Wie wirksam sind die Sanktionen gegen Russland?

Sie sind „nicht für einen Sprint geeignet“, sagt eine Expertin. Das EU-Parlament verlangt neue Strafen

Aus Brüssel Eric Bonse

In Brüssel ist eine neue Debatte über die Sanktionen gegen Russland entbrannt. Zwei Wochen nach Einigung auf das elfte Sanktionspaket geht es um die Frage, ob die Europäische Union ihre Strafmaßnahmen gegen die russische Landwirtschaftsbank lockern sollte. So ließe sich womöglich verhindern, dass Russland aus dem am 17. Juli auslaufenden Getreideabkommen mit der Ukraine aussteigt, sagen EU-Diplomaten. Moskau behauptet, dass die EU-Sanktionen gegen russische Banken den Export von Dünger und Getreide nach Afrika behindern. Die EU bestreitet dies.

Das Gezerre zeigt, dass die EU-Sanktionen nicht nur Russland treffen. Gleichzeitig geht der Krieg in der Ukraine unvermindert weiter. Sind die Sanktionen also gescheitert? Ist der „Wirtschaftskrieg“, wie es der britische Historiker Adam Tooze nennt, aus dem Ruder gelaufen? Bisher sind diese Fragen in Brüssel tabu. Die EU-Kommission behauptet, ihre Politik sei alternativlos – und erfolgreich.

„Die Sanktionen wirken“, sagt auch Nicole Deitelhoff von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung. Allerdings sei das Hauptziel, ein Ende des Krieges also, verfehlt worden. Eine Verhaltensänderung sei auch am schwersten zu erreichen, räumte die Politikwissenschaftlerin bei einer Expertendiskussion in Brüssel am Donnerstag ein. Die bisherige Bilanz sei „gemischt“, eine Kosten-Nutzen-Analyse fehle.

„Sanktionen sind ein Langstreckeninstrument, für einen Sprint sind sie nicht geeignet“, so die Expertin. Zudem könnten sie nur dann als Hebel wirken, wenn man sie auch wieder aufheben kann. „Das müsste viel mehr diskutiert werden“, forderte Deitelhoff. Die EU müsse eine Führungsrolle übernehmen und „Bedingungen für erste Teilaufhebungen“ formulieren. Bisher gibt es dafür aber keine Anzeichen.

Die EU hat die Sanktionen nicht als Mittel der Diplomatie konzipiert; von einem möglichen Abbau der Strafen ist in Brüssel keine Rede. Im Gegenteil: Das Europaparlament will noch härter durchgreifen. Am Donnerstag sprachen sich die Abgeordneten dafür aus, auch die Umgehung von Sanktionen mit Strafen zu belegen. Unternehmen sollten bei Verstößen bis zu 15 Prozent des Umsatzes zahlen.

„Sie haben auch Kosten für unsere Volkswirtschaften“, sagt Forscherin Deitelhoff

„Es gibt keinen Grund, die Sanktionen aufzuheben, so lange der Krieg andauert“, sagte der CDU-Europaabgeordnete Michael Gahler. Dieser brachte auch gleich neue Daumenschrauben ins Gespräch. So könne griechischen Reedern verboten werden, russisches Öl zu transportieren. Bisher dürfen sie das – wenn das schwarze Gold nicht für die EU bestimmt ist. Diese Ausnahme hatte Athen durchgesetzt.

Die zahlreichen Ausnahmen und Lücken verhinderten ein „effektives Sanktions­regime“, sagte Deitelhoff. Angesichts der verschiedenen Interessen der 27 EU-Mitgliedsländer sei dies aber nicht verwunderlich. Nicht nur Griechenland oder Ungarn, auch Deutschland und Frankreich stehen immer wieder auf der Bremse. Der Grund: „Sanktionen haben auch Kosten für unsere Volkswirtschaften“.

Zufrieden zeigte sich Deitelhoff dagegen mit der „Signalwirkung“ der wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen: Krieg bleibt nicht ungestraft. Doch auch hier gibt es einen Wermutstropfen: „Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung“, so die Forscherin, sei gegen die westlichen Strafen. Dies hätten UN-Abstimmungen gezeigt. Die EU dürfe aber nicht aufgeben und müsse weiter für ihre Politik werben, so ihr Rat.