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Bei ihrer Gründung vor zehn Jahren startete die AfD mit dem Ziel einer konservativen Wende. Seitdem ist die Partei immer weiter nach rechts außen gerückt, schuf einen Nährboden für Hass und öffnete Rechtsextremen wie Björn Höcke die Tür

Petry, Adam, Lucke und Gauland beim Gründungsparteitag der AfD am 14. April 2013 im Berliner Hotel Interconti Foto: Christian Thiel

Aus Oberursel und Berlin Gareth Joswig

Konrad Adam sitzt mit verschränkten Armen vor seiner prall gefüllten Bücherwand und sagt: „Ich bin nicht unzufrieden, dass ich die Partei gegründet habe. Es war richtig, das damals versucht zu haben.“ Dennoch bedauere er, was aus der AfD geworden sei. Aber ein Monster? Das habe er nicht erschaffen.

Der ehemalige Parteisprecher wohnt im hessischen Oberursel, etwas abgelegen in einem Reihenhaus direkt am Wald. Im Wohnzimmer des 81-Jährigen stehen dunkle Biedermeier-Möbel vor Schränken mit dicken Hitler-Biografien, alter deutscher Literatur und vielbändigen Enzyklopädien. In einer Ecke, beinahe verschämt, ein kleiner Flachbildfernseher.

Als die taz telefonisch bei dem ehemaligen FAZ-Feuilleton-Redakteur und Welt-Korrespondenten Adam anfragt, ob er Zeit für ein Gespräch über zehn Jahre AfD habe, fragt der zurück: „Sie wissen aber schon, dass Sie gerade mit dem Klassenfeind sprechen?“, lädt dann aber doch zu sich ins Wohnzimmer und redet anderthalb Stunden lang. Hin und wieder wird er etwas lauter – wenn es um die Migrationspolitik von Ex-Bundeskanzlerin Merkel geht etwa, oder den Gehorsam „der Deutschen“ bei der Maskenpflicht, die er als Ungeimpfter „zum Kotzen“ findet.

Eingeladen zur Geburtstagsfeier der AfD im nahe gelegenen Königstein sei er nicht. Ob er trotzdem feiern werde? „Warum sollte ich feiern, die heutige AfD ist ja nicht mehr diejenige Partei, die wir seinerzeit gegründet hatten“, sagt Adam.

Gegründet wurde die AfD von 18 überwiegend älteren Männern, die sich am 6. Februar 2013 in Oberursel trafen. Weil ein Konferenzraum in einem Hotel zu teuer war, traf man sich im Gemeindesaal der evangelischen Christuskirche. Den Raum hatte Adam organisiert, der bis heute Gemeindemitglied ist. Der schlichte, lang gestreckte Saal ist wenige Gehminuten vom Bahnhof entfernt. Eine große Glasfront gibt den Blick auf einen Busch, einen dahinter liegenden Spazierweg und eine Wiese frei.

Wurzeln Vom schwarz-gelben Euro-Rettung-Kurs verärgerte Wirtschaftsliberale und Konservative sammeln sich im „Bündnis Bürgerwille“. Auch der Ex-Präsident des Industrieverbands Hans-Olaf Henkel sowie die christlich-fundamentalistische Beatrix von Storch sind dabei. Konrad Adam, Bernd Lucke und Alexander Gauland gründen den Verein „Wahlalternative 2013“. Maßgeblich für deren Ausrichtung sind die marktradikale Hayek-Gesellschaft, die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ vom Arbeitgeberverband und der rechtspopulistische „Bund freier Bürger“.

Im Saal steht noch immer eine große Jesus-Statue aus Holz, die wie zum Segen beide Hände ausbreitet. Vor rund zehn Jahren diskutierten die Gründer hier, wie die Partei heißen solle. Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke plädierte für den Namen „Alternative für Deutschland und Europa“, damit der Parteiname nicht zu national konnotiert sei. Letztlich setzte sich jedoch der Vorschlag „Alternative für Deutschland“ durch. Auch Adam stimmte dafür.

Das Wort „Alternative“ war eine nicht ganz ungeschickte Replik auf den Politikstil von Merkel. Die hatte ihre Entscheidungen immer wieder als „alternativlos“ bezeichnet. Der Begriff wurde 2010 zum „Unwort des Jahres“, weil er Politikverdrossenheit fördere. Kurz vor der AfD-Gründung hatte die Kanzlerin behauptet, die Rettung des Euros sei „alternativlos“. Lucke und Co. waren gegen Merkels Euro-Politik und wollten die D-Mark zurück.

Die öffentliche Debatte dieser Jahre war stark von Thilo Sarrazin geprägt. Damals noch SPD-Mitglied, hatte er 2010 „Deutschland schafft sich ab“ veröffentlicht, eine ressentimentgetriebene Streitschrift, die schnell zum Bestseller wurde – und als Türöffner für die AfD verstanden werden kann. 2013 war die Bundesregierung schwarz-gelb. Die FDP trug die Euro-Politik der Kanzlerin mit – zum Ärger vieler Wirtschaftsliberaler und Konservativer, die sich in verschiedenen Vereinen, Plattformen und Organisationen sammelten. In diesem Umfeld gründeten Adam, Lucke und Alexander Gauland im September 2012 die „Wahlalternative 2013“, aus der später die AfD hervorging. Zulauf kam fortan auch von ganz rechts.

„Beim Umbruch kommt immer der größte Lump an die Spitze“

Konrad Adam, Gründer der AfD, 2020 ausgetreten

Adam war neben Lucke und der Chemikerin Frauke Petry einer von drei AfD-Bundessprechern, die wenig später auf dem ersten Parteitag in Berlin gewählt wurden. Petry hat sich mittlerweile aus der Politik weitgehend zurückgezogen, auch Lucke ist wieder als Wirtschaftsprofessor an der Uni Hamburg tätig und will sich nicht mehr zur AfD zitieren lassen – seine Positionen zur Entwicklung der Partei sind allerdings bekannt: Er sprach sich 2019 gar für die Beobachtung durch den Verfassungsschutz aus, nannte die AfD eine „latent fremdenfeindliche, deutschnationale Partei mit rechtsradikalen Einsprengseln“, die er so nicht noch einmal gründen würde.

Lucke wurde 2015 abgewählt und spaltete sich mit einem wirtschaftsliberalen Flügel ab, nachdem Petry sich mit rechtsextremen Kräften verbündete und ihn wegrechtsruckte. Sie selbst ereilte danach ein ähnliches Schicksal: Nach anhaltenden rechten Tabubrüchen diverser AfD-Politiker forderte Petry einen „realpolitischen Kurs“ und Mäßigung. Danach wurde sie selbst ausgegrenzt und trat schließlich aus. Was blieb, ist ein Mechanismus, der in der AfD danach stets griff: Wer versuchte, die Grenzen des Sagbaren innerhalb der Partei nach rechts abzustecken oder ernsthaft vom Kurs der Fundamentalopposition abwich, galt als Verräter. In der AfD ist seither die Wutbürger-Parole ein Grundprinzip: Das wird man wohl noch sagen dürfen.

Adam ist derjenige unter den ersten Parteichefs, der es am längsten in der AfD ausgehalten hat. Er trat erst Ende 2020 aus. Warum er so lange blieb? Er erklärt das so: „Ich habe eine Zeit lang gewartet, obwohl ich die unschöne Entwicklung natürlich mitbekommen habe. Aber die Sache war mir wichtiger als Personen.“

Gründung Die Kooperation der „Wahlalternative 2013“ mit den Freien Wählern erzielt bei der Niedersachsenwahl nur 1,1 Prozent. Danach fällt der Entschluss zur Gründung der AfD. Sie gründet sich am 6. Februar in der hessischen Kleinstadt Oberursel. 18 Männer sind beteiligt. Auf dem Berliner „Gründungsparteitag“ werden Lucke, Adam und Petry gleichberechtigte Sprecher. Die AfD wächst schnell, auch dank guter Beziehungen zur Wirtschaft. Im Mai sind 16 Landesverbände gegründet, die Partei hat 10.000 Mitglieder. Den Einzug in den Bundestag verpasst sie knapp mit 4,7 Prozent.

Letztlich hätten Aussagen wie die Forderung nach einer „erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad“ von Björn Höcke oder das Alexander-Gauland-Zitat, Hitler und die Nazis seien „nur ein Vogelschiss in über 1.000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte“, die Erkenntnis wachsen lassen, dass es jetzt höchste Zeit sei, zu gehen. Die Äußerungen fielen allerdings mehrere Jahre vor Adams Austritt.

Wenn Adam heute über die AfD spricht, klingt es teilweise so, als würde er sie noch immer verteidigen. Beim Reden über die Gründungszeit wird er euphorisch. Schwelgend erzählt er von der Dankbarkeit „normaler Bürger“ beim Sammeln von Unterschriften vor dem Supermarkt. Oder vom Zuspruch von Mitgliedern beim geselligen „get together“ nach einer seiner Parteitagsreden. Es sei bei allen Fehlern eine schöne Zeit gewesen, sagt Adam.

Unterm Strich allerdings wirkt er rückblickend durchaus bitter, wenn er sagt: „Alle drei Personen, die am 6. Februar große Reden zum Zehnjährigen schwingen, haben nichts mehr mit der Gründungsidee zu tun. Die Partei hat einige Umbrüche hinter sich gebracht, Sie kennen ja das antike Sprichwort: ‚Beim Umbruch kommt immer der größte Lump an die Spitze.‘“ Die Festreden zum AfD-Jubiläum werden die Parteivorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla sowie der Ehrenvorsitzende Alex­ander Gauland halten.

„Dem Ressentiment kann man mit einem humanitären Argument nicht beikommen“

Claus Leggewie, Politikwissenschaftler

Der größte Lump aber wäre in diesem Fall wohl Björn Höcke, Rechtsextremist und Chef der AfD Thüringen. Höcke steht zwar nicht an der Bundesspitze, gilt aber als der mächtigste Mann in der Partei. Alle, die den offenen Konflikt mit den Völkischen suchten, zogen langfristig den Kürzeren. Auch Adam hält Höckes Einfluss in der Partei „leider“ nicht für überbewertet: „Er sieht sich selbst als Heiland, aber der Heiland, ins Politische übersetzt, wird schnell zum Führer und von Führern halte ich nicht mehr viel.“

Das erste Mal habe er Höcke 2014 erlebt, nach dem ersten Einzug in einen Landtag in Erfurt. Höcke sei bei der anschließenden Wahlparty mit erhobenen Armen in das Lokal gekommen und habe Goethe zitiert: „Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen“, zitiert Adam. „Ich fand es damals eher komisch, aber der meint das ernst.“

Europa Programmatisch dominieren Euro-Kritik und marktliberale Positionen. Ebenso gibt es reaktionäre Positionen zu Familie und Zuwanderung. Die AfD warnt vor „ungeordneter Zuwanderung in die Sozialsysteme“. Im Mai zieht sie mit 7,1 Prozent und Spitzenkandidat Lucke ins Europaparlament ein. Zugleich wendet sie sich dem Rechtspopulismus zu, auch weil die Euro-Debatte in den Hintergrund tritt. Ein weiterer Faktor sind die erfolgreichen Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg. Die Landesverbände begreifen das als Bestätigung ihres Rechtsaußen-Kurses.

Weniger komisch ist es, als Höcke am 3. Oktober 2022 in Gera vor rund 8.000 aufgepeitschten De­mons­tran­t*in­nen spricht. Die Angst vor der Energiekrise und dem später wieder abkühlenden Heißen Herbst macht die Runde, angesichts von wachsenden wöchentlichen Protesten von Rechtsextremen sehen einige Be­ob­ach­te­r*in­nen im Osten bereits die Wiederauferstehung einer faschistischen Massenbewegung.

Faschistisch ist jedenfalls Höckes Rede in Gera: Er spricht vom Kampf gegen „das Regenbogenimperium“, dem alle „Alt-Parteien“ angehörten. Es drohe das Versinken „in tödlicher Dekadenz“. Kernland des „Regenbogenimperiums“ sei die USA, die die Zerstörung der Nation durch Masseneinwanderung forciere. Er zeichnet ein Feindbild vom „globalen Imperialismus“ und raunt, dass auch die USA „auf eine andere Art als wir Deutschen“ eine „fremdbestimmte Macht“ sei – der Antisemitismus scheint durch.

Putins Russland nennt Höcke in der Rede den „natürlichen Partner für uns als Nation“, schließlich hätten „Deutsche und Russen eine ähnliche seelische Prägung“. Er sagt, wenn er sich zwischen „Regenbogenimperium“, „globalistischem Westen“ und dem „traditionellen Osten“ entscheiden müsste, wähle er den Osten. Es sind die Stichworte der sogenannten „Neuen Rechten“, wie man sie oft von Vertretern aus Höckes Lager hört, aber einige davon auch vom russophilen Gauland.

„Dinge, die man falsch auslegen kann, haben wir alle schon gesagt. Ich auch“

Alexander Gauland, „Ehrenvorsitzender“ der AfD

Die Weltanschauung der Neuen Rechten hat mit dem Aufstieg der AfD auf einmal einen parlamentarischen Arm. War neurechte Ideologie lange Zeit ein Nischen-Phänomen in rechsradikalen Zeitungen und Publikationen wie der Jungen Freiheit oder der Sezession des Ideologen Götz Kubitschek in Schnellroda, so bewegen sich nun Teile der Gesellschaft auf ihre Themen wie dem Verschwörungsmythos vom „Großen Austausch“ zu und normalisierten ihre Positionen.

Das rechte Agenda-Setting der AfD im Kampf um kulturelle Hegemonie strahlt längst weit bis in die vermeintlich bürgerliche Mitte aus. In Thüringen brachte die CDU einen Antrag gegen geschlechtsneutrale Sprache mit AfD-Stimmen durch, in Bautzen stimmte die Union gar einem AfD-Antrag zu, um Mittel für Geflüchtete zu streichen. CDU-Chef Friedrich Merz traute sich in einer Talkshow mit NPD-Vokabular vom „Sozialtourismus“ Geflüchteter zu fantasieren. Po­li­ti­ke­r*in­nen und Chef­re­dak­teu­r*in­nen großer Zeitungen polemisieren antiliberal gegen Minderheitenschutz und nutzen das Wort „Wokeness“ als Kampfbegriff von rechts – in Verkennung seiner historischen Bedeutung.

Demonstrantin bei Protesten gegen hohe Energiepreise im Herbst 2022 Foto: Stefan Boness

Hinzu kommt, dass öffentliche rassistische Diskurse Alltagsrassismus und rechte Gewalt befördern. Der Aufstieg der AfD fällt wohl nicht zufällig in ein Jahrzehnt exzessiver rechter Gewalt. Seit 2014 gab es zahlreiche Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte und Moscheen, Angriffe auf Politiker bis hin zum Lübcke-Mord 2016 und rechtsterroristischen Anschlägen in München, Halle und Hanau. Zuletzt war eine Ex-AfD-Abgeordnete mutmaßlich an einem geplanten Reichsbürger-Putsch beteiligt. Der Lübcke-Mörder hing Plakate für die AfD auf und demonstrierte in Chemnitz, wo die AfD den Schulterschluss mit Rechtsextremisten übte.

Adam macht in seinem Wohnzimmer vor allem Mitgründer Alexander Gauland für das Abdriften der AfD verantwortlich, der stets seine schützende Hand über den völkischen Flügel der Partei gehalten habe. Adam hat sich spürbar mit Gauland überworfen, hält ihn für einen Strippenzieher, dem es nur um seinen Machtgewinn gegangen sei. Inhaltlich wirft er ihm wenig vor außer Profillosigkeit. Ruiniert habe die Partei letztlich die Kombination aus Radikalen und Opportunisten, ist Adam überzeugt.

Austritte Björn Höcke, Chef der AfD Thüringen, stellt in der „Erfurter Resolution“ den wirtschaftliberalen Kurs in Frage. Mitgearbeitet an dem Papier hat der rechtsextreme Ideologe Götz Kubitschek. Unterschrieben hat auch Alexander Gauland. Auf dem Essener Parteitag wird Lucke abgewählt, nachdem Petry sich mit dem rechtsextremen Flügel verbündet hat. Lucke und viele Vertreter des wirtschaftsliberalen Flügels treten aus. Ein Fünftel der 21.000 Mitglieder verlässt die AfD. Sie wird zur rechtspopulistischen Sammlungspartei mit rechtsradikalen Tendenzen.

Gauland lebe in zwei Welten, sagt Adam, inhaltlich werde er nicht mehr schlau aus ihm: „Was ist von der Überzeugung eines Mannes zu halten, der ein Wahlprogramm mit Fontane-Zitaten schmückt, belesen ist, gute Reden hält, sich aber dann mit einem Kerl wie Kalbitz verbündet?“ Andreas Kalbitz gilt als Flügel-Netzwerker, wurde aber wegen seiner neonazistischen Vergangenheit vorerst aus der Partei geworfen.

Adam sagt: „Als ich mit Gauland noch sprach, fragte ich ihn mal, warum er denn das erste Landeswahlprogramm für Brandenburg ins Russische übersetzen ließ. Da sagte er mir nur: ‚Ich will gewählt werden – egal von wem.‘ Meiner Ansicht nach eine gefährliche Position, denn wer so denkt, wird über Nacht vom Treiber zum Getriebenen. Das ist das Schicksal Gaulands.“

Geflüchtete Gauland nennt die vermeintliche Flüchtlingskrise ein „Geschenk“: Die AfD erholt sich vom Umfragentief. Nach Übergriffen in der Kölner Silvesternacht und islamistischen Anschlägen in Europa hetzt sie gegen Minderheiten und wird im Westen erstmals zweistellig. Es folgt der Einzug in zahlreiche Parlamente (Ba-Wü: 15,1 Prozent, RLP: 12,6 Prozent; Sachsen-Anhalt: 24,3 Prozent; Meck-Pomm: 20,8 Prozent; Berlin: 14,2 Prozent). Rechtsextreme fordern den Schulterschluss mit Pegida und haben Kontakt zum Umfeld der Neuen Rechten, was für interne Kontroversen sorgt.

Der Politikwissenschaftler Claus Leggewie beschäftigt sich seit Langem mit den radikalen Randzonen im deutschen Konservatismus und hat dazu schon im Jahr 1987 das Buch „Der Geist steht rechts. Ausflüge in die Denkfabrik der Wende“ geschrieben. Am Telefon ordnet Leggewie Intellektuelle wie Konrad Adam und Alexander Gauland klar ein: Sie seien enttäuscht gewesen vom Ausbleiben einer konservativen Wende, die bereits Helmut Kohl Anfang der 80er Jahre versprochen, aber nicht eingehalten hatte. Die Wende hätte letztlich die 68er-Revolution und die damit verbundenen Liberalisierungen rückgängig machen sollen. In dieser Tradition werde auch Merkel betrachtet, die dafür sorgte, dass die Union sich dem Zeitgeist anpasste und in der Mitte angedockt blieb.

Leggewie sieht Adam und Gauland als Teil einer großen revisionistischen Bewegung von 1945 bis heute, der er auch konservative Heimatlose wie Hans-Georg Maaßen zuordnen würde. Sie wollten den Konservatismus „retten“ und das gehe aus ihrer Sicht nicht mit Anpassung, sondern nur noch mit einer konservativen Revolution – um die alte Ordnung von Gott, Vaterland und Familie wieder herzustellen und letztlich die weiß-männliche Vorherrschaft zu erhalten.

Bundestag Die AfD zieht in weitere Landtage ein: Schleswig-Holstein und NRW. Allerdings schwächelt sie angesichts fortschreitender Radikalisierung. Schuld daran dürfte Höckes Rede im Dresdner Rathauskeller sein, in der er eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ fordert und vom Holocaust-Mahnmal als „Denkmal der Schande“ spricht. Petry will ihn aus der Partei schmeißen. Sie verliert den Machtkampf. Die AfD zieht mit 12,6 Prozent in den Bundestag ein und wird Oppositionsführerin. Frauke Petry tritt am Tag nach dem Einzug überraschend aus der Partei aus.

Faschistisch sei das allerdings noch nicht, sagt Leggewie: „Das sind Konservative, die eher aus Verzweiflung faschistisches Vokabular verwenden.“ Nach Orbáns Vorbild arbeiteten sie daran, die parlamentarische Demokratie zu destabilisieren. „Sie eröffneten damit eine Grauzone, oder besser gesagt Braunzone, zwischen Faschismus und Konservatismus“, sagt Leggewie. Wichtige Antreiber seien auch Wirtschaftsprofessoren wie Lucke gewesen, die einen „wirtschaftsliberalen D-Mark-Nationalismus“ propagierten.

Vogelschiss Unter den Co-Vorsitzenden Jörg Meuthen und Alice Weidel wird die AfD zur rechtsextrem dominierten Partei. Mit ihr zieht ein neuer Wutstil in die Parlamente ein, der Diskurs verroht. Auf Demos kommt es zum Schulterschluss mit Rechtsextremen. Im Herbst 2018 gelingt trotz heftiger Konflikte der Einzug in die verbliebenen Landtage von Bayern und Hessen. Gauland stellt sich auf die Seite von Höcke, sagt in einer Rede bei der Jungen Alternative: „Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über 1.000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte.“

Wichtig zum Verständnis von Gauland, Adam und Co. sei die ressentimentbehaftete Ablehnung der Migrationspolitik der ehemaligen Kanzlerin. Diese wiederum lasse sich weniger gut erklären: „Dem Ressentiment kann man mit einem menschenrechtlich-humanitären Argument oder wirtschaftlichem Nutzenkalkül nicht beikommen“, sagt Leggewie. Dieses Ressentiment gelte in klassisch-konservativer Tradition letztlich dem vaterlandslosen Juden – nichts anderes meinten Bezeichnungen wie Globalisten, Kosmopoliten oder auch westliche Dekadenz.

Das Ressentiment lässt sich besonders gut beim verbliebenen Gründer wiederfinden – dem heutigen Ehrenvorsitzenden der Partei, Alexander Gauland. Der 82-Jährige war 40 Jahre lang CDU-Mitglied. Er leitete ab 1987 unter anderem als Staatssekretär die Kanzlei des Hessischen Ministerpräsidenten Walter Wallmann und war ab 1991 Herausgeber der Märkischen Allgemeinen in Potsdam.

Einschätzung Nachdem Meuthen lange mit dem rechtsextremen Flügel paktiert hatte, geht er unter dem Eindruck der drohenden Beobachtung durch den Verfassungsschutz auf Konfrontationskurs. Gute Ergebnisse bei den Wahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen bestätigen radikale AfD-Politiker in ihrem Kurs. Der Politikwissenschaftler Armin Pfahl-Traughber beurteilt die AfD als rechtsextremistische Partei. Laut Politikwissenschaftler Hajo Funke trägt die AfD eine Mitschuld an rechtem Terror. In Regionen, wo AfD gewählt wird, stellt eine Studie mehr Hasstaten fest.

Als Gauland schließlich 2016 im brandenburgischen Elsterwerda auf eine Bühne stieg, sprach er bei der „Demonstration für unsere Heimat“ von einer „Politik der menschlichen Überflutung“. Man wolle „das deutsche Volk allmählich ersetzen durch eine aus allen Teilen dieser Erde herbei gekommene Bevölkerung“ – neurechte Ideologie im Reintext. Ähnlich ressentimentbehaftete Äußerungen Gaulands sind schon seit Anfang der Neunziger bekannt – nur skandalisierte sie damals niemand.

Wenige Tage vor ihrem 10-jährigen Jubiläum lädt die AfD zu einem Medienempfang im Bundestag. Weidel und Chrupalla haben in das edle Abgeordnetenrestaurant auf Fraktionsebene eingeladen. Es gibt teure Snacks, gute Weine und ein Trio mit Saxophon, Xylophon und Kontrabass. Die meisten Abgeordneten scheinen gut gelaunt, die AfD profitiert von der geschürten Angst vor der Energiekrise. Viele De­mo­kra­t*in­nen schauen besorgt auf die Landtagswahlen 2024, wo die AfD in Sachsen, Thüringen oder Brandenburg stärkste Kraft werden könnte.

Dammbruch Höcke gelingt in Thüringen ein Coup, als seine Fraktion zusammen mit CDU und FDP überraschend für Thomas Kemmerich als FDP-Ministerpräsidenten stimmt. Der nimmt die Wahl an. Nach öffentlicher Empörung und Kritik am „Dammbruch“ aus den demokratischen Parteien tritt Kemmerich zurück. „Der Flügel“ wird vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft. Meuthen drängt auf dessen formale Auflösung und bringt im Bundesvorstand knapp ein Ausschlussverfahren gegen dessen Netzwerker Andreas Kalbitz durch. Meuthens Rückhalt schwindet, er gilt nun als Verräter und Nestbeschmutzer. In Umfragen und bei Wahlen verliert die AfD etwas an Zustimmung.

Selbst Gauland, der sonst eher in die zweite Reihe getreten ist, ist an diesem Mittwochabend gekommen. Er trägt wie immer Tweed-Jackett und trinkt Rosé. Auf Nachfrage erklärt er sich bereit, vor der Tür Fragen zum Jahrestag der AfD zu beantworten.

Pandemie Personelle und Richtungsstreitigkeiten lassen die AfD auf einem stabilen Niveau vor sich hin dümpeln. Ihr fehlt ein Mobilisierungsthema. In der Coronakrise tritt sie diffus auf: Sie ist erst für Verschärfungen der Maßnahmen, später aber gegen Impfungen und biedert sich als parlamentarischer Arm der verschwörungsideologischen Querdenken-Bewegung an. AfD-Politiker beteiligen sich an den Protesten, in deren Rahmen 2020 die Treppen des Reichstagsgebäudes gestürmt wurden. 2021 zieht sie mit 10,3 Prozent erneut in den Bundestag ein – im Osten schneidet sie gut ab, während sie im Westen etwa ein Viertel verliert. Aufgrund ihrer Radikalisierung wird die AfD im Bund konsequent ausgegrenzt.

Gegründet habe er die AfD, weil „es in der CDU der Merkel-Ära nicht mehr möglich war, klar konservative Positionen zu formulieren und damit auch durchzudringen.“ Es habe damals keine wirkliche Opposition mehr gegeben, sagt Gauland. Zu Adam habe er „leider“ keinen Kontakt mehr, weil dieser ihm vorgeworfen habe, ihn nicht ausreichend bei der Wiederwahl in den Bundesvorstand unterstützt zu haben.

Gauland hat noch vor dem ersten Einzug in den Bundestag den Weg der Fundamentalopposition für die AfD ausgerufen, den die Partei seither konsequent verfolgt. Kürzlich hat Parteichefin Weidel davon gesprochen, ab 2024 mitregieren zu wollen. Wenn es nach Gauland geht, muss sich dafür allerdings die CDU bewegen: „Fundamentalopposition wird bleiben und die Regierungsfähigkeit hat nur wenig damit zu tun, was wir jetzt machen“, sagt er.

Energie Meuthen verlässt die Partei. Auf dem Parteitag in Riesa gewinnt der völkische Flügel endgültig die Oberhand. Der Bundesvorstand unter Chrupalla und Weidel sei „ganz nach meinem Geschmack“, sagt Höcke. Das Verwaltungsgericht Köln erlaubt derweil die Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Der Russlandkurs der AfD sorgt für Austritte, was den Abwärtstrend im Westen befördert: Erstmals fliegt die AfD in Schleswig-Holstein aus einem Parlament. Mit der Abstiegsangst in der Energiekrise findet sie ein neues Thema. Bei Demos im Osten steht sie Seite an Seite mit Rechtsextremen. Im Dezember wird eine Ex-Abgeordnete wegen mutmaßlicher Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verhaftet.

Der von Beobachtern seit Beginn und von Aussteigern spätestens seit 2014 dokumentierten Radikalisierung der AfD widerspricht Gauland vehement. Nicht die Partei, sondern die Themen hätten sich verändert: „Es ging bei Bernd Lucke um den Euro und die Verschuldung, es ging danach um einen Zustrom von Menschen aus fremden Kulturkreisen, die sozusagen die deutsche Staatsangehörigkeit veränderten“, so Gauland. Es ist erneut die Erzählung vom Großen Austausch.

Demonstrativ betont er auf Nachfrage sein gutes Verhältnis zu Höcke: „Dinge, die man falsch auslegen kann, haben wir alle schon gesagt. Ich auch. Höcke ist ein sehr guter Landespolitiker, sehr vernünftig und in keiner Weise rechtsradikal. Ich bin auch nicht bereit, diese Zuschreibungen des Verfassungsschutzes zu akzeptieren.“

Ob er zufrieden sei mit der Entwicklung seiner Partei? Gauland sagt: „Ich bin nicht unzufrieden.“