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„Hallo, hier meldet sich das Studio Wien-Budapest“

Von Barbara Oertel

Mein letztes Telefonat mit Ralf Leonhard liegt erst eine Woche zurück, doch jetzt scheint es gefühlt eine kleine Ewigkeit her zu sein. „Guten Tach, Frau Redakteurin“, sagte Ralf wie immer mit leicht spöttelndem Unterton – eine Anspielung auf meine, nicht nur sprachlich, norddeutsche Herkunft, die zu verleugnen sinnlos ist. Genauso amüsierte er sich übrigens auch, wenn bei einigen Worten in seinen Texten Übersetzungshilfe vonnöten war – wobei die „Angelobung“ hochrangiger Po­li­ti­ke­r*in­nen“ noch zu den harmloseren Beispielen zählte. Aber er konnte auch über sich selbst lachen, besonders immer dann, wenn ich wegen seiner zeitverzögerten Antworten das Gespräch unterbrochen wähnte.

Dass Ralf, es sei denn, er hatte sich vorher abgemeldet, nicht erreichbar war, kam fast nie vor. Falls das doch einmal passierte, nahm seine Frau Estrella die Anrufe entgegen. „Ralfito ist gerade nicht da“, sagte sie und lachte stets dabei. Aber er habe das Handy mitgenommen – eine Art Carte blanche oder Einladung, ihn auch noch im Supermarkt oder auf dem Naschmarkt erwischen zu können, wenn es denn pressierte.

Ich selbst lernte Ralf 1996 kennen – zu diesem Zeitpunkt war ich bereits seit einem Jahr in der Auslandsredaktion der taz tätig und für Osteuropa zuständig. Ralf hatte sich nach über zehn Jahren als taz-Korrespondent für Zentralamerika dafür entschieden, wieder nach Österreich zu ziehen, wenngleich er Zentralamerika nie aus den Augen verlieren sollte. Diese Entscheidung bescherte uns nicht nur einen wunderbaren Kollegen an einem neuen Einsatzort, sondern mir einen Zuwachs bei meinen zu betreuenden Kol­le­g*in­nen im Ausland. Nicht, dass Österreich plötzlich zu Osteuropa gehört hätte, doch es war wohl Sympathie auf beiden Seiten. Und so wuchs irgendwie zusammen, was anfangs nicht zusammenzugehören schien. Oft nannte mich Ralf „Towaritscha“ – das russische Wort für Genossin, und das blieb so.

Dank Ralf bekam die taz schon recht bald eine detaillierte und fundierte Berichterstattung über die Alpenrepublik, die zumindest noch zu dieser Zeit in der deutschen Presselandschaft ihresgleichen suchte. Wer sich damals für den Ortstafelstreit interessierte – eine jahrzehntelange Kontroverse im Bundesland Kärnten über die zweisprachige Beschriftung von Verkehrsschildern auf Deutsch und Slowenisch – kam an der taz nicht vorbei. Überhaupt wurde Kärnten dank dem Rechtsaußen Jörg Haider für Ralf zu einem seiner wichtigsten Betätigungsfelder. Nolens volens wurde er ab den Nullerjahren zu einem Chronisten der Skandale der Republik. Das galt für Fälle sexuellen Missbrauchs im Kloster von St. Pölten genauso wie den Verkauf der Bank Hypo Alpe Adria oder die korrupten Machenschaften des ehemaligen konservativen Finanzministers Karl-Heinz Grasser.

Ebenfalls in den Nullerjahren weitete Ralf auf eigenen Wunsch seine Berichterstattung auf Ungarn aus. Seine Begrüßungsformel „Hier Studio Wien“ verwandelte sich in „Hier Studio Wien-Budapest“. Fortan besuchte er das Land regelmäßig, nicht nur, um sich an dem sich immer autoritärer gebärdenden Regierungschef Viktor Orbán abzuarbeiten, sondern auch um beim Thema Menschenrechtsverletzungen, wie im Fall der Roma, genau hinzusehen. Mehr als einmal war das Bedauern zu hören, nicht auch noch zumindest ein wenig Ungarisch gelernt zu haben.

In all den Jahren, die wir zusammengearbeitet haben, reichte es immer wieder auch für ein persönliches Treffen. Unvergessen ist mir das WM-Viertelfinalspiel im Sommer 2010 zwischen Argentinien und Deutschland, das wir in brütender Hitze in Berlin anschauten und das mit 4:0 an Deutschland ging. Müßig zu fragen, wem Ralf damals die Daumen drückte.

Am 10. Oktober 2021 veröffentlichte die taz von Ralf einen langen Beitrag über den ehemaligen politischen Senkrechtstarter und ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz, den eine beachtliche Ansammlung von Skandalen schließlich sein Amt kostete. Der Text, wie ein Theaterstück gehalten, ist unter anderem überschrieben mit „Ein Drama in fünf Akten“. Große Worte – um den Schmerz und die Fassungslosigkeit über den plötzlichen Verlust von Ralf zu beschreiben, fehlen sie.

Die Autorin ist Co-Ressortleiterin im Ausland.

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