piwik no script img

Guter Nährboden für Kreativität und Tatendrang

Die Berliner Start-up-Szene ist bunt und lebendig. Ein großes Plus in der Hauptstadt: viele Möglichkeiten, sich zu vernetzen

Von Volker Engels

Der Name des Berliner Start-ups SHIT2POWER ist Programm. Das 2023 gegründete Unternehmen hat eine Anlage entwickelt, die die im Klärschlamm enthaltene Energie nutzt, um daraus Wärme, Strom oder Wasserstoff zu erzeugen. „Jedes Klärwerk ist ein Kraftwerk, Abwasser ist kein Abfallprodukt, sondern eine Ressource“, sagt Nina Heine, die SHIT2POWER zusammen mit ihrem Kollegen Fabian Habicht gegründet hat. Getrockneter Klärschlamm habe in etwa den Heizwert von Braunkohle.

Die Anlage wandelt Klärschlamm in ein energiereiches Synthesegas um und zerstört dabei giftige Verbindungen. Das erzeugte Gas lässt sich in modernen Blockheizkraftwerken gleich doppelt nutzen: Die entstehende Wärme wird für die Klärschlammtrocknung prozessintern verwendet, der erzeugte Strom steht externen Verbrauchern zur Verfügung. Wird ein Adsorbermodul eingebaut, kann der im Synthesegas enthaltene Wasserstoff abgetrennt und als Energieträger genutzt werden. Der Vorteil für Kommunen mit kleinen Klärwerken: Die Anlage in Containergröße verwertet den Klärschlamm direkt vor Ort und wandelt ihn in nutzbare Energie um. Aktuell gebe es Tausende Kläranlagen in Deutschland, die jährlich 500 Millionen Euro für die Entsorgung des Klärschlamms berappen müssten.

Dass sich SHIT2POWER in guter Gesellschaft mit anderen Neugründungen befindet, belegen die Ergebnisse des Deutschen Start-up Monitors 2023. Der Bundesverband Deutsche Start-ups hat darin rund 2.000 Grün­de­r:in­nen bundesweit befragt. Fast die Hälfte der Start-ups zählt sich zur Green Economy.

Die hohe Inflation, steigende Zinsen und wirtschaftliche Turbulenzen machen aber auch den Start-ups in Deutschland zu schaffen. „Das Werben um Geldgeber ist schwieriger geworden“, sagt Niclas Vogt vom Start-up-Verband. In Berlin mussten im letzten Jahr 24 Prozent der Start-ups Mitarbeitende entlassen, im bundesweiten Durchschnitt waren es nur 15 Prozent. Eine Ursache liegt für den Verbandssprecher auch darin, „dass viele Berliner Start-ups größer und internationaler ausgerichtet sind und sich dadurch internationale Krisen auch stärker bemerkbar machen“. In Zahlen ausgedrückt: 28,7 Prozent der Umsätze erwirtschaften Berliner Start-ups im Ausland, im Bundesschnitt sind es knapp 22 Prozent. 21 von 33 deutschen Unicorns – Start-ups, die mit mindestens einer Milliarde US-Dollar bewertet sind – haben ihren Sitz in der Hauptstadt.

Die durchschnittliche Mitarbeitendenzahl der befragten deutschen Start-ups bleibt trotz des angespannten wirtschaftlichen Umfelds stabil. In Berlin haben Start-ups durchschnittlich mehr als 42 Mitarbeitende. Allerdings planen sie in diesem Jahr weniger Neueinstellungen als 2022.

Positiv fällt ins Gewicht, dass die Gründungen in der Hauptstadt im ersten Halbjahr 2023 ein sattes Plus von 40 Prozent ausmachen. Im vergangenen Jahr waren die Neugründungen massiv eingebrochen. „Das zeigt, dass Start-ups ein wichtiger Wachstumsmotor der Berliner Wirtschaft sind“, unterstreicht Vogt. Der „Nährboden“ sei dort besser als in vielen anderen Städten und ziehe gut ausgebildete Menschen aus der ganzen Welt an. Wichtig sei dabei auch das internationale Flair der Hauptstadt, in dem sich Menschen aus aller Welt stärker willkommen fühlten als in anderen deutschen Standorten.

Berlin sei als Stadt ein „wirklich guter Ort für Neugründungen“, findet auch Nina Heine von SHIT2POWER. „Es ist wirklich einfach, sich hier mit anderen zu vernetzen.“ Diese Einschätzung teilt Yvonne Deininger, Leiterin der Kommunikation beim Businessplan-Wettbewerb Berlin-Brandenburg (BPW): „Kontakte zu knüpfen, sind das A und O in der Gründungsphase.“ Das BPW wird als länderübergreifende Initiative gemeinsam von der Investitionsbank Berlin (IBB) und der Investitionsbank des Landes Brandenburg (ILB) organisiert. Zahlreiche Hochschulen und Ko­ope­ra­ti­ons­part­ne­r:in­nen aus Berlin und Brandenburg sind ebenfalls mit an Bord. Start-ups, die sich mit ihren Ideen an den Wettbewerben beteiligen, werden von je zwei Ju­ro­ren:­in­nen begleitet.

Diese Ex­per­t:in­nen bewerten die Geschäftsidee und geben Hinweise und Tipps. Den Siegerteams der Wettbewerbe winkt ein Preisgeld, außerdem wird ein Publikums- und ein Nachhaltigkeitspreis vergeben.

„Das Preisgeld“, sagt Yvonne Deininger, „steht nicht an erster Stelle, vor allem die Unterstützung unserer Expert:innen-Teams ist wichtig.“ Auch Start-ups, die sich nicht an den Wettbewerben beteiligen, können ein kostenloses Angebot an Seminaren, Workshops oder Netzwerkveranstaltungen nutzen, bei denen sie auch auf potenzielle Investoren treffen. Rund 1.000 Gründungsinteressierte registrieren sich jährlich. Der Frauenanteil liege „seit Jahren relativ stabil bei rund 40 Prozent“.

Bundesweit beträgt der Anteil der Gründungen durch Frauen nur knapp 21 Prozent, in Unternehmen mit rein männlichen Gründungsteams sind weniger als 14 Prozent der Führungskräfte weiblich. Das ändert sich deutlich, wenn gemischte Gründungsteams an den Start gehen. Der Frauenanteil in Führungspositionen springt auf 40 Prozent. „Auch diese Zahlen unterstreichen“, so die Au­to­r:in­nen des Start-up-Monitors, „welchen enormen Einfluss geschlechterdiverse Gründungsteams auf die gesamte Unternehmensstruktur haben“.

Heute und morgen gibt es mehr Informationen rund ums Thema auf den Deutschen Gründer- und Unternehmertagen: www.degut.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen