Ethische Forschung an Embryos: Wer bestimmt die Prinzipien?

Manchmal macht Wissenschaft Dinge möglich, die neue ethische Fragen aufwerfen. Die Embryonenforschung ist ein vertracktes Beispiel.

Unterm Mikroskop können sich ethische Fragen auftun

Unterm Mikroskop Foto: Foto: Science Photo Library/imago

1 Was ist ein menschlicher Embryo?

Menschliche Embryonen entstehen in der Regel so: Eine Eizelle und ein Spermium vereinen sich, ihre Zellkerne verschmelzen. Im Laufe der nächsten Tage teilen sich die Zellen immer wieder, bis am fünften Tag nach der Befruchtung die sogenannte Blastozyste aus etwa 60 bis 100 Zellen entsteht. Diese nistet sich zwischen Tag 6 und Tag 10 in der Gebärmutterwand ein, um dort weiter zu wachsen. Die ersten Schritte lassen sich mittlerweile auch in einer Petrischale „in vitro“ machen, also außerhalb des lebenden Organismus. Nach der künstlichen Befruchtung kann die Blastozyste in die Gebärmutter eingesetzt werden.

Zusätzlich gibt es nun in der Forschung Wege, sogenannte Embryonenmodelle herzustellen, die echten Embryonen ähneln. Das funktioniert mit menschlichen Stammzellen, die entsprechend umprogrammiert werden und sich dann so verhalten wie eine befruchtete Eizelle – obwohl weder eine Eizelle noch ein Spermium beteiligt waren. Genau um diese Möglichkeit gibt es derzeit eine komplexe Debatte.

2 Warum soll überhaupt daran geforscht werden?

Menschliche Embryos können dazu beitragen, medizinische Fragen zu beantworten. Einerseits in der Fortpflanzungsmedizin: Wie kann etwa Paaren mit unerfülltem Kinderwunsch besser und sicherer geholfen werden? Andererseits könnten embryonale Stammzellen auch bei Krankheiten wie Diabetes, Herzinfarkt oder Schlaganfall nützen. Denn sie können sich noch in verschiedene Zellarten entwickeln, etwa Blut-, Leber- oder Hautzellen. So könnten sie beispielsweise geschädigte Gewebe reparieren. Mittlerweile lassen sich auch aus Zellen von erwachsenen Menschen – etwa Haut- oder Blutzellen – wieder Stammzellen gewinnen. Diese ethisch unbedenklicheren Zellen helfen bei manchen Forschungsfragen weiter. Der Nutzen von embryonalen Stammzellen für die Forschung geht allerdings möglicherweise darüber hinaus.

3 Was sagen die Gesetze dazu?

Mit menschlichen Embryonen zu forschen ist in Deutschland verboten. Das ist so im 1990 verabschiedeten Embryonenschutzgesetz (ESchG) festgelegt. Tatsächlich darf eine Eizelle nur künstlich befruchtet werden, damit die Frau schwanger werden kann, von der die Eizelle stammt. Selbst an internationalen Forschungsprojekten mit menschlichen Embryonen dürften deutsche Wis­sen­schaft­le­r:in­nen nicht mitmachen. Sonst machen sie sich strafbar, auch wenn diese Forschung in dem betreffenden Land erlaubt ist. In Großbritannien, Dänemark, Schweden, den USA und Japan darf mit frühen Embryonen (bis zu 14 Tage alt) geforscht werden, die für die Fortpflanzungsmedizin gedacht waren, dann aber nicht mehr benötigt werden.

Im ESchG ist auch festgelegt, dass in Deutschland keine Stammzellen aus menschlichen Embryonen gewonnen werden dürfen. Aus anderen Ländern dürfen sie jedoch unter bestimmten Bedingungen importiert werden – was Forschende als Doppelmoral kritisieren.

4 Der Knackpunkt: Wo beginnt menschliches Leben?

Wenn jetzt aber Embryonenmodelle ohne Eizelle hergestellt werden können, stellt sich zusätzlich die Frage: Ab wann ist das Ergebnis einem echten Embryo so ähnlich, dass es rechtlich genauso behandelt werden sollte? Das wird immer relevanter, weil mehr und mehr Arbeitsgruppen solche Modelle herstellen und mit ihnen forschen. Unter diesem Gesichtspunkt sehen Forschende das deutsche Embryonenschutzgesetz als veraltet oder nicht mehr ausreichend an.

Aber auch im globalen Kontext wird darüber diskutiert, welche Gesetze angepasst werden müssten. Ein internationales Team aus Wis­sen­schaft­le­r:in­nen hat sich dazu Gedanken gemacht, wie genau ein Embryo heutzutage überhaupt definiert sein müsste. Ihr Vorschlag: Das Embryonenmodell gilt als Embryo, wenn es auch aus Geweben besteht, die Funktionen außerhalb des Embryos und innerhalb der Gebärmutter übernehmen können. Das werten sie als Zeichen, dass es sich potenziell zu einem Fötus weiterentwickeln könnte. Um herauszufinden, ab welchem Punkt so eine Entwicklung aber tatsächlich möglich wäre, müsste man die Modelle in eine Gebärmutter einpflanzen, was wiederum verboten ist. Deshalb schlagen die Forschenden vor, dass die Länder entweder je nach Gesetzeslage einen Zeitpunkt festlegen oder sich an „gleichwertigen“ Tiermodellen orientieren.

Die Reaktionen auf ihre Veröffentlichung zeigen: Allein dazu gibt es noch viel Diskussionsbedarf. Denn unabhängige Wis­sen­schaft­le­r:in­nen bezweifeln einerseits, dass sich ein bestimmter Zeitpunkt sinnvoll festlegen lässt, andererseits sehen sie noch weitere Kriterien – wie etwa das Selbstbewusstsein oder die Leidensfähigkeit – als relevant an. Und das sind nur Beispiele für die vielen Fragen, die sich Forschung und Politik rund um die Embryonenforschung in der nächsten Zeit stellen müssen.

5 Wie geht die Wissenschaft mit Grauzonen um?

Menschliche Embryos können dazu beitragen, verschiedene medizinische Fragen zu beantworten

Bei ethisch fraglichen Forschungsbereichen gibt es in der Regel Behörden und Ethikkommissionen, die solche Vorhaben begutachten und genehmigen müssen. In Großbritannien überwacht die Human Fertilisation and Embryology Authority (HFEA) den Umgang mit menschlichen Embryonen. So etwas gibt es in Deutschland nicht. Allerdings haben wir Instanzen für verwandte Themen, wie etwa die Zentrale Ethikkommission für Stammzellenforschung, die an das Robert Koch-Institut angegliedert ist. Sie prüft Anträge zur Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen. Sobald ein Organismus mit Hilfe von Gentechnik verändert werden soll, kommt die Zentrale Kommission für die Biologische Sicherheit (ZKBS) ins Spiel. Je nach Forschungsvorhaben sind weitere Behörden und Ethikkommissionen zuständig.

Auch die Wis­sen­schaft­le­r:in­nen selbst machen sich viele Gedanken um solche ethischen Themen. Immer wieder gibt es Veröffentlichungen mit Vorschlägen zum Umgang mit schwierigen Forschungsbereichen. Die Diskussionen finden in Arbeitsgruppen von Instituten wie der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina oder der Union der Deutschen Akademien der Wissenschaften statt. Dort befassen sie sich mit Ethikfragen und geben politische Empfehlungen ab.

6 Was bedeuten all diese Prozesse für die Wissenschaftsfreiheit?

Neue Gesetze zur Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit zu erlassen ist gar nicht so einfach. Denn im Grundgesetz, Artikel 5, steht: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.“ Das heißt natürlich nicht, dass man alles machen kann, was man möchte. Aber jede Beschränkung braucht rein rechtlich einen triftigen Grund. Das ist eine wichtige Voraussetzung für unabhängige Forschung, denn sonst könnte die Politik theoretisch alle wissenschaftlichen Untersuchungen verbieten, die ihr nicht gefallen. Gleichzeitig muss natürlich sichergestellt werden, dass die Freiheit nicht für unethische Vorhaben missbraucht wird. Genau dafür gibt es die Diskussionen auf den verschiedenen Ebenen.

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