Niedersächsischer Optimismus

In Hannover will man weiterhin sagen: Wir schaffen das. Die Stadt will bis Ende des Jahres eine Bezahlkarte für Geflüchtete einführen

Aus Hannover Nadine Conti

Wenn es eine Stadt gibt, die immer noch sagt „Wir schaffen das“, dann ist es Hannover. Als „Scheinlösungen“ bezeichnet der grüne Oberbürgermeister Belit Onay das, was derzeit bundesweit an Lösungen debattiert wird. Die Debatten über eine Obergrenze für Geflüchtete, über mehr Abschiebungen und eine Arbeitspflicht, wie sie zuletzt unter anderem der Deutsche Landkreistag forderte, gehen an der Realität in vielen Kommunen vorbei, kritisiert er.

Was die Kommunen wirklich bräuchten, seien eine rasche und transparente Weitergabe finanzieller Mittel von Bund und Ländern, Bürokratieabbau – und endlich die versprochene Digitalisierung der Ausländerbehörden. Die war schon beim Flüchtlingsgipfel mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) Anfang des Jahres ein großes Thema, passiert sei aber wenig. „Wir müssen aufpassen, dass wir den Streit um Finanzierungsfragen jetzt nicht auf dem Rücken der Betroffenen austragen“, sagt Onay.

In Sachen Bürokratieabbau wird in Hannover seit längerem eine „Sozialkarte“ diskutiert. Das sei nicht zu verwechseln mit der Umstellung von Geldzahlungen, die Geflüchtete derzeit nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bekommen, auf Sachleistungen, wie es vielfach gefordert werde, betont der OB. Vielmehr will Hannover bereits bis Ende des Jahres eine Debitkarte einführen, mit der Geflüchtete, aber auch andere Sozialleistungsempfänger ohne eigenes Konto ganz normal an der Supermarktkasse zahlen oder ihren Regelsatz am Geldautomaten abheben können. Auch der Städte- und Gemeindebund hat sich im Vorfeld des Bund-Länder-Gipfels für eine einheitliche Bezahlkarte ausgesprochen.

„Das verschlankt und entbürokratisiert den Auszahlungsprozess erheblich und eröffnet neue Wege für soziale Teilhabe“, sagt Sozialdezernentin Sylvia Bruns (FDP). Bisher mussten diese Menschen jedes Mal am Anfang des Monats Schlange stehen, um den Auszahlungsschein der Behörde bei der Sparkasse einzulösen.

Im vergangenen Jahr, als viele Geflüchtete aus der Ukraine kamen, musste Hannover Zelte aufbauen. Das will man nicht mehr – stattdessen versucht man es mit einem mehrstufigen System aus großen Notunterkünften, zum Beispiel in leerstehenden Schulen oder in der alten Feuerwache. Von da sollen die Geflüchteten möglichst rasch weiterwandern in kleinere Gemeinschaftsunterkünfte im gesamten Stadtgebiet, dann in Wohnprojekte oder in eigene Wohnungen. Eigentlich ist eine maximale Verweildauer von zwei oder drei Wochen in den Unterkünften angestrebt – das lässt sich aber nicht mehr überall halten.

Aktuell sind die städtischen Unterkünfte zu 91 Prozent belegt, sagt die Sozialdezernentin. 6.068 geflüchtete Personen sind in städtischen Unterkünften untergebracht, nur 1.270 von ihnen sind Ukrainer*innen. Die erneute Landeszuweisung von 823 Geflüchteten in den nächsten sechs Monaten sei eine Herausforderung, aber zu bewältigen. Allerdings, räumt der Oberbürgermeister ein, gerate das System da ins Stocken, wo der angespannte Wohnungsmarkt dafür sorgt, dass die Menschen länger in den Unterkünften bleiben müssten als eigentlich gewünscht.

Deshalb plant man nun auch in Hannover eine große Notunterkunft aus Leichtbauhallen. Die haben aus der Sicht der Stadt den Vorteil, dass sie dichter an einer festen Behausung sind als Zelte – aber gleichzeitig flexibler belegt und je nach Bedarf erweitert oder eingelagert werden könnten.

Aus der Sicht mancher Flüchtlingshelfer sind viele Probleme in den überlasteten Kommunen aber auch hausgemacht. Die jeweils zuständige Ausländerbehörde könne beispielsweise relativ leicht für Entlastung sorgen, in dem man Duldungsfristen längerfristig gestalte und Arbeitsgenehmigungen großzügiger erteile – statt die Leute zu zwingen, alle paar Monate erneut vorzusprechen, glaubt Frank Steinlein vom Unterstützerkreis Flüchtlingsunterkünfte.

Tatsächlich hat das Bundeskabinett vergangene Woche Regelungen beschlossen, die es Geflüchteten mit einer Duldung erleichtern soll, Arbeit zu finden. Bisher konnte jede Ausländerbehörde zudem eigenmächtig darüber entscheiden, ob Geduldete überhaupt eine Arbeitserlaubnis bekommen. Geduldete sind Geflüchtete, die zwar ausreisepflichtig sind, aber nicht abgeschoben werden können – etwa, weil sie krank sind oder keine Papiere haben. Asylbewerber im laufenden Verfahren sollen zudem schon nach sechs Monaten, statt wie bisher erst nach neun Monaten, auf Jobsuche gehen dürfen.

Ein weiteres Problem sind aus Sicht der Flüchtlingshelfer aber auch die bürokratischen Wohnsitzauflagen, erzählt Steinleins Vorstandskollege Reiner Melzer: Ein Mann habe seinen bereits unterschriebenen Mietvertrag zurückgeben müssen, weil die Wohnung kurz hinter der Stadtgrenze lag.