Die Wahrheit: Der Relevanzliterat von Leipzig
Ein Roman wie eine Neutronenbombe. Ein Autor wie ein Atompilz. Sein Gesicht, seine Kleidung und sein Buch stehen im Mittelpunkt der Buchmesse.
W ie’s aussieht, ist die Leipziger Buchmesse 2023 einem einzigen Buch gewidmet und verfallen.
Es handelt sich beileibe nicht um die experimentellen Innerlichkeiten einer Lyrikerin wie Judith Zander, auch nicht um den „unterhaltsam geschriebenen, leicht zu lesenden“ (NDR) neuen Roman von Martin Suter, nicht einmal um den neuesten Ratgeber von Juli Zeh (Titelvorschlag: „Die Fünf-Wochen-Terrine. Wie ich Leitartikel in Literatur verwandle“). Sondern, nur die Alleraufmerksamsten werden es geahnt haben, um Benjamin von Stuckrad-Barre (BvSB) mit „Noch wach?“.
Ein Roman wie eine Neutronenbombe. Ground Zero mag hier die Berliner Bohème sein, aber die Auswirkungen sind deutschland- und sprachraumweit. Es handelt sich um einen Roman, der mit dem Lichtblitz seiner Veröffentlichung schlichtweg alle anderen literarischen Erscheinungen zum Verdampfen bringt. „It blows everything else right out of the water“, wie man sich zu vorgerückter Stunde am Pinkelbecken des Borchardt gegenseitig zuraunt. Und man hat recht!
An Benjamin von Stuckrad-Barre (Stucki) kommt man in Leipzsch nicht vorbei, selbst wenn man rechtzeitig die Straßenseite wechselt. Dann sprintet der Relevanzliterat (Benjamin von Stuckrad-Barre), bildlich gesprochen, quer über die stark befahrene Jahnallee, überquert knapp vor der Straßenbahn die Gleise, hechtet nun über den Teil der Jahnallee, der in die Gegenrichtung führt, klopft sich fix den Staub vom blütenweißen Tom-Wolfe-Anzug – gibt’s bei Jack Newfield, 20 East 53rd Street –, packt einen bei den Schultern und brüllt: „Lies! Lies das!“ Und er hat recht!
Weshalb Leipzig für die Dauer der Messe in Benjamin-von-Stuckrad-Barre-Stadt umbenannt wird. Darüber kreist majestätisch ein Riesen-Benjamin-von-Stuckrad-Barre-Zeppelin. Aus „Noch wach?“ liest der Zehntaudsendsassa gleichzeitig in Connewitz und am Schkeuditzer Kreuz, weil ihm, Benjamin von Stuckrad-Barre (Benjamin), beim Meditieren auf den Seychellen kurioserweise die erzkatholische Gabe gegeben ward, an zwei Orten gleichzeitig aufzukreuzen.
Und wo er (Stuckrad-Barre) nicht ist, da hat’s um ihn zu gehen. Um sein Gesicht, seinen Blick, seinen Körper, seine Anziehsachen, seine Integrität, sein Talent, ganz egal, wie man das jeweils findet. Hauptsache, man findet. Neid ist ausdrücklich erwünscht.
Wer aber an Messeständen, in Kneipen oder auch bei Selbstgesprächen unter der Hoteldusche nicht über den MeToo-Roman des Jahres (Titelvorschlag: „Auch Benjamin von Stuckrad-Barre unter den Opfern“) redet, dem droht der sofortige Entzug der Akkreditierung durch das Awareness-Team.
Was das bedeutet, ist hoffentlich klar. Dann fasst dich in der Branche niemand mehr mit der Kneifzange an, dann biste erledigt, aus die Maus. Tot.
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