheidender Bedeutung, weil er den Kontext der Erzählung widerspiegelt. Er macht aufmerksam auf Themen wie Menschenrechtsverletzungen, Polizeibrutalität, auf die Schwierigkeiten, die Immigranten in dieser Gesellschaft begegnen, auf die Problematik des Schwarzen männlichen Körpers und auf die Realitäten von Menschen aus verarmten Ländern, die in wirtschaftlich entwickelteren Ländern Asyl suchen. Laye-Alama Condé ist in Bremen gestorben. Es ist daher wichtig, die Geschichte seines Todes auch in Bremen zu erzählen. Soweit ich weiß, befindet sich der Ort innerhalb einer Kulturmeile und erscheint daher angemessen.

Werden Sie für die Arbeit nach Bremen kommen?

Foto: Mark Wessels

Usha Seejarim

*1974 in Bathel, Südafrika, Konzeptkünstlerin und Bildhauerin, lebt und arbeitet in Johannesburg. Zu ihren Auszeichnungen zählt eine Ehrung beim „Burning Man“-Festival 2022 in den USA für „Resurrection of the Clothes Peg“: eine 13 Meter große, nachgebildete Wäscheklammer. 2018 erhielt sie den Skulpturen-Preis der Dak’Art Biennale in Dakar sowie den Tomorrow’s/Today-Award der Cape Town Art Fair in Kapstadt.

Ja, das werde ich und ich freue mich darauf.

Die Stadt ist Profiteurin und war auch wichtiger Ausgangspunkt kolonialer Verbrechen – etwa in Namibia. Glauben Sie, dass der Rassismus, dem Laye Condé zum Opfer gefallen ist, etwas mit dieser Vergangenheit zu tun hat?

Ja. Alles hängt zusammen. Wenn wir uns nicht mit den Traumata der Vergangenheit auseinandersetzen und keine Verantwortung dafür übernehmen, dann rechtfertigt das in einer verzerrten Logik die aktuellen Ungerechtigkeiten. So hat beispielsweise die deutsche Regierung bis heute keine Reparationszahlungen für den Völkermord an den Herero und Nama in Namibia geleistet.

Konservative und reaktionäre Stimmen – weniger aus der Polizei als aus der Politik – behaupten, das Mahnmal würde ein Denkmal für einen kriminellen Dealer. Was entgegnen Sie solchen Vorwürfen?

Begehbare Buchstaben: Auf den Zwang, die gewaltsame Vergabe von Brechmitteln spielt im künftigen Mahnmal das Wort „Force“ an“ Foto: Abb.: Usha Seejarim

Ich habe das Gefühl, dass das Kunstwerk genau diese Art von Wahrnehmung ansprechen soll. Es ist dazu da, dass der Betrachter darüber nachdenkt und beurteilt – vielleicht durch seine eigene Positionierung – ob Laye-Alama Condé ein Verbrecher oder ein Opfer war. War die erzwungene Prozedur der Brechmittelfolter eine gerechte Form des Verhörs? Ist sein Tod eine gerechte Strafe für sein Verbrechen? Hätte seine Lebenslage als Asylbewerber gerechtfertigt, Drogen zu transportieren? Welches sind die allgemeinen institutionellen Strukturen, die sein Vergehen und die von der Polizei begangene Folter ermöglicht haben?

Warum verwenden Sie nicht, wie Sie es sonst oft tun, alte und gebrauchte Gegenstände, um dieses Denkmal zu bauen?

Ich verwende bestimmte Haushaltsmaterialien in meiner Arbeit, weil ihnen eine inhärente Bedeutung innewohnt, die zur Relevanz des Kunstwerks beiträgt. Es muss aber einen Sinn ergeben.

Woran merken Sie das?

Der Weg zum Mahnmal

Am 7. Januar 2005 starb Laye-Alama Condé in Bremen an den Folgen zwangsweiser Brechmittelvergabe. An seinem Todestag wird seitdem in Bremen an ihn wie auch die weiteren Opfer dieser Beweissicherungspraxis, die 2006 vom Europäischen Menschrechtsgerichtshof auch offiziell als Folter verurteilt wurde, erinnert.

Er folgte damit der Einschätzung des Oberlandesgerichtshofs Frankfurt, der sie in Hessen 1998 unterbunden hatte, und berichtigte ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das sie 1999 erlaubt hatte.

Eingeführt hatte die zwangsweise Vergabe von Emetika 1991 Bremens damaliger Justizsenator Henning Scherf (SPD). Hier blieb sie bis 2005 an der Tagesordnung.

In Hamburg ordnete der damalige Innensenator Olaf Scholz (SPD) sie im Jahr 2001 ebenfalls an, offenbar um das Erstarken der rechtspopulistischen Schill-Partei bei den anstehenden Wahlen zu verhindern. Das politische Kalkül ging nicht auf, die SPD verlor die Macht an der Elbe. Exakte Zahlen über den Einsatz dieser Folter in Hamburg sind nicht bekannt.

Seit 2014 fordert die Bremer „Initiative in Gedenken an Laye-Alama Condé“ die Einrichtung eines Gedenkorts und hat ihren Vorstoß mit konkreten Vorschlägen untermauert, darunter ein selbst gestalteter mobiler Gedenkort, seit 2017 an unterschiedlichen Plätzen der Stadt eingerichtet, aktuell auf dem Grundstück des Bremer Theaters.

Im rot-grün-roten Koalitionsvertrag von 2019 wurde die Förderung eines Denkmals erstmals zu einem erklärten Regierungsvorhaben, ein Bürgerschaftsbeschluss bekräftigt das Ende 2020.

Ende 2022 schrieb man einen weltweiten künstlerischer Wettbewerb aus für einen „Ort der Auseinandersetzung und des Dialogs für alle Menschen dieser Stadt“, gelegen rechts neben dem Bremer Gerhard-Marcks-Haus. Die Rede ist in der Ausschreibung ausdrücklich auch davon, dass Bezüge etwa zu „Anti-Schwarzem-Rassismus“, „Polizeigewalt“ und „rassistischer Gewalt in Staatsobhut“ aufgemacht werden könnten.

Unter den siegreichen Entwürfen jenes Wettbewerbs, im Sommer 2023 bestimmt, entschied sich nun eine – aus Menschen mit Rassismuserfahrung zusammengesetzte – Findungskommission für das Konzept von Usha Seejarim.

Begutachten soll der Landesbeirat „Kunst im öffentlichen Raum“ den Entwurf bis einschließlich heute, 17. November. Abschließend berät am 6. Dezember die Bremer Kulturdeputation darüber.

Normalerweise springt mich etwas an oder es ergibt ganz unmittelbar einen Sinn, wenn ich es als Form, als Bestandteil oder Material für ein Kunstwerk verwende. In diesem Fall ist der Text dieser Bestandteil gewesen.

Also einerseits das aus stählernen Großbuchstaben gebildete, begehbare Wort „Force“ – zu Deutsch: Macht, Gewalt, Zwang. Andererseits das Zitat, das wahrnehmen kann, wer sich in den Buchstaben „C“ begibt: Es stammt aus einem Interview mit einem der überlebenden Opfer der Brechmittelfolter und lautet: „Schwarze Menschen haben auch Gefühle … genau wie Deutsche.“

Ja. Mit diesen Worten konnte ich die vielschichtige und detailreiche Geschichte erfassen, durch die Brechmittelfolter, Laye Condé, und das Thema der Menschenrechte miteinander verbunden sind. Und vor allem war es mir so möglich, die Frage zu stellen, wie wir uns als Betrachter oder Teilnehmer in diesen Diskurs einordnen. Das Kunstwerk soll zu Gesprächen anstiften. Der Text ermöglicht mir das.

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