„Aktiv auf Polizeiopfer zugehen“

Im Herbst will die Ampel einen unabhängigen Polizeibeauftragten auf Bundesebene einsetzen, ein Gesetz soll seine Befugnisse regeln. Auf Landesebene läuft noch einiges schief, sagt Polizeiforscher Hartmut Aden

Interview Christian Rath

taz: Herr Aden, warum brauchen wir unabhängige Polizeibeauftragte?

Hartmut Aden: Viele Menschen trauen sich nicht, Übergriffe und anderes Fehlverhalten von Po­li­zis­t:in­nen anzuzeigen. Sie befürchten, dass die Polizei Vorwürfe gegen Kol­le­g:in­nen nicht unabhängig untersuchen wird. Wenn es dennoch zu Ermittlungsverfahren gegen Po­li­zis­t:in­nen kommt, werden diese von der Staatsanwaltschaft fast immer eingestellt.

Und nun sollen stattdessen unabhängige Polizeibeauftragte solche Fälle ermitteln?

Für die straf- und disziplinarrechtlichen Ermittlungen gegen Po­li­zis­t:in­nen bleibt in Deutschland die Polizei selbst zuständig. Die Polizeibeauftragten können aber untersuchen, ob sich hinter den Vorwürfen strukturelle Probleme verbergen. Wenn es immer wieder zu ähnlichem Fehlverhalten kommt, könnte dies an einer unzureichenden Ausbildung oder einer problematischen Gesetzes- oder Weisungslage liegen. Oder daran, dass Fehlverhalten von Vorgesetzten systematisch gedeckt wird.

Können Polizeibeauftragte in solchen Fällen parallel zur Polizei ermitteln?

In den meisten Bundesländern müssen die Polizeibeauftragten warten, bis die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren abgeschlossen hat. Das kann ein bis zwei Jahre dauern. Danach sind die Betroffenen aber oft demotiviert, den Fall noch einmal aufzurollen. Auch können sich Beteiligte oft nicht mehr genau an den Vorfall erinnern. Daher ist es gut, dass im geplanten Bundesgesetz grundsätzlich parallele Ermittlungen vorgesehen sind.

Haben Polizeibeauftragte überhaupt die nötigen Befugnisse?

In den Bundesländern sind die Befugnisse oft unzureichend. So kann die Polizeibeauftragte von Rheinland-Pfalz nur das Landesinnenministerium um Stellungnahme bitten, aber nicht selbst ermitteln. In vielen Fällen kann sie nur versuchen, den Be­schwer­de­füh­re­r:in­nen das Handeln der Polizei zu erklären. So macht die Polizeibeauftragte letztlich Öffentlichkeitsarbeit für die Polizei. Das ist im Bund zum Glück nicht zu befürchten. Der Bundesbeauftragte soll zum Beispiel selbst in die Akten der Polizei schauen können.

Wie viele Mit­ar­bei­te­r:in­nen braucht der Bundes-Polizeibeauftragte?

Vermutlich wird man mit 10 bis 20 Mit­ar­bei­te­r:in­nen anfangen und abwarten, wie viele Beschwerden kommen.

In den Ländern gibt es bisher relativ wenig Beschwerden von mutmaßlichen Polizeiopfern.

Stimmt. Das führt dann dazu, dass manche Polizeibeauftragte glauben, es gebe zum Beispiel keine strukturellen Probleme mit Rassismus bei der Polizei. Es ist aber eher umgekehrt: Die Polizeibeauftragten müssen auch aktiv auf potenzielle Betroffene zugehen, zum Beispiel Migrant:innen, Drogenabhängige und Obdachlose. Sie müssen die Beschwerdemöglichkeit bekannt machen, auch in anderen Sprachen. Sonst beschweren sich immer nur Angehörige der weißen Mittelschicht, die wissen, wie man eine Beschwerde schreibt.

Auch Po­li­zis­t:in­nen können sich bei den Polizeibeauftragten beschweren. Wie oft kommt das vor?

Foto: Oana Popa-Costea

Hartmut Aden, 59, lehrt an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin und hat die Arbeit von Polizeibeauftragten untersucht.

Erstaunlich häufig. In den Bundesländern stammt fast die Hälfte der Beschwerden von Polizeibeamt:innen, die sich zum Beispiel beschweren, weil sie nicht befördert wurden. Hier kümmern sich Polizeibeauftragte um die Sorgen der Po­li­zis­t:in­nen, ähnlich wie sich die Wehrbeauftragte des Bundestags um die Sorgen der Sol­da­t:in­nen kümmert. Deshalb sind inzwischen auch einige Polizeigewerkschaften nicht mehr generell gegen Polizeibeauftragte.

Und wie häufig kommt es vor, dass Po­li­zis­t:in­nen als Whist­leb­lo­wer:­in­nen auf Missstände hinweisen, die nicht sie selbst betreffen?

Dass ein Polizist zum Beispiel auf Übergriffe von Kol­le­g:in­nen oder rechtsextreme Chatgruppen hinweist, ist die ganz große Ausnahme.

Der SPD-Abgeordnete Uli Grötsch soll erster Bundes-Polizeibeauftragter werden. Er war früher selbst Polizist. Ist das gut?

Das hat sicher gewisse Vorteile, weil er Insiderkenntnisse hat und weil er von der Polizei vermutlich besser akzeptiert wird. Problematisch wäre, wenn er nach seiner Amtszeit als Polizeibeauftragter wieder zur Polizei zurückkehren will. Das könnte Zweifel an seiner Unabhängigkeit auslösen.