Berlin kann was erkleben

Die nächste Welle der Klimaproteste startet: Auf Akionen von Extinction Rebellion sollen massive Proteste der Letzten Generation folgen. Die Gruppe will alle Ak­ti­vis­t*in­nen nach Berlin holen, um die Stadt „stillzulegen“

Eine Frau protestiert auf der Straße

Bekommt in Kürze ganz, ganz viel Unterstützung: Ak­ti­vis­t*in der Letzten Generatoin bei einem Protest in Mitte Foto: Fritz Engel

Von Erik Peter

Mitten in die Depression der Klimabewegung nach dem verlorenen Volksentscheid kündigen sich die nächsten Aktionswellen in Berlin an. Insbesondere die Letzte Generation plant unter dem Schlagwort „Stadtstillstand“ ab Mitte April eine bislang nicht da gewesene Ausweitung ihrer Blockaden in der Stadt. Schon zuvor, von kommendem Mittwoch an, sollen Aktionstage von Extinction Rebellion (XR) für neue Bewegung sorgen.

Nachdem die Letzte Generation in den ersten Monaten dieses Jahres den Fokus darauf gelegt hat, sich bundesweit aufzustellen und auch in Städten wie Dresden oder Bonn den Verkehr blockierte, sollen nun sämtliche Ak­ti­vis­t:in­nen in Berlin zusammengezogen werden. Die Sprecherin der Letzten Generation, Lilly Schubert, sagte der taz: „Wir gehen davon aus, dass mindestens 1.000 Menschen zusammenkommen werden, um zu zeigen, dass die Stadt stillgelegt werden kann.“

Erstmals bemüht sich die Gruppe dabei auch aktiv um die Unterstützung und Einbindung weiterer Akteure der Klimabewegung, von XR über Ende Gelände bis hin zu verschiedenen Future-Gruppen. Diese können die Aktionsformen der Letzten Generation übernehmen oder diese auch solidarisch begleiten, indem sie eigene Demos, Fahrradkorsos oder Blockaden organisieren. „Die Vernetzung mit anderen wird deutlich sichtbarer werden“, kündigt Schubert an.

Nach einem öffentlichen Auftaktbrunch am 19. April soll in den darauf folgenden zwei Tagen zunächst das Regierungsviertel lahmgelegt werden. Zu den möglichen Aktionsformen gehört dabei nicht nur das Festkleben auf Straßen, sondern auch sogenannte Slow Walks: sich langsam bewegende Blockaden, die im Falle des Eintreffens von Polizei auch schnell wieder aufgelöst werden können.

Startschuss für die Aktionen in der gesamten Stadt mit womöglich Dutzenden parallelen Blockaden ist der 24. April. Laut Schubert soll die Störung des öffentlichen Lebens danach unbegrenzt fortgesetzt werden. Betroffen sein könnte damit auch der 27. April: jener Tag, an dem CDU und SPD im Abgeordnetenhaus Berlins neue Regierung wählen wollen.

Ziel der Letzten Generation, die in den vergangenen Wochen die Unterstützung mehrerer Ober­bür­ger­meis­te­r:in­nen erhalten hat, ist es, die Bundesregierung zum Handeln gegen die Klimakrise zu bringen. Konkret fordert sie dabei – ebenso wie Extinction Rebellion – die Einberufung eines Gesellschaftsrats. Das Bür­ge­r:in­nen­gre­mi­um soll Maßnahmen erarbeiten, um Deutschland bis 2030 klimaneutral zu machen.

Bewegungsexperte Tadzio Müller spricht gegenüber der taz von einem nie dagewesenen, „im besten Sinne des Wortes wahnsinnigen Plan“ – auch angesichts des nicht einzuschätzenden Gegenwinds durch Au­to­fah­re­r:in­nen und repressiver Gegenmaßnahmen. Dennoch lösen die Pläne bei ihm Euphorie aus. Die Letzte Generation sei anderthalb Jahre nach ihrer Gründung „der absolute dominante Bewegungsakteur“ und stehe für die „Fähigkeit der Bewegung, der Politik und Wirtschaft Kosten und Schmerzen zuzufügen“. Dies sei richtig nach all der Zeit, in der die Politik „Klimaschützer:innen umarmt hat, ohne das Klima zu schützen“.

All das treffe jedoch auf eine „exponentiell größere Gegenbewegung“. Nach Jahren, in denen die „Klimaschutzbewegung eine ausgeprägte gesellschaftliche Hegemonie“ gehabt habe, so Müller, habe sich die Perspektive vieler Menschen geändert. Müller sieht als Grund dafür insbesondere die Erkenntnis in breiten Teilen der Gesellschaft, dass Klimaschutz nicht ohne den Verlust eigener Privilegien funktionieren werde.

XR-Aktivistin Judith Pape, die seit Anbeginn der Gruppe 2019 dabei ist, sagt: „Die Institutionen sind entsetzlich starr.“ Bei vielen Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen sei die politische Energie angesichts des Nichthandelns der Politik, von Inflation und sich überschlagender Krisen „einer Resignation gewichen“. Staatliche Repression tue ihr Übriges.

Das Ergebnis: „Der Bewegungszyklus ist langsam gestorben“, so Judith Pape. Darunter leide nicht nur XR, sondern auch Fridays for Future, die zuletzt keine Massen mehr mobilisieren konnten. Müller spricht davon, dass die Klimabewegung sich darauf einstellen muss, eine „Minderheitenbewegung“ zu sein.

Für Extinction Rebellion, die ab Mittwoch fünf Tage lang im Rahmen ihrer Spring Rebellion mit angemeldeten Protesten und Aktionen des zivilen Ungehorsams die Politik aufrütteln wollen, bedeutet das, nicht mehr Tausende zu Massenblockaden zu mobilisieren. Und dennoch: Wie bei den letzten Protesttagen im September werden dem Aufruf von XR einige hundert Ak­ti­vis­t:in­nen folgen. In einem Camp im Invalidenpark gibt es Workshops und die Möglichkeit, sich zu vernetzen.

Auf der Suche ist man dabei auch nach neuen Aktionsformen. Denn die bisherige Strategie des massenhaften zivilen Ungehorsams, kombiniert mit aufwendigen Aufbauten, taugt zwar immer noch für ausdrucksstarke Bilder. Sie ist in ihrer Effizienz aber infrage gestellt, seit die Letzte Generation mit einer Handvoll Teil­neh­me­r:in­nen denselben Effekt erzielt.

1.000 Ak­ti­vis­t*in­nen sollen nach Berlin kommen

Als mögliches Vorbild für Kleingruppenaktionen dient dabei zudem die Gruppe Tyre Extinguishers. Die international agierenden, autonom handelnden Ak­ti­vis­t:in­nen haben zuletzt auch in Berlin in nächtlichen Touren durch die Reichenviertel immer wieder Luft aus den Reifen von SUVs gelassen. In eine ähnliche Kategorie von Aktionen fällt das von XR zuletzt praktizierte Abschrauben von Verkehrsschildern, die temporeduzierte Bereiche beenden.

Florian Zander vom Extinction-Rebellion-Presseteam kündigt an, dass der Fokus „mehr in Richtung Kleingruppenaktionen gehen wird, weil die Polizei aufmerksamer geworden ist und in der Vergangenheit Großaktionen verhindert hat“. Dennoch würden wieder große Aufbauten gebastelt. Für Donnerstag ist eine Demo geplant, die die Klimaschädlichkeit der Superreichen thematisiert – mit dabei „eine Rakete, mit der Reiche sich vor dem von ihnen zerstörten Planeten ins Weltall retten können“. Am Samstag folgt eine Demonstration zum Thema Biodiversität ab der Bayer-Zentrale. Wenige Tage danach folgt die Letzte Generation: „Wir schließen nahtlos an XR an“, so Lilly Schubert.

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