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Nah genug dran

Warum Lee Miller so gut den Krieg fotografieren konnte, lässt sich in einer Ausstellung in Hamburg mindestens erahnen. Allerdings menschelt sie doch allzu sehr

Von Bettina Maria Brosowsky

Bilder des Krieges verdrängt man gerne. Russische Vernichtungsfeldzüge in Tschetschenien und Syrien, Konflikte in Moldau, Georgien oder 2014 der Kriegsbeginn im Donbass: Wen hat es hierzulande wirklich interessiert? Jetzt kann sich jede:rMaterial aus den Helmkameras ukrainischer Streitkräfte ansehen, von fliegenden Drohnen oder russischen Militärbloggern. Aber lassen sich so die Schrecken eines Krieges, seine menschlichen Abgründe fassen?

Anders gefragt: Was würde eine gute Kriegsberichterstattung auszeichnen? Vielleicht geben die historischen Leistungen der „Großen“ dieser Branche Antworten, eines Ernest Hemingway und einer Martha Gellhorn, die Aufnahmen von Robert Capa, Gerda Taro oder Margaret Bourke-White? Und dann wären da die Fotografien und Textreportagen der US-Amerikanerin Lee Miller (1907–1977). Sie hielt ab 1940 den Zweiten Weltkrieg in Europa fest. Ihr Werk zeigt gerade eine Ausstellung im Hamburger Bucerius Kunstforum, ein Import aus dem Zürcher Museum für Gestaltung. Zum Jahreswechsel 20/21 konzipiert sollte sie vorrangig das Œuvre würdigen, ohne die Aktualität des Kriegsthemas auch nur zu ahnen: Unter dem Titel „Fotografin zwischen Krieg und Glamour“ menschelt es arg. Mehrere Abschnitte, die Wände in Pastelltönen gehalten, widmen sich Millers Rolle als Modell und Muse der Pariser Surrealisten um 1930 oder ihren exaltierten Künst­le­r:in­nen­tref­fen und Küchentalenten zum Ende ihres Lebens. Rund 150 Arbeiten aus der Zeit von 1929 bis 1973 lassen aber auch dem zentralen Werkaspekt Lee Millers aus dem Zweiten Weltkrieg ausreichend Raum. Dazu zählt ein eigenes Kabinett mit den Bild- und Textreportagen, mit denen sie der Weltöffentlichkeit gleich nach der Befreiung das Grauen der Konzentrationslager Buchenwald und Dachau vor Augen führte.

Ab den 1950ern hielt Miller ihr Archiv unter Verschluss. Die Bilder des Kriegs verdrängte sie auf den Dachboden des britischen Landhauses, das sie bewohnte. Ihr Sohn Antony Penrose stieß erst Jahre nach ihrem Tod auf den Fundus: 40.000 Negative, Kontaktabzüge, Reportagen, unveröffentlichte Manuskripte und persönliche Dinge. Er rekonstruierte die Biografie einer intensiv arbeitenden wie lebenden Frau: viele verifizierbare Daten und wohl noch mehr Legenden, die wohl auch Lee Miller selbst überforderten, zu Depression und Alkoholsucht führten.

Hamburg leistete für ihre Wiederentdeckung Pionierarbeit: 2003 wurde im Museum für Kunst und Gewerbe erstmals in Europa ein kleiner Ausschnitt ihres fotografischen Schaffens gezeigt, 2006 folgten das Kunstmuseum Wolfsburg, 2015 die Albertina in Wien, mit umfangreichen Überblicken unter eigenen Schwerpunkten. Leider verstellen inzwischen unzählige Bücher, bis hin zu Millers Kochrezepten, den Blick aufs Wesentliche ihres Schaffens.

In München posierte sie in Hitlers Wohnung in dessen Badewanne und am Schreibtisch, hielt ein Nickerchen auf Eva Brauns Bett. Eine Ästhetisierung des Grauens

Diesen einen Menschen Lee Miller, so erkennt man schnell, gibt es nicht. Heute würde man von einer multiplen Persönlichkeit sprechen. Da ist die selbstsichere junge Frau aus gutsituierter New Yorker Familie, die 1927, ob ihrer fotogenen Schönheit, vom Verleger Condé Nast für die Modezeitschrift Vogue entdeckt eine Blitzkarriere als Supermodel hinlegt. Da sind aber auch seelische Verletzungen – eine Vergewaltigung in der Kindheit, der Vater, der übergriffig erotische Fotos seiner Tochter fertigte, und immer wieder tragische Todesfälle im Freundeskreis –, die Miller zu einer rastlos Suchenden werden lassen. Ein Kostüm- und Bühnenbildstudium in Paris wird nach kurzer Zeit abgebrochen. Die Tätigkeit als Fotomodell weckt ihr Interesse am Medium. Zielsicher sucht sie sich Man Ray als Lehrmeister. Ihn soll sie in einem Café mit den Worten angesprochen haben: „Ich bin Ihre neue Schülerin.“ Eine dreijährige Lebens- und Arbeitsgemeinschaft folgt. Miller erfindet unbeabsichtigt das Solarisationsverfahren, indem sie Negative während der Entwicklung fälschlich dem Licht aussetzte.

Miller löste sich aus dem Abhängigkeitsverhältnis zum Lehrer. Ab 1930 verfasste sie eigene Modefotos, unter anderem für Coco Chanel, Porträtfotografien surrealen Einschlags, zog 1934 nach Ägypten – und entdeckt die Wüste als Thema. Als sie 1937 erneut nach Paris kommt, lernt sie dort Roland Penrose kennen, englischer Maler, Sammler wie Förderer der Surrealisten, Biograf Picassos und ihr Partner bis zum Lebensende. Ihm folgt sie nach England und arbeitet dort wieder als Porträt- und Modefotografin.

Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges begann ihr mentaler Spagat. Miller dokumentierte die Schrecken des „Blitzes“, der deutschen Luftangriffe, für die britische Zivilbevölkerung – und inszenierte luxuriöse Mode in pittoresken Trümmern. 1942 ließ sie sich als Kriegsberichterstatterin der amerikanischen Armee akkreditieren, porträtiere ihren Kollegen David E. Scherman: mit Gasmaske, Helm und Kamera, fertig für den Krieg. Ab 1944 hielt sie den Vormarsch alliierter Truppen durch Frankreich und Deutschland fest. Ihre Fotos und zunehmend auch eigene Texte erschienen nach wie vor in der Vogue. Die britische Ausgabe war restriktiv, die US-amerikanische aber brachte alles: so 1945 unter der Aufforderung „Believe it“ die Bilder der Leichenberge und abgemagerter Überlebender aus dem gerade befreiten KZ Buchenwald. In Dachau stieg sie wenig später in einen Waggon des Todeszuges aus anderen Lagern, war, wie Robert Capa es für gute Kriegsbilder gefordert hatte, „nah genug dran“. In unverzagter Direktheit nahm sie Bilder ermordeter SS-Aufseher oder den Leichnam der Leipziger Bürgermeistertochter nach ihrem Suizid auf. In München posierte sie in Hitlers Wohnung in dessen Badewanne und am Schreibtisch, hielt ein Nickerchen auf Eva Brauns Bett. Eine Ästhetisierung des Grauens durch inszenierte Bilder, zudem für eine Modezeitung: Diese Kritik musste sie sich fortan gefallen lassen, vielleicht auch dreiste Siegerpose.

Lee Miller registrierte, ähnlich Martha Gellhorn, den Krieg in den Menschen und ihrem Leid. Für die Deutschen empfanden beide nichts als Verachtung. Miller kam ihr surrealistisches Training zugute: Sie erkannte die Absurdität des Krieges, versuchte eine innere Distanz. Ihre Botschaften platzierte sie aus dem Selbstverständnis der Dokumentarfotografin – und brach mit den Erwartungen wie dem Genre.

„Lee Miller. Fotografin zwischen Krieg und Glamour“, Bucerius Kunstforum, Hamburg, täglich 11-19 Uhr, donnerstags bis 21 Uhr. Bis 24. 9.

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