Kleines Wahlwunder mit Einhorn und ganz ohne Pannen

Die Wahlwiederholung läuft runder als von vielen erwartet. Sie geht diesmal wohl ohne Probleme und Schlangestehen über die Bühne. Alles ist besser als beim letzten Mal vorbereitet. Auf Stippvisite in Wahllokalen

Blick ins Wahllokal für den Wahlbezirk 504 in der evangelischen Pfingst-Kirchengemeinde in Friedrichshain, in dem auch Franziska Giffey wählen ging – hier wählt jedoch ein Unbekannter in Einhorn-Kostüm   Foto: Jens Gyarmaty

Von Ann-Kathrin Leclère

„Es kann heute alles passieren“, meint die Wahlleiterin Lisa Kattelans in der Rosa-Parks-Grundschule in Kreuzberg in schönstem Rheinländisch, während sie mit überkreuzten Armen neben einer Reihe von Wahl­hel­fe­r*in­nen und Schul­prak­ti­kan­t*in­nen sitzt. Kattelans ist Leiterin der Ganztagsschule und macht den Wahlvorstand bei Berliner Wahlen schon “fünf-, sechsmal“. Die Stimmung ist gut, es gibt Kaffee und Tee und später Suppe für alle Helfer*innen. Dutzende helfen in der Grundschule bei der Wiederholungswahl des Berliner Abgeordnetenhauses und der Bezirksverordnetenversammlung.

Nach den zahlreichen Wahlpannen 2021 wurde am ganzen Wahlsystem geschraubt. „Die Wahlen haben das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den wichtigsten demokratischen Mitwirkungsakt nachhaltig gestört“, schreibt die Expertenkommission Wahlen in ihrem Abschlussbericht zur Berlinwahl 2021. Im Nachgang wurde verbessert, geredet, Wahlleiter wurden ausgetauscht, Schulungen für Wahl­hel­fe­r*in­nen angepasst und internationale Wahlbeobachter zum 12. Februar nach Berlin eingeladen.

Als Kirsten Riesselmann mit ihrer Tochter am Vormittag in der Rosa-Parks-Mensa wählen geht, sind nur vereinzelt Wäh­le­r*in­nen da. Am meisten fällt die Fülle an Menschen auf, die hinter den Tischen sitzen und die Wahlzettel kontrollieren. Für die Kinder stehen Smarties und Bonbons bereit. Ein großer und ein kleiner Hund lassen sich von den Kindern streicheln. An der Decke des großen Raums hängt eine Discokugel, es gibt fünf Wahlkabinen. „Das sind mehr als sonst“, meint Kattelans. Die Schule sei auch der Forderung der Wahlleitung nach größeren Räumlichkeiten nachgekommen.

Generell sei viel verändert worden seit der letzten Wahl: Es gebe mehr Wahl­hel­fe­r*in­nen und die Wahlzettel werden am Vortag gemeinsam abgeholt – zusätzlich gezählt und gewogen. Ein Prozedere, das bei der letzten Wahl nicht vorhanden war. „Klar, das dauert dann auch wieder länger, pro Koffer mit Zetteln vielleicht 20 Minuten“, meint Kattelans. Vor dem Wahllokal ist ein Mitarbeiter des Ordnungsamts positioniert. „Das ist auch neu“, erzählt er. „Die Organisation ist wahnsinnig“, sagt eine Wählerin im Vorbeilaufen. Da kommen 10 Helfer auf ein Lokal, total krass.“

Die Verbesserung der Situation wird auch von den Wahl­hel­fe­r*in­nen geschätzt. „Die Vorbereitungen waren echt toll“, sagt Thilo Vetter, der seit 1990 Wahlhelfer in Pankow ist. Das Wahllokal in der Grundschule mit bunter Fassade am Teutoburgerplatz in einer ruhigen, familiären Gegend hielt bei den Wahlen 2021 einen traurigen Rekord: Man konnte die Türen wegen des Andrangs erst um 20.56 Uhr statt um 18 Uhr schließen. „Ich war so genervt und dachte, ich mache das nie wieder.“ Manche frustrierten Wartenden hätten die Schuld auch bei den Wahl­hel­fe­r*in­nen gesucht.„Es ging dann aber. Hatte was von Party-Atmosphäre.“ Die Leute hätten sich eben ein Bier gekauft und sich wieder angestellt.

Dieses Mal sei alles besser gelaufen, die Wahlzettel seien zum Beispiel vollständig und rechtzeitig angekommen. Auch Kattelans berichtet von den eindrücklichen Zuständen bei der letzten Wahl. „Ich habe im Schulcafé übernachtet, weil es hieß, dass die Wahlurnen noch abgeholt werden sollten.“ Aber niemand sei gekommen.

Riesselmann, die heute nur ihre Kreuzchen macht, aber letztes Jahr selbst Wahlhelferin in der Rosa-Parks-Schule in Kreuzberg war, erinnert sich vor allem an die schlechte Erreichbarkeit der Verantwortlichen: „Wir versuchten stundenlang jemanden zu erreichen, weil wir hier die falschen Wahlzettel vorliegen hatten und irgendwann gar keine mehr.“ Die schlechte Organisation der Wahlleitung bemängelte auch die Expertenkommission und sah in ihr den Hauptfaktor der vielen Pannen.

Heute kann Kattelans bei speziellen Anliegen der Wäh­le­r*in­nen direkt den „Telefonjoker“ anrufen, wie sie die Hotline für Fragen am Wahlsonntag nennt. Eine ankommende Wählerin hatte wegen eines Fehlers bei ihrem Nachnamen keine Briefwahlunterlagen bekommen. „Sie werden hier auf jeden Fall wählen können!“, beruhigt sie Kattelans. Wenige Sekunden später hat sie die Antwort und das richtige Vorgehen von der Hotline.

Bei der Wiederholungswahl zum Abgeordnetenhaus in Berlin hat sich eine geringere Wahlbeteiligung abgezeichnet als bei der Wahl 2016. Um 16.00 Uhr lag sie bei 48,8 Prozent, wie die Landeswahlleitung mitteilte. 2016 lag die Wahlbeteiligung zum gleichen Zeitpunkt bei 54,3 Prozent. Die Abstimmung in den 2.257 Berliner Wahllokalen sei weiter ruhig verlaufen, erklärte Landeswahlleiter Stephan Bröchler. Bei der Angabe zur Beteiligung wurden nach seinen Angaben die ausgestellten Wahlscheine berücksichtigt. (dpa)

Sie sieht alle erkannten Fehler behoben. Bleiben nur noch die extra angeschafften Mülltonnen als Wahlurnen, die Riesselmann „ein bisschen peinlich“ findet. Das ist wohl heute spontan auch im Wahllokal in der Evangelischen Schule am Petersburger Platz in Friedrichshain aufgefallen. Hier kam Giffey unter Medienrummel zur Wahl. Kurz vor ihrem Besuch wurde von Wahl­hel­fe­r*in­nen hektisch eine schicke Metallurne hineingetragen, damit die Noch-Regierende Bürgermeisterin auf den Pressefotos nicht neben einer grünen Tonne steht.

Der Aufruhr um Giffeys Urneneinwurf ist auch der einzige Grund, warum es zu Verzögerungen kommt: Wegen der Kameras kommen ein paar Wäh­le­r*in­nen nicht durch. Verwundert darüber sind auch die zwei Wäh­le­r:in­nen im Einhornkostüm. Sie hätten gar nicht gewusst, dass hier eine Promiwahl stattfände. Die Kostüme seien nur, weil man sich auch einen Spaß aus der Wahl machen wolle.

Wie schon der Leiter der Delegation des Europarats, Vladimir Prebilič, im Interview mit der taz betonte, seien Wahlen ein wichtiger Bestandteil der Demokratie und somit auch eine Wiederholungswahl gut für alle. „Wahltage sind Festtage“, beschreibt es auch Kattelans. Sie will die Schule deshalb am Wahltag auch zu einem Ort der Begegnung machen. Wie viele Menschen tatsächlich wählen gehen und was nach der Wahl passiert, wird sich erst später zeigen. „Manchmal wünscht man sich, hellsehen zu können“, sagt eine ältere Frau, die Namen im Wählerverzeichnis durchstreicht.

„Die Organisation ist wahnsinnig“, sagt eine Wählerin im Vorbeilaufen

Der Wahlbeobachter des Europarats, Prebilič, sagte der Deutschen Presse-Agentur in einem Statement am Sonntagnachmittag, dass „der Gesamteindruck ist, dass alles wirklich gut läuft“. Zum Wahltag waren auch an die hundert Menschen ehrenamtlich in Berlin unterwegs, um den Ablauf und die Auszählungen zu begleiten, erzählt der Koordinator der Gruppe „Die Wahlbeobachter“ der taz.

berlinwahl 1–

berlin