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Keine größere Eskalation

Eine Demo gegen die Militäroperation Israels in Gaza mit Tausenden verläuft ruhig. Der Hamas-Terroranschlag findet kaum Erwähnung

Von Jonas Wahmkow

Die „FreePalestine“-Rufe und das Rot-Schwarz-Weiß-Grün der palästinensischen Flagge sind am Samstagnachmittag allgegenwärtig. Vereinzelt wird Pyrotechnik gezündet, doch die Stimmung bleibt überwiegend friedlich. Selbst auf dem breiten Boulevard Unter den Linden laufen Menschen dicht gedrängt, das Ende der Demo ist kaum absehbar. Am Ende des Tages spricht die Polizei von 9.000, die Or­ga­ni­sa­to­r:in­nen von bis zu 20.000 Menschen, die durch Mitte in Solidarität mit Palästina ziehen.

Unter dem Motto „Free Palestine will not be canceled“ hatte ein Bündnis aus linken pro-palästinensischen Gruppen bundesweit zur Demo mobilisiert, darunter die Palästina Kampagne, Palästina spricht und die Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost. Offiziell richtete sich die Kundgebung gegen die umfassenden Versammlungsverbote, die deutsche Behörden nach dem Hamas-Massaker am 7. Oktober gegen pro-palästinensischen Proteste ausgesprochen hatte.

Dabei galt es im Vorfeld als unwahrscheinlich, dass der Aufzug am Samstag dasselbe Schicksal ereilen wird. Schon in den vergangen Wochen hatte es Großdemonstration in Solidarität mit Palästina gegeben. Zuletzt liefen am 29. Oktober fast 10.000 Menschen durch Kreuzberg.

Am Startpunkt deutet sich bereits an, dass die Demonstration am Samstag noch einmal größer werden wird. In Pali-Tücher gekleidete Familien, internationale Studierende, weißhaarige Altlinke strömen zum Neptunbrunnen, bis kaum noch ein Stehplatz vorhanden ist. Die Reden auf dem viel zu kleindimensionierten Lautsprecherwagen sind kaum hörbar. Wirklich Überraschendes gibt es hier ohnehin nicht.

Es wird berichtet von der Nakba, der Vertreibung der Pa­läs­ti­nen­se­r:in­nen bei der Staatsgründung Israels 1948 und die fortdauernde Unterdrückung des palästinensischen Volkes durch den „Siedlerstaat Israel“ beklagt. Der Krieg in Gaza, bei dem mittlerweile bereits über 7.000 Menschen israelischen Militärschläge zum Opfer gefallen sind, sei nur ein weiteres Kapitel in dieser Unterdrückung. Der Terroranschlag der Hamas wird in den meisten Redebeiträgen gar nicht erwähnt.

Viele sind genervt, nach ihrer Haltung zur Hamas gefragt zu werden

Offene Huldigungen oder Flaggen der Hamas finden sich nicht, doch klare Verurteilungen gibt es nur selten. „Wie verwehren uns nach Forderungen einer einseitigen Verurteilung der Gewalt“, sagt eine Sprecherin des Jüdischen Bunds, einer linken Gruppe, die ebenfalls an der Organisation beteiligt war. „Der 7. Oktober ist eine Fortsetzung der Gewalt, die Pa­läs­ti­nen­se­r:in­nen seit Jahren erleben.“

Sätze wie diese sind von vielen De­mo­teil­neh­me­r:in­nen zu hören. Viele sind sichtbar genervt, nach ihrer Haltung zur Terrororganisation gefragt zu werden.

Befürchtungen im Vorfeld, bei der Demonstration könnte es nach dem Verbot des Samidoun-Netzwerks vom Donnerstag zu Ausschreitungen kommen, erwies sich als unbegründet. In friedlicher Stimmung zog die Demonstration die Strecke entlang – auch wenn vereinzelt Pyros gezündet wurden und einige Jugendliche keine Gelegenheit ausließen, diverse Hochpunkte auf der Strecke zu erklettern und die palästinensische Fahne zu schwenken. Selbst das harte Durchgreifen der Polizei, die immer wieder in den Demozug eindrang, um Einzelpersonen festzunehmen, führte zu keinen größeren Eskalationen.

Bereits im Vorfeld hatte die Polizei angekündigt, streng gegen antisemitische und antiisraelische Parolen oder die Billigung des Hamas-Terrors vorgehen zu wollen. So führte ein Schild mit der Aufschrift bzw. das Rufen der Parole „From the river to the sea, Palestine will be free“ zur Festnahme. Erst im Oktober kündigte die Berliner Staatsanwaltschaft an, den Slogan künftig als strafbar einzuordnen, weil er nach deren Interpretation zur Auslöschung Israels aufruft.

Tim Smith, Sprecher der Palästina Kampagne, kritisiert diese Sichtweise. „Der Slogan fordert ein Palästina, bei dem alle Menschen in der Region frei leben können – auch Juden“. Das Verbot bezeichnete er als eine Einschränkung der Meinungsfreiheit.

Auch strafbare Plakate wurden rigoros beschlagnahmt. Bereits vor dem Start der Demo konfiszierten Beamte ein Transparent mit dem Slogan „Hands off Samidoun“.

Am Ende des Tages bilanzierte die Polizei 68 Freiheitsentzüge und 36 eingeleitete Ermittlungsverfahren, unter anderem wegen des Verdachts der Volksverhetzung und der Billigung von Straftaten.

krieg in nahost

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