Der Regenkönig

Es schüttet in London am Krönungstag von Charles III., aber die Massen jubeln unbeirrt. Und was machen schwarze Rentner, jüdische Synagogenbesucher oder Hinduvegetarier?

Aus London Daniel Zylbersztajn-Lewandowski

Wer erwartet hatte, dass London zur Krönung von Charles III. und seiner Königin Camilla ­glänzen würde wie vor knapp einem Jahr zum 70. Jubiläum der Queen, wurde am Samstag enttäuscht. Klar, vor den Kameras der Welt rund um die Westminster ­Abbey, wo die Krönungszeremonie mit allem Prunk stattfand, glänzte und jubelte fast alles.

Das Polizeiaufgebot in London war sogar das größte aller Zeiten mit um die 11.000 Be­amt:in­nen. Auf dem Dach des Buckingham Palace waren Scharf­schütz:in­nen plaziert. Als der Vorsitzende von Republic, der größten antimonarchischen Organisation, königsfeindliche Plakate aus einem Kleinlaster ausladen wollte, wurde er mit anderen festgenommen. Zwischenrufe gegen den König gab es später trotzdem.

Dort, wo die Kameras nicht waren, war der Krönungstag ein gewöhnlicher Samstag. Die Geschäfte waren geöffnet. Ein Busfahrer klagte gegenüber der taz, dass er wegen der abgesperrten Innenstadt den ganzen Tag lang Menschen erklären musste, wie sie jetzt an ihr Ziel kämen. Königliche Dekoration gab es nur in einigen Geschäften und in den Haupteinkaufsstraßen, hier und da war auch der eine oder andere Pub mit ein paar billigen Fähnchen geschmückt. Straßenfeste gab es vor allem in wohlhabenden konservativen Gegenden wie Chelsea oder Kensington, nicht bei den jüngeren und diverseren Gemeinschaften in Gegenden wie Tottenham, Brent oder Brixton. Überraschungen gab es dennoch.

Bereits am Freitag konnte in einer Straße in Hackney ein alter roter Briefkasten gesichtet werden, auf dem ein gestricktes Häubchen mit handgemachten Königs- und Königinpuppen zu bewundern war, daneben eine Häkeldecke mit einem königlichen Zitat: „Die Zukunft der Menschheit kann nur dann gesichert werden, wenn wir unser Leben als Teil der Natur wiederentdecken, statt von ihr zu leben.“

Man wolle trotz der berechtigten Kritik an der Königsfamilie an den Feiern beteiligt sein, erklärt der 75-jährige Clifford Headley, Vorstandsmitglied des karibischen Kulturzentrums Hibiscus im Ostlondoner Bezirk Stratford. Die Monarchie bleibe ja wichtig und bei vielen beliebt. Deshalb hat er zwei Veranstaltungen mit „afrokulturellem“ Kern organisiert, eine familienfreundliche für alle und eine zweite für jüngere Menschen mit MCs und Reggae, Drill und anderen musikalischen Darbietungen.

Die 64-jährige Pearl Boatswain sieht es in ihrer Südlondoner Wohngegend zwischen Brixton und Camberwell anders. Sie und ihr Soundsystem-Partner Toby Broom hätten sich nur deswegen auf die Liste der königlichen Feiern eintragen lassen, weil es ein guter Grund gewesen sei, Lautsprecherboxen auf ihrem Balkon aufzustellen, ohne dass sich jemand beschweren würde, erläutert sie. „Wenn mein Dad dächte, dass ich zu einem königlichen Event gehe, würde er sich im Grab umdrehen“, versichert sie. Ihre Eltern hätten auf Carriacou, einer Insel der Grenadinen, als Menschen zweiter Klasse gelebt. „Nachdem sie nach England zur Arbeit angeworben wurden, belohnte das Land sie mit den schlechtesten Jobs und Unterkünften und anderen Ungerechtigkeiten.“ Deshalb plant sie Sounds zum Thema „Stoppt polizeiliche Schikanierung schwarzer Menschen im Vereinigten Königreich“.

Selbst wer noch romantische Gefühle für die Queen hatte, fühlt bei Charles nicht das Gleiche

Steve White, Punkmusiker

Im Lloyds Park in Croydon am südlichsten Rand Londons haben sich am Samstag am frühen Nachmittag an die 30 Personen zu einer Hinduzeremonie versammelt. Vom Himmel regnet es so erbärmlich, dass sich die Gruppe unter einen Baum retten muss. Priester ­Parneshwar Govind Das zündet hier unter großen Schwierigkeiten ein Opferfeuer an und betet, dazu läutet ein Glöckchen. Neben einem Topf Ghee, mit dem das Feuer unterhalten wird, steht ein kleines Bild von Charles und Camilla.

Nitin Meta, 69, Vorsitzender der Organisation Indische Vegetarier und Veganer – er trägt einen Verdienstorden an seinem Mantel und hat sowohl Charles als auch die Queen getroffen –, erläutert, dass er und andere dies zum Dank organisiert hätten: „Dafür, dass man uns nach der Flucht aus Kenia hier in Großbritannien gut behandelt hat.“ Deshalb hätten sie den Priester bestellt, der nun ein besonders Gebet zur Ernennung von Königen spreche.

Eine halbe Stunde dauert die Zeremonie und endet mit dem dreimaligen Umkreisen der Feuerstelle durch alle Anwesenden. Nicht alle Feiernden denken wie Nitin Meta. Kamal, 55, gibt an, dass er den Briten für das, was sie in Indien anstellten, nicht vergeben kann und möchte. Dennoch sei heute alles komplizierter, seit das Vereinigte Königreich mit Rishi Sunak einen Premierminister mit ähnlichem Hintergrund wie er selbst habe.

Auch Metas Tochter sieht die Royals skeptisch. „Andererseits“, findet sie, „wer kann nach Brexit und Boris Johnson behaupten, dass die Menschen in diesem Land in der Lage sind, einen gutes Staatsoberhaupt zu wählen?“ Was ihr Vater hier organisiert habe, bezeichnet sie als schrullig und nimmt doch alles zur Erinnerung auf Video auf.

Auch in der New London Synagoge in der Nähe der Abbey Road wird an diesem Tag gebetet wie in allen Synagogen. Rabbiner Jeremy Gordon belehrt die Gemeinde über die Geschichte der Rückkehr jüdischer Menschen unter Cromwell und Charles II. und darüber, dass es seitdem Tradition und wichtig sei, das Königshaus zu preisen, gerade heute, wo Charles III. sich als Verteidiger des Glaubens überhaupt verstehe. Anlässlich der Krönung hat die Synagoge die britische Nationalhymne neu auf Hebräisch übersetzt, sie wird zur Feier des Tages vorgetragen.

Auf einer Veranstaltung der protestantischen Newington Green Unitarian Church im Ostlondoner Stadtteil Hackney fragt sich Veranstalter Nick Toner, ob Charles III. auch diese Abspaltung der anglikanischen Staatskirche verteidigen würde. Eingeladen sei Charles allemal. Für heute hat er Mu­si­ke­r:in­nen und Dich­te­r:in­nen eingeladen. Dieser Abend wird auf der Internetseite der antimonarchischen Organisation Republic empfohlen.

Vom Balkon des Buckingham Palace sieht das Königspaar am Samstag­nachmittag nur seine Fans Foto: Chris Jackson/Getty via ap

Sophie Crawford, 32, Folkmusikerin und Organisatorin der Gruppe Queer Folk, stellt sich als Sozialistin vor und hält den Unterhalt des Königshauses für eine Verschwendung in Zeiten der Not. „Ich werde unter anderem ‚Joe Hill‘ nach Paul ­Robeson singen“, sagt sie. Joe Hill war ein Gewerkschafter, der von der Polizei umgebracht wurde. Steve White von der Punkband Steve White & The Protest Family will sarkastische Lieder spielen, mit denen die Band schon zum Jubiläum letztes Jahr auftrat. „Ich habe keinerlei Toleranz gegenüber der Monarchie. Ich glaube, dass auch andere allmählich davon ablassen. Selbst wer noch romantische Gefühle für die Queen hatte, fühlt bei Charles nicht mehr das Gleiche.“

Außerhalb der Feiernden in der Innenstadt äußern viele ähnliche Meinungen. Von der taz befragte Brit:innen, Eingewanderte aus Spanien und Litauen und auch Besucher aus Guernsey glauben, es reiche mit der Monarchie. Eine Neuseeländerin und ein Australier sowie Ame­ri­ka­ne­r:in­nen sind für die Monarchie, richtig überzeugt hören sie sich jedoch auch nicht an. Laut dem Meinungsforschungsinstitut YouGov unterstützen 62 Prozent aller Bri­t:in­nen die Monarchie, allerdings sinkt der Anteil unter den 18- bis 24-Jährigen auf 36 Prozent. Es ist diese Generation, die auf Instagram und Tiktok viel Spaß mit Parodien zur Inthronisierung hat. Insofern hat die Monarchie bei ihnen noch Zukunft.

Derweil saßen die echten Mon­ar­chis­t:in­nen am Ende des Tages durchnässt mit Plastikfähnchen in der U-Bahn.