Schwarz-roter Fehlstart in Berlin

Debakel für Schwarz-Rot in Berlin: Der CDU-Mann Kai Wegner brauchte bei der Bürgermeisterwahl drei Wahlgänge. In der Koalition gab es gleich mehrere Abweichler

Zittern im Abgeordnetenhaus: Raed Saleh (links) und Franziska Giffey (rechts) am Donnerstag im Plenum Foto: Christophe Gateau/dpa

Aus Berlin Stefan Alberti

Drei Wahlgänge brauchte es, dann wurde der CDU-Politiker Kai Wegner am späten Donnerstagnachmittag doch noch zum neuen Regierenden Bürgermeister von Berlin gewählt. Im letzten Wahlgang im Abgeordnetenhaus, bei dem eine einfache Mehrheit reichte, erhielt der 50-Jährige 86 von 159 Stimmen. 70 Abgeordnete stimmten gegen ihn, 3 enthielten sich. Die neue schwarz-rote Koalition in Berlin hat zusammen ebenjene 86 Stimmen – 52 von der CDU, 34 von der SPD. Wegner nahm die Wahl an.

Die Wahl war indes von einer Unwägbarkeit begleitet. Während der Auszählung des dritten Wahlgangs behauptete die 17-köpfige AfD-Fraktion via Pressemitteilung, dass sie vor dem Wahlgang beschlossen hätte, Wegner „zur erforderlichen Mehrheit zu verhelfen“. Falls alle AfD-Abgeordneten tatsächlich für Wegner stimmten, hätte der ohne sie nur 69 Ja-Stimmen bekommen. Angesichts von 70 Neinstimmen wäre Wegner damit nur durch AfD-Hilfe Regierungschef geworden. Diesen Fall gab es in Deutschland erst einmal: Der FDP-Politiker Thomas Kemmerich war im Februar 2020 in Thüringen mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten gewählt worden. Er trat auf öffentlichen Druck drei Tage später zurück.

Im Berliner Plenarsaal wurde das finale Abstimmungsergebnis für Wegner denn auch eher verhalten aufgenommen, mit Beifall nur von CDU und SPD. Es gilt aber als zweifelhaft, dass die AfD-Fraktion Wegner tatsächlich unterstützte. Denn der CDU-Mann hatte selbst im ersten Wahlgang 71 Stimmen erhalten, im zweiten um 8 weitere zugelegt – nur eine Stimme weniger als für die absolute Mehrheit nötig. Dass Wegner danach auf nur 69 Stimmen aus dem eigenen Lager zurückfiele, wäre kaum nachvollziehbar.

Grünen-Fraktionschef Werner Graf erklärte dennoch: „Er hätte die Wahl nicht annehmen dürfen.“ Seine Co-Vorsitzende und Ex-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch sprach von einem „desaströsen Verdacht“, den Wegner nicht mehr loswerde. „Schwarz-Rot hätte das nicht riskieren dürfen.“ Auch Linken-Fraktionschefin Anne Helm sagt der taz, CDU und SPD seien das Risiko der Unterstützung durch die AfD „sehenden Auges“ eingegangen.

CDU und SPD wiesen den Vorwurf zurück. Man lasse sich jetzt nicht von der AfD die Butter vom Brot nehmen, sagte CDU-Parlamentsgeschäftsführer Heiko Melzer. „Wir hatten eine eigene Mehrheit.“ Und es habe seinen Grund, warum Wegner „die AfD-Jägerin Nummer eins“ als Justizsenatorin in den Senat geholt habe. Die aber, Felor Badenberg, bisher Vizechefin des Bundesverfassungsschutzes, sah nach dem Wahlgang nicht sonderlich glücklich aus. Bei der SPD sagte ein Fraktionssprecher zur AfD-Volte: „Das ist gelogen – wir haben doch genau 86 Abgeordnete.“

Fünf der 34 SPD-Abgeordneten hatten indes frühzeitig angekündigt, Schwarz-Rot nicht zu unterstützen. SPD-Frak­tionschef Raed Saleh hatte zuletzt vor Journalisten indes beteuert: Das Quintett würde das SPD-Mitgliedervotum akzeptieren, das knapp für die schwarz-rote Koalition votiert hatte. Fünf fehlende Stimmen hätte Wegner verkraften können: Von den 86 rot-schwarzen Abgeordneten wären nur 80 Stimmen nötig gewesen, um ihn gleich im ersten Wahlgang ins Amt zu wählen – als ersten CDU-Mann seit Eberhard Diepgen, der bis Juni 2001 in Berlin regierte. Seither stellte durchweg die SPD den Regierungschef: Erst Klaus Wowereit bis 2014, dann Michael Müller bis 2021 und seither – als erste Regierende Bürgermeisterin Berlins überhaupt – Franziska Giffey.

Im ersten Wahlgang hatten dann aber mindestens 15 Leute aus den rot-schwarzen Reihen Wegner die Unterstützung verweigert. Zwischen den Abstimmungen hatten die Spitzen von CDU- und SPD-Fraktion versucht, ihre Abgeordneten auf Kurs zu bringen, auch mit Probeabstimmungen. Wegner selbst ging nach taz-Informationen nicht zu den Sozial­demokraten. Dass ein de­signierter Regierungschef im ersten Wahlgang durchfällt, gab es in Berlin in diesem Jahrhundert erst einmal: 2006 fehlten Wowereit zwei Stimmen, um erneut Bürgermeister zu werden.

Die CDU war aus der Berliner Wiederholungswahl am 12. Februar als stärkste Kraft hervorgegangen und kam auf 28,2 Prozent, so viel wie seit 1999 nicht. SPD und Grüne lagen weit dahinter gleichauf bei 18,4 Prozent, wobei die Sozialdemokraten 53 Stimmen Vorsprung hatten. Wegner lud sowohl SPD als auch Grüne zu Sondierungsgesprächen.

Noch während der letzten Sondierungsrunde zwischen CDU und Grünen bot Giffey Wegner eine schwarz-rote Koalition an. In der SPD wurde sofort Ablehnung laut, die Jusos organisierten eine Gegen­kampagne. Die Verhandler erarbeiteten in drei Wochen einen Koalitionsvertrag – für den beim SPD-Mitgliedervotum 54,3 Prozent der Beteiligten stimmten. Die CDU votierte auf einem Parteitag mit gut 300 Delegierten einstimmig für den Koalitionsvertrag, ohne jede Aussprache.

Auch wenn Wegner am Donnerstag schließlich noch zum neuen Berliner Regierungschef gewählt wurde – der Fehlstart von Schwarz-Rot war besiegelt.