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: Unkonkret und fragwürdig

Der Berliner Klimavolksentscheid ist gut gemeint, aber schlecht gemacht: Konkrete Ideen fehlen – besonders zur sozialen Verträglichkeit von Maßnahmen

Am Sonntag stimmen Ber­li­ne­r*in­nen per Volksentscheid darüber ab, ob das Land sich die Klimaneutralität 2030 gesetzlich verschreiben soll. Nur dann würde Berlin seinen Beitrag zum Erreichen des 1,5 °C-Zieles geleistet haben. Alles, was zu dieser menschlichen Überlebensfrage beiträgt, ist geboten.

Ein Schlüsselmoment meiner frühen Jugend hat mir erstmals die Dramatik der Klimakrise bewusst gemacht. Ich begegnete jemandem, die es für unbegreiflich hielt, dass Menschen Kinder in die Welt setzen – angesichts bevorstehender Klimakatastrophen. Ich hielt das für eine dramatisierende Pose; sie hatte auf gewisse Weise die menschliche Existenz in Frage gestellt. Nachdem ich mich intensiver mit den Auswirkungen der Klimakrise befasste, frage ich mich selbst, ob es rational vertretbar ist, sich in einer Welt fortzupflanzen, die auf dystopische Verteilungskämpfe um grundlegende Ressourcen zurast. Jeden „Kipppunkt“ hin zum Klimakollaps sehenden Auges zu überschreiten, fühlt sich entsprechend an wie ein gesellschaftlicher Todeskult.

Mit ‚Nein‘ stimme ich am 26.3.2023 beim Klima-Volksentscheid in Berlin also gewiss nicht, weil mir das Ziel oder die in Rede stehenden Maßnahmen zu „radikal“ wären. Ich stimme mit Nein, weil der Volksentscheid praktisch und symbolisch falsche Antworten und Signale zur Bekämpfung der Klimakrise aussendet. Es wird gesagt, dass die Abstimmung die Frage beträfe, Berlin 2030 klimaneutral zu „machen“. Nichts und niemand spricht gegen dieses Ziel. Überspitzt bleibt eher die Frage offen, warum am Sonntag nicht gleich über die Klimaneutralität ab Montag abgestimmt wird. Mir geht es ebenso wenig darum, ehrgeizige Ambitionen für falsch zu halten. Der Volksentscheid bewirkt aber das Entdemokratisieren und Banalisieren der eingangs beschriebenen menschlichen Existenzfrage, der des Klimas.

Im Gesetzesvorschlag selbst findet sich keine Vorstellung davon, wie das Ziel zu erreichen ist. Kein Wort dazu, welche Rolle der wohl relevanteste Bereich, der Verkehr, spielen soll. Anscheinend erachten es die In­itia­to­r*in­nen für hinreichend, ein Gesetz, das Berlin zum „Anstreben“ der Klimaneutralität für das Jahr 2045 anhält (Berliner Klimaschutz- und Energiewendegesetz – EWG Bln), zu ändern, damit die Klimaneutralität um 15 Jahre vorgezogen und „verpflichtend“ wird. Stellen wir die im Volksentscheid benannten Maßnahmen und Änderungen den Zielen gegenüber, passt zur Illustration ein Vergleich: Am Sonntag könnte genauso die Frage zur Abstimmung stehen, alle Ber­li­ne­r*in­nen über ihre 15-jährige Verjüngung entscheiden zu lassen, die als erreicht gilt, wenn das Geburtsjahr in der Geburtsurkunde entsprechend gefälscht wird.

Foto: privat

Moheb Shafaqyar ist Jurist und Abgeordneter der Linken in der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg. Er war aktiv bei der Initiative „Deutsche Wohnen und Co. Enteignen“.

Dabei wird nicht der Gesetzgeber, also das Parlament, sondern der Senat, die Regierung, gesetzlich verpflichtet, Maßnahmen und Konzepte vorzulegen, wie Berlin innerhalb von 7 Jahren klimaneutral werden soll. Das ist eine gravierende und undemokratische Machtverschiebung, weil der Senat für sämtliche seiner Konzeptionen eine Carte blanche verliehen bekäme, im Rahmen des ihm per Volksentscheid auferlegten Klimaschutzes zu handeln. Kai Wegner von der CDU soll künftig im Roten Rathaus einen Masterplan vorlegen, wie die – nach allen seriösen Studien – unerreichbare Zielmarke der Klimaneutralität von Berlin bis 2030 erreicht werden soll.

Ihm soll dabei ein von der Umweltverwaltung berufener sogenannter Klimarat helfen. Ich denke nicht, dass Kai Wegner etwa den motorisierten Verkehr ins Auge fassen und damit sämtliche staatliche Sozialausgaben in Frage stellen wird, um Mittel, etwa für Sanierungsmaßnahmen freizumachen. Irgendwann, wenn absehbar wird, dass die Ziele nicht erreichbar sind (etwa, wenn schon 2025 die Reduzierung des CO2-Aussoßes um 70% nicht erreicht ist), soll der Senat ein „Sofortprogramm“ mit „verschärften Maßnahmen“ auflegen, um die um 15 Jahre vorgezogenen „Pflichten“ zu erfüllen.

Auch ganz ohne Gesetzgeber (durch seinen Einfluss als Gesellschafter) könnte oder müsste der Senat nun seinen Blick auf den öffentlichen Gebäudesektor ausweiten, da er auf die Privaten keinen Zugriff hat. Die Abschaffung sämtlicher den Landeseigenen Wohnungsgesellschaften mühsam auferlegten sozialen Verpflichtungen, wie zuletzt der Mietenstopp, können mit dem Volksentscheid legitimiert werden, damit dort Mittel für Einsparmaßnahmen frei werden. Das würde ermöglicht durch die vom Volksentscheid vorgesehene Entfernung des Gesetzespassus, wonach Maßnahmen keinen Einfluss auf Mieten haben dürfen. Ob der ihn ersetzende Passus, wonach mieterhöhende Maßnahmen durch staatliche Bezuschussung ausgeglichen werden sollen, haltbar und als Anspruch für Mie­te­r*in­nen heranziehbar wäre, sei dahingestellt. Denn einzelne Maßnahmen werden nicht so konkret auf ihre jeweilige Auswirkung zurückführbar sein können.

Es wäre eine undemokratische Machtverschiebung, da der Senat eine Carte blanche verliehen bekäme

Zu glauben, Klimaschutz könne einfach per Gesetz verordnet werden, ohne konkrete Maßnahmen vorzulegen, ist eine Illusion. Die sozialschädlichen Wirkungen dennoch scharf zu stellen, spielt Soziales gegen Klimaschutz aus. Zudem wird eine dramatische Machtverschiebung in Kauf genommen. Deshalb steht sogar CDU-Politiker Danny Freymark dem Vorhaben offen gegenüber, der die Autopolitik seiner Partei auf einem taz-Podium jüngst damit verteidigte, dass er seinen Wäh­le­r*in­nen in Hohenschönhausen nun mal nichts anderes vermitteln könne. Die Aufgabe wäre aber, sich der Notwendigkeit einer strukturellen Veränderung unserer Wirtschaftsweise zu stellen. Wir brauchen schnell radikale Maßnahmen, die aber nicht gegen soziale Fragen gestellt werden dürfen. Von der CDU ist das nicht zu erwarten, und auch die SPD unter Franziska Giffey hat sich bisher wenig willig gezeigt. Der Klima-Volksentscheid scheint eine Abkürzung anzubieten, löst dieses Versprechen aber leider nicht ein.