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Drei Bewerber:innen auf jeden Platz

Die Nachfrage ist groß, erschwingliche Ateliers aber sind rar: Auch in Bremen klagen Künstler:innen über fehlende Räume. Mit dem „Zentrum für Kunst“ im Tabakquartier von Woltmershausen will die Stadt die freie Kulturszene nun unterstützen

Neues Viertel in alter Zigarettenfabrik: Auch um das neue Kunstzentrum herum ist investiert worden im Tabakquartier Foto: Axel Kaste/Imago

Von Anne-Kathrin Oestmann

Bremen hat ein neues „Zentrum für Kunst“ im Tabakquartier, Woltmershausen heißt der Stadtteil. Und wie dringend die Kreativszene einen Ort wie diesen braucht, lässt sich auf der anderen Seite der Weser erkennen: im Stadtteil Findorff. Im ersten Stock eines Reihenhauses wohnen, leben und arbeiten dort die Jankowski-Brüder, Boleslaw und Kazimierz. Beide sind Künstler, die Haare der über 70-Jährigen sind weiß. Boleslaw trägt Socken in den „Fila“-Badelatschen. Das Logo in Großbuchstaben ist grün und rot übermalt. Es ist kühl, grau und regnet. Trotzdem hat Kazimierz eine Sonnenbrille mit rot-orange gefärbten Gläsern auf. Die Farbe passt zu seiner Weste, deren Muster an ein Leopardenfell erinnert. In der Küche steht der Geruch von Grünkohl – und ein runder Tisch aus Plastik; darauf rote und weiße Rosen in einer Vase. Der Flur ist ihre Galerie. Der Dachboden ist ihr Fundus. Das Wohnzimmer ist ihr Atelier.

Einen richtigen Arbeitsraum können sich Boleslaw und Kazimierz Jankowski nicht leisten. Ähnlich geht es vielen freischaffenden Künst­le­r:in­nen in Bremen. Mietkosten für Ateliers, die annähernd so hoch sind wie für eine Zweitwohnung, können die wenigsten Kulturschaffenden finanziell stemmen. Allein, um den Lebensunterhalt zu sichern, müssen viele Künst­le­r:in­nen einen Teilzeitjob haben. Auch der Maler Christian Plep kennt niemanden hier, der allein von seiner Kunst leben kann. Erschwingliche Ateliers sind rar und begehrt.

Dass der Bedarf an Räumlichkeiten riesig ist, bestätigt auch der Verein 23, Träger des Bremer „Güterbahnhof“-Areals: Seit 1997 sind rund 300 Kulturschaffende auf dem Gelände in der Bahnhofsvorstadt ansässig. Die freie Szene wächst, Anfang 2021 war sie noch um ein Drittel kleiner als heute. Ein Effekt: Die Zahl der Bewerbungen auf einen ausgeschriebenen Atelierplatz steigt ebenfalls. Der Vorstand des Vereins 23 spricht von einer drastischen Raumnot.

Ende 2018 wurde die Bitte aus dem Inneren der freien Kulturszene laut: „Wir brauchen mehr Räume.“ Die Bremer Politik hörte es, und das Kulturressort machte sich auf die Suche nach einer geeigneten Immobilie. Fündig wurden sie im Tabakquartier von Woltmershausen. Hier hat der Investor Justus Grosse schätzungsweise zehn Millionen Euro in den Umbau der ehemaligen Brinkmann-Fabrik gesteckt. Wo noch bis in die 1980er-Jahre Tabak getrocknet wurde, sind inzwischen neue Räume entstanden für Kulturschaffende: 17 Ateliers mit insgesamt 34 Atelierplätzen, zwei Säle für Theater- und Bühnenaufführungen, dazu ein Studio für Audio- und Videoproduktionen. Seit Ende Februar sind die Ausschreibungen offiziell: Es winken bis zu dreijährige Stipendien. „Wo?“, fragt der Kazimierz Jankowski. Dass in Woltmershausen ein richtiggehend so benanntes „Zentrum für Kunst“ eröffnet worden ist, und freie Ateliers kostenfrei vergeben werden. Das war dem freien Maler nicht bekannt.

Der Schall von Schritten und Stimmen fällt von den Wänden aus Stahlbeton und Böden aus Holz. In Reihen hängen schwarze Deckenleuchten parallel zueinander. Bisher sind die Ateliers in allen drei Stockwerken kahl und die Bühnen in den zwei Theatersälen leer. Doch schon bald ziehen auf einer Gesamtfläche von 5.500 Quadratmeter die Kunstschaffenden ein. Drei Kultursparten sollen sich nicht nur unter einem Dach, sondern auch in ihrer Arbeit vereinen: Musik, bildende und darstellende Kunst. Um die 100 bis 150 Menschen werden in Zukunft einen Platz im „Zentrum für Kunst“ des Tabakquartiers finden. Das lässt sich die Stadt Bremen immerhin 63.000 Euro warm im Monat kosten. Für die kommenden 15 Jahre ist der Mietvertrag unterzeichnet worden.

Der Mietvertrag ist für die kommenden 15 Jahre unterzeichnet

Laut Nicole Nowak, Geschäftsführerin des „Zentrums für Kunst“, war allein für die bildende Kunst der Andrang der Bewerbungen dreimal so groß, wie Räume zur Verfügung stehen. Im Gegensatz zu vielen anderen Stipendium-Angeboten wurde bewusst keine Altersgrenze gezogen. Also gingen Anfragen von Kunstschaffenden ganz unterschiedlicher Karrierephasen ein: Von Ab­sol­ven­t:in­nen der örtlichen Hochschule für Künste (HfK) bis hin zu erfahrenen Freischaffenden. Die Mehrzahl war jünger als 40, Nowak spiegelt sich diese Verteilung in der Platzvergabe wider. Ende Juni gab das Kulturressort bekannt: Die ersten Stipendiat:innen sind eingezogen.

Bei der Auswahl der Sti­pen­dia­t:in­nen wurde zudem darauf geachtet, einen Facettenreichtum an Kunstwerken ausstellen zu können: „Für uns war es wichtig“, sagt Nowak, „dass wir eine große Vielfalt an Künst­le­r:in­nen haben, die mit unterschiedlichen Medien arbeiten. Ein bunter Strauß soll es sein.“ Neben den Stipendien werden zudem Gast­spie­le ermöglicht: Auch wenn die Sti­pen­dia­t:in­nen den Kern des Projekts bilden, sollen sogenannte Slots, Zeitfenster, geöffnet werden für alle Bereiche des weiten Feld der darstellenden Künste und der Musik.

Einer der Erstbezieher:innen ist der interdisziplinär arbeitende Maxwell Stephens (hier: „Managerial Class“) Foto: Fred Dott

„Flächen, die für die kreative Szene geschaffen werden, sind grundsätzlich gut. Das neue Projekt im Tabakquartier ist ein großer Zugewinn“, findet der Grafiker Max Santo. Auch der Verein 23 begrüßt das Projekt. Demnach schließe das Zentrum für Kunst eine Bedarfslücke. Bisherige Angebote können die Nachfrage nicht decken. Schließlich liegt die freie Szene von bildenden, darstellenden Kunstschaffenden sowie Mu­si­ke­r:in­nen in Bremen bei schätzungsweise 2.500 Akteur:innen.

Auch wenn im Tabakquartier von Woltmershausen nur begrenzte Unterstützung geboten werden kann: Die Jankowski-Brüder, drüben aus Findorff, schließen nicht aus, sich in Zukunft auch dort zu bewerben: „Warum nicht, das wäre doch mal eine neue Herausforderung.“ Wenngleich die Maler der Meinung sind, dass es ein Zentrum für Kunst gar nicht geben könne – deren Zen­trum seien der Mensch und die Welt.

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