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„Wir müssen das Schritt für Schritt machen“

Die Städtische Galerie Bremen unterzieht ihre Sammlung einer öffentlichen Inventur. Dabei geraten ihre akute Raumnot, die regionale Kunstgeschichte und die Trends der lokalen Soziokultur in den Blick. Aber auch die kulturpolitischen Verheerungen infolge von Hartz IV

Interview Radek Krolczyk

taz: Herr Lähnemann, Sie führen in der Städtischen Galerie eine öffentliche Inventur der Sammlung durch. Täuscht der Eindruck, dass in den 70ern bis in die 90er großteils Malerei angekauft wurde?

Ingmar Lähnemann: Ja und nein. Einerseits stammen die meisten Arbeiten aus den 1970er-, 80er- und 90er-Jahren. Da wurde tatsächlich viel gemalt. Andererseits müssen wir die großen Formate erfassen. Die können wir nur fotografieren, solange wir die Galerieräume nicht für Ausstellungen brauchen. Im Lager, das sich bei uns im Keller befindet, wäre dafür kein Platz.

Sie bräuchten größere Räume für Ihre Sammlung?

Ich sehe nicht, woher wir die bekommen sollten. Wenn man mehr Platz hätte, könnte man die Werke restauratorisch besser aufbewahren. Im Moment ist das alles suboptimal. Einiges muss nun restauriert werden. Viele Werke aus unserer Sammlung sind verliehen. Wenn das alles zurückkäme, würde es sehr eng.

Also brauchen Sie doch dringend neue Räume?

Alles, was von der Dimension und von den klimatischen Bedingungen her geeignet wäre, ist rar und teuer. Wir werden uns umschauen müssen. Es gibt einige Geschäfts- und Industrieimmobilien, die seit Jahren leer stehen

Haben Sie denn für diese Aufgaben geeignetes Personal? Gibt es eine Restauratorin oder eine Registrarin?

Nein, die gibt es leider nicht, zumindest nicht langfristig. Im Rahmen der öffentlichen Inventur haben wir für ein Jahr eine Stelle und beschäftigen dazu mehrere wissenschaftliche Praktikant*innen. Dringende Restaurierungen werden wir extern machen.

Das klingt nach wenig.

Wir müssen das Schritt für Schritt machen. Eine der wichtigsten Folgen der Inventur wird sein, dass wir genau benennen werden können, was wir zur Pflege des Bestands benötigen.

Was hat es auf sich mit dieser Konzentration auf die 70er, 80er und 90er Jahre?

Während dieser Zeit gab es in Bremen das „Programm der sozialen Künstlerförderung“. Die Stadt besorgte ein Jahr lang finanzielle Hilfe, als Gegenleistung erhielt sie ein Werk. Während dieser Zeit kam ein Großteil der Sammlung zusammen. Wir haben für diese Zeit einen sehr ausführlichen Überblick über die Kunstszene Bremens.

Sind die Künstlerinnen und Künstler heute noch bekannt?

Viele leider nicht. Wir haben auch Arbeiten von überregional bekannten Künstler*innen, etwa 20 Arbeiten von Norbert Schwontkowski. Die meisten Werke aber stammen von heute wenig bekannten Leuten. Zu ihrer Zeit waren sie jedoch hier relevant. Ohne uns wären sie heute völlig unsichtbar: Es ist eine große Stärke unserer Sammlung, dass wir einen solchen realen Überblick zeigen können und nicht nur die Siegerinnen und Sieger.

Mit welchem Jahr beginnt die städtische Sammlung?

Das älteste Inventarbuch ist von 1923. Ich habe allerdings noch kein Bild aus der Weimarer Republik in den Händen gehabt. Das älteste war von 1945. In unseren Listen stehen mehr als 6.000 Werke.

Wo befinden die sich?

Das weiß man nicht immer. Rund 3.000 Werke haben wir im Depot. Vieles ist als Leihgabe in Behörden unterwegs. Von manchem wissen wir, dass es verschollen ist, anderes werden wir wohl noch abschreiben müssen …

Was zum Beispiel?

In unseren Listen taucht eine Arbeit von Equipo Crónica auf. Das war eine politische Popart-Gruppe aus Spanien. In den 1970er- Jahren waren sie sehr erfolgreich, ihre Arbeiten hängen im Museum für Gegenwartskunst Reina Sofia in Madrid. Es gibt überhaupt keinen Bezug zu Bremen. Ich habe auch mal ein Foto gesehen und kenne den Leihvertrag von 1991, konnte aber das Werk bisher nicht finden. Da müssen wir jetzt nachforschen.

Das wurde aber nicht per Künstlersozialförderung erworben?

Ingmar Lähnemann

Jahrgang 1974, Kunsthistoriker, mit einer Dissertation über Patrick O‘Doherty und den White Cube promoviert, ist Leiter und Kurator der Städtischen Galerie Bremen

Nee, das war eine Schenkung, oder ein Ankauf …

Was hieß das damals?

Viele Ankäufe passierten bis in die 1970er-Jahre hinein willkürlich, ohne ein Konzept für die städtische Kunstsammlung. Man kann das anhand von Akten nachvollziehen. Ich habe eine Korrespondenz mit einem Künstler gesehen, der einen großen öffentlichen Auftrag bekommen hatte. Dann fragte er zu einem runden Geburtstag, ob man nicht noch etwas von ihm erwerben könnte, und er bekam den Auftrag für ein Bürgermeisterportrait.

Wie ging es dann weiter?

Diese vereinzelten Ankäufe gehen erst 1980 systematisch in das Ankaufsprogramm der sozialen Künstlerförderung über. Während dieser Zeit wird die Bremer Kunstszene zu einer eigenen Größe. Die Kunsthochschule entwickelt sich, die Gesellschaft für Aktuelle Kunst wird gegründet, kurz danach die Kommunale Galerie, aus der die Städtische Galerie hervorging. Die Szene wird in der Stadt sichtbar.

Der Wert der Sammlung geht über den Kunstaspekt hinaus?

Die Sammlung macht auch auch soziokulturelle Entwicklungen sichtbar. In ihr zeigt sich unsere lokale Geschichte. Man findet in den Werken die Stimmung und den Geist der Zeit wieder. Die Kunsthochschule und all die jungen Studierenden prägen damals das Leben in der Stadt. Jemand wie der Maler Jimmi Paesler hat Ende der 1960er erfolgreich angefangen und viele Leute beeinflusst. So wie viele junge Menschen hat er sich in der Folge sehr politisiert. An Fassaden in der Stadt, zum Beispiel an der Uni, sieht man heute noch seine Bilder. Das wirkt fort.

Das Programm „soziale Künstlerförderung“ wurde 2004 als Landesarbeitsmarktprogramm mit der Einführung von Hartz IV gestrichen. Bricht damit auch das künstlerische Gedächtnis der Stadt einfach ab?

„Es ist eine große Stärke unserer Sammlung, dass wir einen realen Überblick zeigen können und nicht nur die Siegerinnen und Sieger“

Es fehlen mindestens zwei Generationen. Das lässt sich nicht nachholen, vor allem nicht bei der Tiefe der bestehenden Sammlung. Man müsste überlegen, wie man die Sammlung fortsetzt. Vielleicht durch ein neues Stipendienprogramm. Wobei ich das Konzept einer erzwungenen Gegenleistung schwierig fände. Man müsste darüber nachdenken, wie man punktuell ankauft. Eine Möglichkeit wären die Ge­win­ne­r*in­nen des Förderpreises.

… für die man Mittel und eine Infrastruktur bräuchte …

Als erstes müsste man den Ankauf der Preisträgerarbeit ermöglichen. Dann müssen wir die Kapazitäten haben, diese Arbeiten auch angemessen zu pflegen. Wir sprechen hier inzwischen oft nicht von Gemälden oder Skulpturen, sondern von komplexen Installationen. Solche Wege, die Sammlung zu ergänzen, brauchen Zeit.

Bis dahin gehen weitere Generationen verloren.

Eine andere Form der Ergänzung unserer Sammlung sind die zahlreichen Künstler*innennachlässe. Kunstschaffende werden älter und sterben. Man weiß nicht, was man mit dem Werk machen soll. Wenn ich davon erfahre, schaue ich mir das natürlich an, bevor etwas verloren geht. Aber auch dafür müsste man die Infrastruktur ausbauen und ein klares Konzept haben, was die städtische Sammlung hier leisten kann. Diese Dinge können wir erst nach der Inventur überlegen.

Öffentliche Inventur: „Das Bleibt“, Städtische Galerie, Buntentorsteinweg 112, Bremen. Bis 17. 12.

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