Forschung zum Anthropozän: In welchem Zeitalter wir leben

Hat der Mensch die Erde so verändert, dass wir eine neue Epoche ausrufen müssen? Forschende haben nun einen Referenzpunkt benannt.

Zwei Wissenschaftler bereiten sich auf die Entnahme der Sedimentprobe vom Grund des Crawford Lake vor

Drei Geo­lo­g*in­nen bei der Entnahme von Sedimentproben am Crawford Lake Foto: Tim Patterson/dpa

BERLIN taz | Der Crawford Lake ist ein unscheinbarer kleiner See im Südosten Kanadas. Doch genau er soll jetzt als symbolischer Ort das Anthropozän markieren – das Erdzeitalter des Menschen. Diese Entscheidung gab die Anthropocene Working Group (AWG) am Dienstagabend bekannt. Damit hat das Anthropozän, wie andere geologische Epochen, nun einen sogenannten Global Stratigraphic Section and Point (GSSP). Einen Ort, an dessen Sedimenten oder Gesteinen sich der Übergang von einem Zeitalter zum nächsten besonders gut zeigen lässt.

Die Arbeitsgruppe befasst sich seit 2009 mit der Frage, ob die Menschheit nicht mehr im Holozän, sondern vielmehr bereits im Anthropozän lebt. Das Konzept, das der niederländische Meteorologe und Chemienobelpreisträger Paul Crutzen im Jahr 2000 bekannt machte, speist sich von der Idee, dass der Mensch (Griechisch: anthropos) das Wesen seines Heimatplaneten durch moderne technische Entwicklungen tiefgreifend und unwiderruflich verändert. 2019 entschied sich die Arbeitsgruppe bereits für diese These.

Jetzt fiel ihre Entscheidung also auf den Crawford Lake nahe Toronto als geologischen Referenzpunkt. Für seine überschaubare Größe ist er mit 24 Metern recht tief. Sein entsprechend ruhiges Tiefenwasser ermögliche eine ungestörte Sedimentablagerung, erklärte Francine McCarthy, Professorin für Geowissenschaften an der Brocks University in Ontario. Die jährlichen Schichten des Sediments seien besonders gut unterscheidbar und bildeten so ein stabiles geologisches Archiv.

Als zuverlässigsten Marker für den Beginn des Anthropozäns entschieden sich die Forschenden für Isotope aus oberirdischen Atomwaffentests, die 1945 begannen. Die Explosionen verteilten die Isotope Plutonium-239 und Plutonium-240 als Spuren auf dem gesamten Planeten. Im Crawford Lake sei das Plutonium ab Ende der 1940er Jahre zu finden, mit einem schnellen Anstieg ab 1950. Mit diesem Jahr soll das Anthropozän laut der Arbeitsgruppe begonnen haben.

Doch kein neues Zeitalter?

Zuvor hatten Forschende weltweit Vorschläge für Orte eingereicht, an denen sich der menschliche Einfluss in Ablagerungen messen lässt. Am Ende waren neun Vorschläge übrig geblieben, zwischen denen sich die Arbeitsgruppe entscheiden musste. Unter den Orten, die es letztlich nicht geschafft haben, waren etwa das Flinders Korallenriff vor der Küste Australiens, das Torfmoor auf dem Berg Schneekoppe im polnischen Riesengebirge und ein Eisbohrkern auf der antarktischen Halbinsel.

Auch andere Erdzeitalter haben bereits geologische Marker, symbolisiert durch einen goldenen Nagel. Am Kuhjoch im österreichischen Karwendelgebirge etwa verweisen so ein Golden Spike und eine Erklärtafel auf den Übergang vom Trias zum Jura vor gut 200 Millionen Jahren – der Beginn des Dinosaurierzeitalters.

Mit ihrer Entscheidung ist die Arbeitsgruppe aber noch nicht am Ziel. Sie arbeitet darauf hin, dass sich nach einer weiteren Abstimmung in einer untergeordneten Kommission auch die International Commission on Stratigraphy (ICS) dem Vorschlag zustimmt, das Anthropozän als neue Epoche zu fassen. Sie entscheidet als Unterorganisation der größten geologischen Gesellschaft in letzter Instanz über den Antrag. Die endgültige Ratifizierung könnte im August 2024 erfolgen, heißt es in einer Mitteilung der Max-Planck-Gesellschaft – wenn der Vorschlag eine Mehrheit findet.

Das ist allerdings keineswegs ausgemacht. Unter den Geo­lo­g*in­nen gibt es auch abweichende Stimmen, die sich gegen die Idee richten, das Anthropozän offiziell als neue Epoche einzustufen. Folgt man dem Generalsekretär der ICS, Philip Gibbard, ist das Holozän, das vor rund 11.700 Jahren begann, bereits das Zeitalter des Menschen. Damals erwärmte sich die Erde, sodass homo sapiens sesshaft werden und Tiere und Pflanzen domestizieren konnte. Eine Neubestimmung wäre demnach überflüssig.

Manche Kri­ti­ker*­in­ner wollen den Anstieg des menschlichen Einflusses stattdessen lediglich als „Ereignis“ fassen, ähnlich der sogenannten Großen Sauerstoffkatas­trophe vor etwa 2,4 Milliarden Jahren. Zu dieser Zeit stieg unter anderem die Sauerstoffproduktion durch Photosynthese rasch an, was den Sauerstoffgehalt der Erdatmosphäre erhöhte.

In der Folge wurde das Treibhausgas Methan schneller abgebaut, was die Erde abkühlte und vereisen ließ. Viele Einzeller, die zuvor gut ohne Sauerstoff ausgekommen waren, starben. Folgt man diesen Kritiker*innen, so sollten neuerliche Entwicklungen, wie der rasante CO₂-Anstieg in der Atmosphäre, eher als ein solches plötzliches Ereignis angesehen werden – und nicht als Epoche für sich.

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