piwik no script img

Jugendsport braucht langen Atem

Im Görlitzer Park sollen im Rahmen von „Sport 365“ Freizeitangebote für Jugendliche bereitgestellt werden. Doch seit der Streitigkeiten zwischen dem Bezirk und dem Ex-Träger kommt das Projekt nur mühsam wieder auf die Beine

Ein Anwohner (links) spielt mit zwei Mitarbeitern von „Sport 365“ Foto: Julia Baier

Von Andreas Hartmann

Es ist kalt und nass, und man bekommt schnell Mitleid mit Erik Little, der hier mitten im Görlitzer Park in Kreuzberg seinen Arbeitsplatz hat. Little ist Leiter eines Projekts, das auf einer ehemaligen Hundeauslauffläche des Görlis ein kostenloses Sportangebot bereitstellt, Fußball etwa oder Basketball oder Tischtennis. Eines der vielen Probleme, die Erik Little an seiner Wirkungsstätte derzeit allerdings hat, ist das „Office“, in dem man sich mit ihm vor Ort trifft.

Das Büro ist nichts anderes als ein ungeheiztes Zelt mit einer Bierbank. Dabei steht der Winter vor der Tür. Aber Littles Projekt heißt nun mal „Sport 365“, also möchte er auch das ganze Jahr über hier sein. Little sagt, die Kälte sei gar nicht das Schlimmste, mit langer Unterhose, Hoody und Pudelmütze würde das schon gehen. Wichtiger sei, dass ganz andere Dinge geregelt werden, um hier einen Ort etablieren zu können, an dem nicht zuletzt Jugendliche auch in den kommenden Monaten Sport treiben können.

Dass er nun überhaupt in diesem traurigen Zelt in Winterklamotten sitzen muss, geht dabei auf eine bizarre Posse der Sonderklasse zurück: Vor drei Jahren bekam Sport 365 über seinen damaligen Träger, die Turngemeinde in Berlin (TiB), zunächst einen Nutzungs-, später dann einen Pachtvertrag für das Gelände. Nach und nach entwickelte sich das Projekt – und das mitten in der Coronazeit. Und so ging es weiter bergauf. „Im August und September letzten Jahres hatten wir insgesamt etwa 20.000 Besucher“, sagt Little.

Längerfristig sollten die Sportanlagen weiterhin zu 50 Prozent kostenlos für alle Interessierten zugänglich sein und zu 50 Prozent für Mitglieder des TiB. So war es mit dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg abgemacht. Der TiB hatte auch schon ambitionierte Pläne mit einem hallenartigen Zelt entwickelt, das man hier hinstellen wollte. Doch dann kam es zum Zerwürfnis zwischen TiB und Bezirk. Ende Februar wurde das Gelände geschlossen.

Die TiB behauptete, bestehende Verträge für den Zeltbau seien seitens des Bezirks einfach ignoriert worden. „Das Zelt war aber immer Bestandteil der Verträge und für uns als Verein die Grundvoraussetzung für das Projekt im Görlitzer Park“, teilte der Verein mit.

Der Bezirk wies das vehement zurück und gab an, TiB habe einfach nie die erforderlichen Unterlagen für eine Baugenehmigung eingereicht. Die Rede ist von fehlenden Gutachten im Sinne des Naturschutzes. Und davon, dass man erst spät selbst registriert habe, dass das Zelt im sogenannten Außenbereich gebaut werden sollte. In einem solchen, heißt es weiter, seien „Bauvorhaben nur unter sehr erschwerten Bedingungen zulässig“. Es gelten also die aller härtesten Naturschutzregelungen. Zwischen den Zeilen ließe sich herauslesen: TiB hätte noch bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag weitere Anträge einreichen können, für den Bezirk war die Idee mit dem Zelt schlichtweg tot.

An dieser Stelle ging die Sport-im-Görli-Schote in die nächste Phase. Die TiB kündigte ihren Vertrag mit dem Bezirk, weil sie sich offensichtlich um ihren Hallenplan betrogen sah. Das Bezirksamt gab sich überrascht über die plötzliche Kündigung und teilte mit: „Alle Gegenstände müssen von TiB schnellstmöglich entfernt werden. Dies ist auch sehr wichtig, um möglichst bald ein schönes, neues Angebot auf der Fläche durch einen neuen Verein oder Träger zu ermöglichen.“

Der neue Verein – das war die an den Landessportbund angegliederte Sportjugend Berlin, die an der Übernahme des Projekts interessiert war. Wie Sportjugend-Vorstand Steffen Sambill sagt, sei zu dem Zeitpunkt eine einvernehmliche Lösung zwischen Bezirk und TiB einfach nicht mehr möglich gewesen, auch nicht über die Geräte. „Kommunikativ ist da viel falsch gelaufen“, sagt Sambill. „Wir haben versucht, den Abbau zu verhindern. Aber die beiden Akteure konnten und wollten sich nicht mehr einigen.“

Erik Little meint: „Die hätten einen Mediator gebraucht.“ Da es den aber nicht gab, musste TiB über Monate hinweg seinen Kram vom Gelände räumen, der dann an ihrem Hauptstandort in Neukölln eingelagert wurde. Hätte man damals miteinander geredet, so Sambill und Little, hätte man auch einen Weg finden können, dass die Sportjugend einfach direkt alles von TiB übernimmt. Schlüsselübergabe und fertig.

So aber räumte TiB sehr langsam alles über den Sommer hinweg ab, während das Projekt Sport 365 mit dem nun neuen Träger Sportjugend Berlin ab Juni langsam zurückkehrte. „Wir haben hier eine Brachfläche übernommen. Im Juni, Juli diesen Jahres war hier alles abgebaut, was in zweieinhalb Jahren aufgebaut wurde“, berichtet Sambill. Seit September ist immerhin wieder täglich geöffnet, aktuell von 13 bis 18 Uhr.

Wirklich einladend ist das Gelände immer noch nicht. Das Sportangebot ist auch nicht wieder so breit wie früher. Statt der beiden recht vernünftigen Tischtennisplatten von einst gibt es nur noch eine gammlige. Überall ist der Untergrund matschig, zum Teil sieht es aus wie auf einer Baustelle. Die Zahl der Besucherinnen und Besucher sind Little zufolge massiv zurückgegangen.

„Unser Ziel ist erst einmal, den Status quo ante wieder herzustellen“, sagt Sambill. Man hätte gern ein Containerdach für eine Fläche von 120 Quadratmetern für die Tischtennisplatten. Solarlichter, um auch bei einbrechender Dunkelheit Sport treiben zu können. Und vier Container, um Aufenthaltsmöglichkeiten für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu schaffen. Eine neue Homepage und Kommunikation über Social-Media-Kanäle könne man jetzt erst wieder aufbauen, weil die TiB sich lange geweigert habe, die Rechte freizugeben, sagt Little.

Auf Anfrage der taz gibt das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg an, der Bau des 120 Quadratmeter großen Containerdaches sei genehmigt. Sambill und Little sagen, so richtig voran kämen sie dennoch nicht. Sie müssten sich mit dem Bauamt abstimmen, ebenso mit dem Straßen- und Grünflächenamt. Dabei sei mal der eine Ansprechpartner nicht erreichbar, dann der nächste wochenlang krank. All das, während wegen des kommenden Winters langsam die Zeit knapp werde, so Little.

„Wir haben hier eine Brachfläche übernommen. Im Sommer war alles abgebaut, was in zweieinhalb Jahren aufgebaut wurde“

Steffen Sambill, Sportjugend

Man könnte annehmen, dass der Bezirk ein gesteigertes Interesse daran habe, dass der Görlitzer Park von der Öffentlichkeit mal mit anderen Dingen in Verbindung gebracht wird als mit Dealern und Drogenelend. Etwa mit der „sportorientierten Jugendsozialarbeit“, die das Projekt Sport 365 verfolgt. Und damit, wie Sambill sagt, „einen Ort zu schaffen, an dem Jugendliche kostenlos betreut werden und sinnvoll ihre Freizeit verbringen können“.

Aber so läuft das nicht in einem Bezirk, dessen Bürgermeisterin Clara Herrmann (Grüne) im Dezember 2022 stolz in einem Tweet verkündet hatte, man habe sagenhafte fünf Jahre dafür gebraucht, ein paar öffentliche ­Öko-Toiletten am Kottbusser Tor hinzustellen – und das anscheinend für bürokratischen „Warp Speed“ hielt. Wenn es in diesem Tempo auch bei dem Sportangebot im Görlitzer Park weitergeht, dann sollte sich Erik Little schon mal weitere lange Unterhosen besorgen.

„Wir arbeiten auch daran, eine bessere Überdachungsmöglichkeit zu schaffen für eine Fläche von 800 bis 1.000 Quadratmetern“, sagt Sambill dann noch.

Abwarten, was dazu das Naturschutzregelwerk des Bezirks zu sagen hat.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen