Autorin über Judenhass in der Literatur: „Humor ist die einzige Waffe“

Dana von Suffrin kennt Antisemitismus im deutschsprachigen Literaturbetrieb. Erst begegnete sie dem mit Memes auf Instagram. Dann wurde es ihr zu viel.

Die Münchner Schriftstellerin Dana von Suffrin sitzt auf einem Stuhl und hält eine Hand an den Kopf

Not amused über BDS-Fans im Literaturbetrieb, und das zu recht: Dana von Suffrin Foto: Peter Arun Pfaff

Die Schriftstellerin Dana von Suffrin, geboren 1985 in München, erzählte in ihrem Debütroman „Otto“ von einem jüdischen Familienpatriarchen, von intergenerationalem Trauma und vom Leben als Jüdin in Deutschland. Sie erhielt dafür viel Kritikerlob und zahlreiche Auszeichnungen, wie etwa den Hölderlin-Preis und den Bayerischen Kunstförderpreis. Nach den Massakern der Hamas forderte die promovierte Historikerin auf Instagram Künstlerkolleg*innen, die israelbezogenen Antisemitismus verbreiteten, mit sarkastischen Sprüchen und bitter-ironischen Memes heraus. Jetzt wurde es ihr aber zu viel: Sie hat ihren Account gelöscht.

taz: Frau von Suffrin, auf Instagram findet man Autorinnen von so renommierten Verlagen wie Hanser, Ullstein und S. Fischer, die unter anderem verbreiten, Israel würde einen Völkermord an den Palästinensern begehen. Das ist Dämonisierung des einzigen jüdischen Staates, ein klassischer Topos des israelbezogenen Antisemitismus. Waren Sie überrascht, als Sie das sahen?

geboren 1985, promovierte als Historikerin mit dem Thema „Pflanzen für Palästina! Naturwissenschaften im Jischuw, 1900–1930“ über den deutschen Botaniker Otto Warburg. Ihre Romane erscheinen im Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln.

Dana von Suffrin: Man kann nicht sagen, dass ich überrascht war, weil ich die ganze Skandalisierung des israelischen Staates schon lange wahrgenommen habe, zum Beispiel was die Diskussion um die Documenta oder BDS anging, dazu haben auch viele Journalisten, Kuratoren und Akademiker beigetragen. Es war bemerkenswert, wie schnell und wie abgründig sich ausgerechnet Künstler äußern. Ich war erschrocken, dass gerade Autorinnen und Autoren so eine völlig verrohte Sprache benutzen, Dogwhistling anwenden, absichtlich zu falschen, drastischen Begriffen greifen. Aber grundsätzlich weiß ich natürlich, dass dem schon lange der Boden bereitet wurde.

Aber ist es nicht ein Widerspruch? Der Literaturbetrieb steht doch seit einiger Zeit unter dem Zeichen besonderer Rücksichtnahme. Es gibt sensitivity readers und trigger warnings. Kultursensibel wird darauf geachtet, wer wen übersetzt und wer über wen schreibt. Merkt man etwas von dieser Sensibilität, wenn es um ­Minderheiten wie Juden und Israelis geht?

Zunächst: Ich habe wirklich auch viel Solidarität erfahren in der letzten Zeit, viele haben sich von der sogenannten Israelkritik distanziert. Aber ansonsten gilt, glaube ich schon, was der britische Komiker David Baddiel gesagt hat, „Jews don’t count“. Und da ist natürlich auch die Frage, wieso ausgerechnet Juden und der einzige jüdische Staat zum Symbol des Bösen oder des kolonialen Bösen wurden. Diese Fixierung ist doch absurd. In Bergkarabach findet eine ethnische Säuberung statt, interessiert nie­manden, die Afghanen in Pa­kistan interessieren niemanden. Sobald in einem Konflikt keine Juden involviert sind, ist er automatisch uninteressant. Mit ein paar Leuten habe ich übrigens gesprochen, die meisten haben auch sehr nett reagiert und wollen noch einmal nachdenken.

Die Autoren Björn Kuhligk und Marcus Roloff haben einen offenen Brief gestartet, in dem Schriftstellerinnen und Schriftsteller sich zu Israel bekennen können und in dem das Schweigen im Literaturbetrieb zum Antisemitismus beklagt wird. War das ein Lichtblick für Sie?

Ja, ich habe den Brief auch zugesandt bekommen, und ich muss zugeben, dass er mich berührt hat. Auch wenn der Brief etwas Hilfloses und Unbeholfenes hatte, hat mich doch gefreut, dass solche Signale kamen. Mich erinnert das sonstige Schweigen auch an eine Geschichte, die mir mein damaliger Freund erzählt hat: Sein Vater hatte sich wegen einer schweren Krankheit das Leben genommen. Mein Freund ist zur Beerdigung in diese kleine niederbayrische Stadt gefahren, in der sich alle kennen. Und was haben die Leute gemacht, als sie ihn auf der Straße gesehen haben? Sie haben die Straßenseite gewechselt. Und das ist, glaube ich, auch die Situation, in der sich viele Juden gerade fühlen.

Gibt es, wie Björn Kuhligk und Marcus Roloff meinen, zum Terror der Hamas und zum Antisemitismus in Deutschland hauptsächlich Schweigen?

Nein, mittlerweile haben sich einige Leute geäußert. ­Tonio Schachingers Buchpreisrede ist ein Beispiel, sie hat mich sehr berührt. Aber es ist natürlich so, dass der Kulturbetrieb als Ganzes wahnsinnig antisemitisch geworden ist. Das bedeutet nicht, dass alle das sind. Aber es hat sich eine Art von Antisemitismus etabliert, die akzeptiert wird und als progressiv gilt. Es ist doch traurig, dass wir von unseren Spitzenpolitikern gerade eine bessere moralische und politische Orientierung bekommen als von den Künstlern. Andererseits: Künstler haben natürlich Sendungsbewusstsein, aber Expertise? Militärstrategen sind die wenigsten von uns.

Claudia Roth ist seit 2021 Kulturstaatsministerin. 2019 hat sie sich von der Anti-BDS-Resolution des Bundestags dis­tanziert, 2022 fiel sie anlässlich des Antisemitismus auf der Documenta 15 durch Untätigkeit auf. Heute scheint sie ihre Meinung geändert zu haben. Lernt der deutsche Kultur­betrieb dazu?

Ich würde mir wünschen, dass die Leute begreifen, dass es wahnsinnig riskant ist, was da gerade passiert. Den Juden in Deutschland geht es wirklich schlecht. Alle Leute, die ich kenne, sind völlig erschöpft, fühlen sich ausgeliefert, und manche haben Angst, dass sie umgebracht werden. Man kann natürlich sagen, dass das übertrieben ist, aber das wird man halt erst hinterher wissen. Ich sehe, dass sich da eine gefähr­liche Allianz bildet aus kul­tureller Elite und Mob. Und ich habe wirklich keine Idee, was man machen kann, um das aufzuhalten. Wenn sich Politiker dazu äußern und umdenken, ist das natürlich gut. Aber was das für praktische Auswirkungen hat, weiß ich ­einfach nicht. Und es ist so schade, dass dieser Anti­semitismus auch von Leuten kommt, die wirklich die Ressourcen und Möglichkeiten hätten, sich zu bilden. Ich war gerade auf einer Literaturtagung, dort war auch eine fi­nnische Autorin in meinem Alter, sichtlich aus der Oberschicht, mit besten Kontakten zu Politikern. Wir folgten uns dann gegen­seitig auf Instagram, wo sie wirklich nur Palästina-Propaganda gepostet hat. Ich habe ihr dann nach drei Tagen geschrieben, dass ich es seltsam finde, dass eine finnische Autorin so be­sessen von Israel ist. Sie lebt ja wirklich in einem Land mit massiven eigenen Problemen, zum Beispiel ­Rassismus. Sie antwortete, als Jüdin mit dieser Geschichte müsste ich es besser wissen. Das ist natürlich ein klassischer antisemitischer ­Topos; wir Juden hätten nichts aus dem Holocaust gelernt. Ich finde, wenn man so gebildet ist und trotzdem voll mit anti­semitischen Stereo­typen, dann ist das eine Entscheidung. Und dieses Pathos: Diese Leute halten sich für Märtyrer, schreien den ganzen Tag herum, treffen sich zu Demos, müllen das ganze Social Web zu, sind ständig in den Medien und behaupten dann larmoyant, ihre Meinungsfreiheit würde eingeschränkt.

Ihr erster Roman, „Otto“, war 2021 ein großer Erfolg und erhielt viel Lob und viele Preise. Ihr zweiter Roman „Nochmal von vorne“ erscheint im kommenden März. Wird es nicht Zeit, dass Sie das biedere München verlassen und in die Schriftstellerhauptstadt Berlin ziehen?

Ehrlich gesagt, bin ich gerade richtig froh, dass ich in München lebe, wo die Szene nicht so politisiert ist, die Kunst ist auch nicht so stark mit Aktivismus vermischt. Andererseits habe ich von den meisten Kolleginnen und Kollegen gar nichts gehört, kein Wort.

Krieg in Israel und Antisemitismus in Deutschland. Wenn man Ihren Instagram-Storys folgte, bekam man den Eindruck, Sie könnten es mit Humor, mit ätzendem Witz nehmen. Wie geht das, oder geht es gar nicht anders?

Ja, Humor ist natürlich ein Bewältigungsmechanismus, aber auch die einzige Waffe, die ich habe. Das kam übrigens bei diesen Leuten überhaupt nicht gut an. Die sagen ja, sie wollen ­reden, aber das ist gar nicht mein Eindruck, die wollen unter sich bleiben und sich endlos gegenseitig bestätigen. Nach dem ersten Witzchen haben die mich sofort geblockt. Ich habe eine südafrikanische Kunst­professorin in einer Story ironisch angesprochen und gefragt, ob ihr Dasein als Expat in Berlin nicht auch eine Art von weißem Siedler-Kolonialismus ist. Das war kein so schlechter Witz! Aber es läuft sich bald tot, denn die schreiben ja immer dieselben Sachen, und man kann ja dann nicht immer dieselben Witze bringen.

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