Polens Demokratie weist die PiS in die Schranken

Nun ist es amtlich: Die Rechtskonservativen verlieren, das Oppositionsbündnis gewinnt. Bis in Warschau eine neue Regierung unter Donald Tusk steht, dürfte es aber noch dauern

Warschau am Sonntag: Auch die schlechtere Wirtschaftslage hat viele in die Wahllokale getrieben Foto: Attila Husejnow/ZUMA Wire/imago

Von Gemma Terés Arilla

Die Bilder gingen Anfang des Monats um die Welt: Menschen aus ganz Polen hatten sich in Warschau versammelt, um ein klares Zeichen gegen acht Jahre PiS-Politik zu setzen und zum Machtwechsel aufzurufen. Nun, gut drei Wochen später, kann man sagen: Der Protest hat gewirkt. Sowohl diese letzte Demonstration als auch die ebenfalls große Kundgebung der polnischen Opposition im Juni haben die unentschiedenen ­Po­l*in­­nen und bisherigen Nicht­wäh­le­r*in­nen zum Urnengang bewegt. Und somit die Parlamentswahlen am vergangenen Sonntag zu einer der wichtigsten in der polnischen demokratischen Geschichte gemacht.

„Mein Vater hatte seit 1989 seinen Wahlzettel nicht mehr abgegeben. Dieses Mal hat er das Gefühl bekommen, dass es mit der PiS reicht und dass Polen ein Momentum erlebe“, erzählt Klaudia Wojciechowska, Aktivistin, die in einem Recherche-Institut in Warschau arbeitet, und die sich wie viele andere Nicht-PiS-Wähler in ihren Geburtsort umgemeldet hatte, um ihre Stimme nicht in der Hauptstadt, sondern in einem kleinen Dorf abzugeben. „Polen ist nicht Warschau, eine bereits liberale Stadt, und so wie ich haben viele meiner Freunde ihre Wahlstimme in kleineren Ortschaften abgegeben, da wo Oppositionsstimmen viel mehr gebraucht werden“, sagt Wojciechowska, die 2019 und 2020 bei den Pro-Abtreibungsrecht-Demos mitgelaufen ist. Für sie, als Frau, war das eine der Hauptmotivationen, wählen zu gehen: „Die PiS-Politik beeinflusst direkt mein privates Leben. Das wollte ich ändern.“

Wie ein „Willkommen in einem besseren Polen“ könnte die Nach-Wahl-Stimmung in Polen zusammengefasst werden. Optimismus und Jubel spürt man in den Telefonaten mit Po­l*in­nen und in den sozialen Medien. Entscheidend bei der unerwarteten hohen Wahlbeteiligung von gut 74 Prozent (damit so hoch wie nie seit 1989) war auch die einzige TV-Debatte eine Woche vor der Wahl, bei der an erster Stelle die Partei Dritter Weg und an zweiter Stelle die linke Lewica punkteten. Laut Umfragen steht die polnische Gesellschaft auf Pragmatismus und Kompromissfindung. Und das hat sich bei den drei demokratischen Oppositionsparteien während der TV-Debatte ganz klar gezeigt. Mit 248 Mandaten im polnischen Parlament, dem Sejm, haben die demokratischen Oppositionsparteien eine Mehrheit erreicht, auch wenn die regierende Recht und Gerechtigkeit (PiS) stärkste Kraft bleibt. Ein wahrscheinlicher Machtwechsel steht nun bevor: Die Dreierkoalition der liberal-konservativen Bürgerplattform (KO) – unter anderem mit Ex-Ministerpräsident und ehemaligem EU-Ratspräsidenten Donald Tusk – des christlich-konservativen Dritten Wegs und der Lewica wird nun in den kommenden Wochen versuchen, eine neue Regierung bilden. Das könnte aber bis kurz vor Weihnachten dauern.

Ein Hindernis der neuen Regierungskoalition könnte ein mögliches Veto des noch bis 2025 amtierenden Präsidenten Andrzej Duda sein, der aus der PiS stammt. „Klar, es ist eine reale Bedrohung“, sagt die grüne Sejm-Abgeordnete Urszula Zielinska, die auch Teil der Bürgerplattform KO ist. „Aber Duda hat bereits in der Vergangenheit gezeigt, dass er die PiS bremsen kann, so etwa deren Versuch, die Lizenz des unabhängigen Fernsehsenders TVN24 zu übernehmen. Duda will doch in der Geschichte als Präsident für ganz Polen, und nicht nur für die PiS, erinnert werden“, so Zielinska, die ein neues Verhältnis zur Europäischen Union und die volle Unterstützung für die Ukraine als drängendste Aufgaben ansieht.

Die Rolle der Atomenergie beim Kohleausstieg und ein mögliches Referendum über das Abtreibungsrecht in den ersten zwölf Wochen sind wahrscheinliche Reibungspunkte der neuen Dreierkoalition. „Aber dass wir die Rechtsstaatlichkeit in Polen wiederherstellen müssen, vereint uns und wird die Dreierkoalition wohl ermöglichen“, fügt Zielinska hinzu und hofft auf eine baldige Freigabe der von der EU blockierten 35,4 Milliarden Euro aus dem Coronahilfsfonds.

Parallel zur Parlamenstwahl fand in Polen auch ein Referendum mit vier Fragen statt, jedoch wurde es wegen fehlende Mindestbeteiligung für ungültig erklärt. Eine der Fragen war die Aufnahme „von Tausenden illegalen Einwanderern“. Zum Thema Migration hat Tusk bisher eher eine PiS-nahe Rhetorik benutzt und immer wieder vor „unkontrollierter Migration“ gewarnt.

Ein Hindernis der neuen Regierung könnte der noch bis 2025 amtierende Präsident Duda sein

Gerade die Müdigkeit von internen politischen Streitigkeiten und die überpolitisierte Berichterstattung der polnischen Medien hat die Po­l*in­nen zum Wählen bewegt. Nach Angaben des soziologischen Instituts More in Common haben 82 Prozent der Bevölkerung dies satt. „Die Menschen haben den Eindruck bekommen, dass die Politik ihr Leben radikal geändert oder sie sich in ihre Privatsphäre eingemischt hat, und das wollte sie nun abwählen“, sagt die Sozialforscherin Zofia Włodarczyk. Die schlechtere Wirtschaftslage als bei früheren Wahlen hat ebenfalls die Wäh­le­r*in­nen mobilisiert. „Die Menschen haben sich starke Veränderungen gewünscht, deswegen gingen sowohl Unentschiedene als auch Nichtwähler in die Wahllokale – und die wählten eher moderat als extrem“, sagt Włodarczyk.

Die in der Regel nicht an der Politik beteiligten Po­l*in­nen haben vor allem die Bürgerplattform und den Dritten Weg gewählt. „Auch die Jugend und Frauen, die massiv als Zielgruppen in der Wahlkampagne angesprochen wurden, haben das Zentrum gewählt“, fügt die Forscherin hinzu. So erklärt Włodarczyk auch, dass die rechtsradikale Konfederacja, die als einzige mögliche Koalitionspartnerin für die PiS zählte und die kontroverse Wahlauftritte hatte, weniger Stimmen als erwartet bekam.

Nach dieser Parlamentswahl hat sich weiterhin die Regel bestätigt, dass die Rechtskonservativen weder in Groß- noch in Mittelstädten eine große Anhängerschaft haben. Während die PiS auf dem Land, selbst wenn kleinere Verluste zu beobachten sind, die meistgewählte Partei bleibt.

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