Pro-Palästinensische Demo in Berlin: Grautöne nicht erwünscht
Tausende protestieren am Samstag gegen die Militäroperation Israels in Gaza. Der Terroranschlag der Hamas findet aber kaum Erwähnung.
Unter dem Motto „Free Palestine will not be cancelled“ hatte ein Bündnis aus linken pro-palästinensischen Gruppen bundesweit zur Demo mobilisiert, darunter die Palästina Kampagne und die Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost. Offiziell richtete sich die Demonstration gegen die umfassenden Versammlungsverbote, die deutsche Behörden nach dem Hamas-Massaker am 7. Oktober gegen pro-palästinensischen Protest ausgesprochen hatte.
„Die Demo hat gezeigt, dass die Community in Berlin nicht tatenlos dabei zusieht, was in Gaza passiert“, sagt Tim Smith, Pressesprecher der Palästina Kampagne, der taz. Nach dem Massaker der radikal-islamistischen Hamas am 7. Oktober führt Israel eine umfassende Militärkampagne im dichtbesiedelten Gazastreifen durch. Durch die Bombardements sind nach Angaben des palästinensischenGesundheitsministeriums über 7.000 Menschen zum Opfer gefallen, eine Zahl, die mit dem Beginn der Bodenoffensive noch deutlich steigen wird.
Auf Schildern der Demonstrant:innen und in Redebeiträgen wird die Reaktion des israelischen Militärs einhellig als Genozid verurteilt. Die Schuldigen an der jüngsten Eskalation des Nahost-Konflikts sind schnell benannt: Israel und seine westlichen Verbündeten. „Deutschland finanziert, Israel bombardiert“, skandieren die Teilnehmer:innen immer wieder.
Friedlicher Verlauf
Neben der arabischen und muslimischen Community Berlins ist vor allem ein junges, internationales Publikum dem Aufruf gefolgt. Dementsprechend bunt gemischt ist die Menge: Kopftuchtragende Frauen mit Kinderwägen laufen neben Lederjackenträger:innen mit buntgefärbten Haaren. Dazwischen immer mal wieder ein paar Weiß-deutsche Altlinke, die kommunistische Fahnen vor sich hertragen.
Befürchtung im Vorfeld, die Demonstration könnte nachdem Verbot des Samidoun-Netzwerks am Donnerstag zu Ausschreitungen kommen, zeigten sich unbegründet. Als „mehrheitlich friedlich“, bezeichnete auch eine Polizeisprecherin die Demo und bilanzierte am Ende des Tages 68 Festnahmen und 36 eingeleitete Strafermittlungsverfahren, die hauptsächlich aufgrund des Verstoßens gegen die strengen Demoauflagen erfolgten. Bereits im Vorfeld hatte die Polizei angekündigt, streng gegen antisemitische und antiisraelische Parolen vorgehen zu wollen.
Nicht wenige der Teilnehmer:innen haben selber Angehörige in Gaza. „Für mich ist die Veranstaltung sehr wichtig“, sagt Teilnehmerin Sara, die ihren Nachnamen nicht nennen will, der taz. Die 19-Jährige Studentin habe Freunde und Verwandte in Gaza, wegen der Informationssperre gebe es aber derzeit keinen Kontakt. „Ein Sohn meiner Cousine hat einen Instagramaccount, immer wenn er was postet, wissen wir, dass sie noch am Leben sind“.
Grautöne und differenzierte Analysen sind auf der Demo nicht zu finden. Offensichtlich ausgeblendet wird die Verantwortung der Hamas. Das Massaker, bei dem über 1.400 Menschen, mehrheitlich Zivilist:innen ihr Leben verloren, wird in vielen Redebeiträgen nicht einmal angesprochen. Über das Schicksal der über 200 israelischen Geiseln, die sich noch in der Gewalt der Hamas befinden, wird ebenfalls kein Wort verloren.
Leerstelle Hamas
Auch Sara ist keine Verurteilung der Terrororganisation abzuringen. Stattdessen gibt sie zu bedenken: „Die Leute feiern nicht die Hamas, weil sie Leute umbringen, sondern weil sie der einzige Funken Hoffnung sind, der israelischen Besatzung zu widerstehen.“
Offene Huldigungen oder Flaggen der Hamas finden sich nicht, doch klare Verurteilungen sind nur selten zu sehen. Vielleicht auch gar nicht von den Veranstalter:innen erwünscht: Wie ein Video auf der X (ehemals Twitter) dokumentiert, wird zu Beginn der Demo sogar ein Teilnehmer, der ein Schild mit der Aufschrift „Free Gaza from Hamas“ trägt, von den Ordner:innen aus der Demo hinauskomplimentiert.
„Es sind schreckliche Dinge am 7. Oktober passiert“, sagt ein Israeli, der lieber anonym bleiben, will der taz, „aber das ist gerade nicht das Hauptproblem. Das Hauptproblem ist das, was Israel in Gaza macht.“ Der 37-Jährige sei erst vor vier Monaten von Tel-Aviv nach Berlin gezogen, weil er sich zunehmend entfremdet von seinem Heimatland fühlte. Wie auch er sind viele jüdische Linke bei dem Protest vertreten. „Es kann keine Sicherheit ohne Freiheit für alle geben“, fordert eine Sprecherin der linken Gruppe Jüdischer Bund in einem Redebeitrag.
Unklar ist allerdings, wie dieser Weg zum Frieden aussehen soll. Lediglich die trotzkistische Gruppe Abeiter:innenmacht äußerte eine erstaunlich konkrete Idee: Erst solle der Deutsche Gewerkschaftsbund zum Generalstreik aufrufen und sich dann einer globalen Intifada anschließen. Damit könne dann schließlich ein sozialistisches Palästina geschaffen werden, indem Jüdinnen*Juden und Palästinenser:innen gleichberechtigt leben können.
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