Grüne joggen in Richtung Hessische Staatskanzlei

Hessens Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir will der erste grüne Ministerpräsident des Landes werden. Doch neun Jahre Regierung mit der Union gefallen nicht allen

Tarek Al-Wazir: Macht und Turnschuhe gehören für Hessens Grüne auch heute noch zusammen Foto: Thomas Frey/dpa

Aus Wetzlar Christoph Schmidt-Lunau

Die weitläufige Bühne des Buderus-Forums ist in grünes Licht getaucht. Mehr als 1.000 Mitglieder sind zur Landesversammlung der hessischen Grünen nach Wetzlar gepilgert. Bei der Landtagswahl am 8. Oktober will die Partei erstmals stärkste Partei werden. Mit Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir haben sie dieses Mal sogar einen Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten benannt.

Die Versammlung feiert den Aufbruch zum „Dreikampf um die Hessische Staatskanzlei“ mit stehenden Ovationen. Es gibt nur zwei Neinstimmen und ein paar Enthaltungen. Und „Tarek“ bekommt ein Paar grüne Turnschuhe mit auf den Weg: „Für seine Vereidigung als Ministerpräsident am 18. Januar“.

Die Sneaker stehen als Symbol für den Marsch der immer noch jungen Partei durch die Institutionen. Joschka Fischer leistete 1985 als erster grüner Minister im Hessischen Landtag seinen Amtseid in weißen Turnschuhen – Al-Wazir soll als erster hessischer Regierungschef diese Erfolgsgeschichte fortschreiben.

„Wir können stolz sein, Hessen ist grüner und gerechter geworden!“, bilanziert Al-Wazir, amtierender Vizechef der schwarz-grünen Regierungskoalition, die neun Jahre als Juniorpartner der CDU. Immer wieder sei man in dieser Zeit jedoch auch an Grenzen gestoßen, erklärt Wissenschaftsministerin Angela Dorn – und begründet so auch den neuen Anspruch auf die Führungsrolle. „Es macht einen Unterschied, wer an der Spitze steht“, versichert sie und empfiehlt Al-Wazir, den „Offenbacher Bub mit jemenitischen Wurzeln“, als künftigen Ministerpräsidenten.

Doch neun Jahre Regierungsroutine in Wiesbaden und nun auch in der Berliner Ampel fordern ihren Preis. Der umjubelte Kandidat Al-Wazir, wegen des Frauenstatuts formal hinter Dorn auf Platz 2 der Landesliste, bekommt auch Gegenwind.

Der zeigt sich in Gestalt einer Kampfkandidatur des pensionierten Studienrats Joachim Mietusch. „Traurig und wütend“ hätten ihn die vielen Kompromisse der Grünen in der Regierung gemacht, sagt Mietusch, der sich einen „Wurzelgrünen“ nennt. Angesichts der Klimakatastrophe gelte es, die Lebensgrundlagen zu retten. „Die Physik kennt keine Kompromisse“, mahnt er. Den grünen „Realos“ wirft er vor, an ihren Posten zu kleben, während sie gleichzeitig Bäume für Straßen fällen ließen. Gegen den Hoffnungsträger hat Mietusch natürlich keine Chance. Aber immerhin erhält er 71 Stimmen, das sind 7,5 Prozent.

Eine deutlichere Quittung für den von vielen als „Kuschelkurs“ erlebten Umgang mit dem Koalitionspartner CDU bekommt dagegen Eva Goldbach, die innenpolitische Sprecherin und stellvertretende Vorsitzende der Landtagsfraktion. Bei ihrer Kandidatur für Platz 5 der Landesliste fällt sie glatt durch. Erst am späten Abend, nach einem Dutzend verlorener Wahlgänge, landet sie schließlich als Nummer 25 auf der Liste.

Auch dieser Platz dürfte für den Einzug in den nächsten Landtag ausreichen. Doch die Basis kreidet der Innenpolitikerin offenbar ihren allzu geschmeidigen Umgang mit dem CDU-Landesinnenminister Peter Beuth an. Die rechten Machenschaften in der hessischen Polizei, des Ministers Umgang mit den Opfern und Angehörigen des rassischen Anschlags in Hanau, sein mangelnder Aufklärungswille nach dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) – in den Augen ihrer parteiinternen Kritiker sorgte Goldbach nicht für die nötige Distanz zu den Fehlleistungen Beuths.

Dass es auch anders geht, stellte ihre Fraktionskollegin Katy Walther unter Beweis. Sie hatte als verkehrspolitische Sprecherin eine ähnlich schwierige Aufgabe: An ihr lag es, zu erklären, warum die Grünen die Autobahnprojekte an der A49 und den Riedbergtunnel in Frankfurt zwar für Irrsinn halten, der grüne Landesverkehrsminister gleichwohl unter Polizeischutz Bäume fällen ließ.

„Ich bin nicht so der Typ Kreuzberg, sondern eher der Typ Doppelhaushälfte“

Tarek Al-Wazir (Grüne)

Als parlamentarische Beobachterin war sie bei der Räumung des Dannenröder Forstes oder im Fechenheimer Wald vor Ort. „Wir konnten die verfluchte Autobahn nicht verhindern“, sagt sie ernüchtert und wirbt gleichzeitig für neue Mehrheiten in Wiesbaden und Berlin: Solche „Wahnsinnsprojekte“ müssten aus dem Bundesverkehrswegeplan gestrichen werden, fordert Walther. Vor fünf Jahren rutschte sie über einen der letzten Plätze gerade noch so in den Landtag. Diesmal schafft sie auf Anhieb Platz fünf.

Für die nächste Legislaturperiode versprechen die Grünen in Hessen einen entschiedenen Anlauf zur Transformation des Landes und seiner Wirtschaft. „Klimaschutz wird Chefsache, in der Staatskanzlei“, so die Botschaft. Die politische Konkurrenz versuche, die Aufgabe kleinzureden, so Al-Wazir. „Alles bleibt so, wie es ist“, diese Parole sei ebenso trügerisch wie: „Wir sorgen dafür, dass du davon nichts merkst.“ Es werde die ein oder andere Zumutung geben, räumt Al-Wazir ein. Doch als Ministerpräsident werde er „unser Land zusammenzuhalten in diesem Veränderungsprozess“.

Al-Wazir gibt nicht den Revoluzzer: Er sei „nicht so der Typ Kreuzberg, sondern eher der Typ Doppelhaushälfte“, sagt er. Nach seiner Vereidigung als Ministerpräsident wolle er denn auch zu schwarzen Business-Schuhen zurückkehren. Läuft alles nach Plan, sollen die grünen Turnschuhe ins Offenbacher Ledermuseum. Da sind auch schon „Joschkas“ weiße Treter von damals ausgestellt.