Serie über Sexarbeit: Die Dialektik des Online-Sex
Die ZDF-Serie „WatchMe – Sex sells“ über Erotik-Plattformen zeigt: Paid-Content wie von OnlyFans führt nicht automatisch zu Selbstbestimmung.
Ex-Schlagerstar Michael Wendler und seine Frau Laura Müller dürften mittlerweile einen beachtlichen Teil ihres Einkommens damit generieren und die Rapperin Katja Krasavice hat ihr sogar einen Song gewidmet: der Social-Media-Plattform OnlyFans, auf der vorrangig erotische Inhalte gegen Bezahlung angeboten werden.
Das ZDF greift das Phänomen in seiner sechsteiligen Serie „WatchMe – Sex sells“ auf. „Nie war es so leicht, erotische Bilder und Videos selbst zu produzieren, hochzuladen und mit anderen zu teilen“, heißt es im Ankündigungstext. „Sexarbeit, so ein Standpunkt, würde dadurch feministischer, da selbstbestimmter. Doch ist das wirklich so revolutionär?“
Die drei Protagonist*innen verdienen Geld auf der fiktiven Plattform WatchMe. Toni ist alleinerziehende Mutter, vertröstet den Nachhilfelehrer ihres Sohnes beim Thema Bezahlung seit Wochen und sagt Verabredungen unter einem Vorwand ab, weil das Geld zu knapp ist. Als ihr Chef Stellenkürzungen ankündigt, entschließt sie sich verzweifelt, es mal mit Unterwäschefotos auf WatchMe auszuprobieren.
Malaika ist länger und professioneller auf WatchMe unterwegs: Sie steht bei einer Managerin unter Vertrag, bezeichnet sich als Sexworkerin und Aktivistin und kann von dem Geld, das ihr Single-Männer auf der Suche nach Sex und Intimität überweisen, ihrer Oma teure Taschen kaufen. Der dritte Protagonist Tim hat immer häufiger Konflikte mit seinem deutlich älteren Freund, weil Tim sich auf seinen Schulabschluss konzentrieren will. Doch die schicke Wohnung und Reisen finanziert das Paar durch seine WatchMe-Community, die ständig neue Inhalte verlangt.
Neues Selbstbewusstsein
„WatchMe – Sex sells“ zeigt alltagsnah, mit welch unterschiedlichen Spielarten von Zwang und Selbstbestimmtheit Plattformen wie OnlyFans das Leben von Menschen in unserer kapitalistischen Gesellschaft prägen können. Und wie flüchtig und subtil diese Varianten sein können.
Als Vulva-Fotos von Malaika geleakt werden, die sie selbst gar nicht „fühlt“ und nur als Probe an ihre Managerin geschickt hat, muss sie plötzlich Dinge tun, die sie gar nicht möchte. Dabei bleibt offen, ob Malaikas Managerin die Fotos nicht gar absichtlich veröffentlicht hat, um Malaikas Reichweite zu erhöhen. Und die alleinerziehende Mutter Toni findet durch WatchMe zu neuem Selbstbewusstsein, entdeckt ihren Körper wieder. Und sie geht wieder auf Partys, weil sie sich jetzt eine Babysitterin leisten kann.
Die Schubladen, in die man die Protagonist*innen zu Beginn gedanklich steckt, lösen sich im Verlauf der Serie auf. Das selbst generierte und verwaltete WatchMe-Geld gibt Toni, die in einer prekären Lage notgedrungen gehandelt hat, ein Stück Freiheit zurück. Und die vermeintlich selbstbestimmte Geschäftsfrau Malaika muss ihre Scham und Unsicherheit vor ihren Fans verstecken, um den Businessplan einhalten zu können. Die Serie verdeutlicht, wie schambesetzt unser Umgang mit Sex und Geld ist.
Nach Themen wie Corona-Verschwörungsmythen, Geschlechtsidentität und ukrainische Geflüchtete verarbeitet das ZDF nun also OnlyFans zum „Instant Fiction“-Stoff. Die Idee dahinter: Eine beschleunigte, wenig aufwändige Produktion soll gesellschaftlich relevante Themen möglichst schnell aufgreifen.
OnlyFans wächst und wächst
Das funktioniert bei „WatchMe – Sex sells“ gut, denn trotz der kurzweiligen Szenen, die zoomartig nur Schlüsselmomente erzählen, werden Tim, Toni und Malaika schon in der ersten Folge zu Identifikationsfiguren, deren Probleme man gelöst sehen will. Die emotionalen, symbolstarken Dialoge machen wett, dass alle Szenen in Innenräumen spielen und so Abwechslung fehlt. Nur vereinzelt kippen die Dialoge ins Prätentiöse und reißen einen aus der Story, was dem gestauchten Drehbuch geschuldet ist.
Das Verfallsdatum einiger ZDF-Instant-Serien, etwa eine Serie über Social Distancing aus dem April 2020, war recht schnell erreicht. Doch die Frage, wie Sexarbeit im digitalen Bereich funktioniert und was das mit uns macht, wird lang relevant sein. OnlyFans, 2016 gegründet, wächst seit Beginn der Pandemie enorm. Mitte Mai verkündete CEO Ami Gan, dass die Zahl der OnlyFans-Creator*innen 2022 um fast 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen sei. Darunter sind die Wendlers und Krasavices – und Millionen andere Tims, Tonis und Malaikas.
„WatchMe – Sex sells“, zu sehen in der ZDF-Mediathek
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“