: Bau des Bösen
Heinz Emigholz stellt in „Schlachthäuser der Moderne“ Architektur aus Südamerika neben das Humboldt Forum in Berlin
Von Ekkehard Knörer
Seit vielen Jahren filmt Heinz Emigholz Architektur rund um die Welt. 35 Arbeiten sind seit 1993 in seiner Serie „Photographie und jenseits“ entstanden. Seriell sind die Filme, weil sie sich den unterschiedlichen Bauten auf nicht sehr unterschiedliche, sofort wiedererkennbare Weise nähern. Die Kamera steht unbewegt, meist draußen, aber wenn möglich, auch drinnen; oft steht sie schräg, der Bau, nicht nur die Fassade, wird aus vielen Winkeln erfasst, mal von ganz nah, mit Blick aufs Detail, dann mittelnah und auch mit einigem Abstand. Die Einstellungen sind nicht sehr lang, das Auge nimmt die Informationen der einzelnen Einstellung auf, aber verweilt nicht bei ihnen.
Es gibt Orginalton, außer nackten Informationen fehlen in aller Regel Erläuterungen und Kommentare: So wird aus vielen Eindrücken ein Bild vom Haus zusammengesetzt. Die Gebäude sind nie aus ihrer Umgebung gelöst, sei es Natur mit Wind in den Bäumen, sei es Stadtlärm, Hupen, Verkehr. Dann geht es zum nächsten Gebäude des Architekten, sei es in dieser oder einer anderen Stadt, in diesem oder einem anderen Land, diesem oder einem anderen Zweck zugedacht, jedenfalls nach derselben Methode gefilmt: So wird aus den Bildern von Bauten ein Werkzusammenhang hergestellt. Zuletzt, für Nummer 34 und 35, war Emigholz in Argentinien und in Bolivien, mitgebracht hat er „Salamone, Pampa“ und „Mamani in El Alto“.
„Schlachthäuser der Moderne“ ist anders gebaut, kinematografische Hybridarchitektur, die aber Stücke aus diesen letzten beiden Architekturfilmen inkorporiert. So gibt es im ersten Teil Bilder von Häusern Francisco Salamones zu sehen, die nach dessen Entwürfen binnen weniger Jahre, von 1936 bis 1940, im Umkreis von 600 Kilometern um Buenos Aires entstanden; ausdrücklich nicht in der Großstadt, ausdrücklich als architektonische Moderne in der Provinz, durchaus in der Nähe zum italienischen Futurismus – und damit auch dem, was im Faschismus aus ihm wurde.
Diese Bauten ähneln einander in ihrer Formensprache, ihrer Monumentalität. Sie sind wuchtig und zugleich vielfach gegliedert, mit Art-Deco-Elementen, die aber gehen ins Große. Baustoff Beton oder Ziegel, jedoch glatt verputzt, gern symmetrisch gebaut, etwas turmartig Ragendes in der Mitte. Es sind Bauten, die, wenn sie nicht einschüchtern, so doch beeindrucken wollen. Ob es nun Nutzbauten oder monumentale Friedhofsportale sind oder, davon hat Salamone besonders viele entworfen, Schlachthöfe.
Faszinierender noch sind die Entwürfe Freddy Mamani Silvestres. Er ist als Architekt Autodidakt und hat binnen zehn Jahren in der bolivianischen Millionenstadt El Alto – bis 1985 war sie noch ein Teil von La Paz – mehr als 60 sehr auffällige Gebäude entworfen. Sie sind bunt, verspielt, formenreich, sie fügen sich nicht ein, sondern wollen Pracht und Schmuck einer erst zu Bedeutung gelangenden Stadt sein. Sie erinnern von Deutschland aus betrachtet am ehesten an Friedensreich Hundertwasser, beziehen sich aber stark auf Formen und Farben der indigenen Aymara-Kultur.
Das interessiert Emigholz hier jedoch nicht. Man erfährt kaum mehr, als dass diese Gebäude der Bauhaus-Tradition spotten. Er instrumentalisiert sie für das Pamphlet, auf das er hinaus will. Im Voiceover-Kommentar hat eine Sprecherin bereits recht grobschlächtig antikapitalistisch schwadroniert. In der nach einer Überschwemmung versunkenen und nun wieder auftauchenden Stadt Epecuén war neben einer Schlachthofruine von Salamone bereits ein Schauspieler, Stefan Kolosko, im Neoprenanzug aus dem Wasser aufgetaucht und hatte Jorge Luis Borges’ „Deutsches Requiem“ über einen KZ-Kommandanten nacherzählt.
Im letzten Teil sind wir dann in Berlin: Emigholz filmt nun das Humboldt-Forum nach Emigholz-Art und ruft den Architekten Arno Brandlhuber als Kraft des Guten gegen das im Stadtschloss-Nachbau – sowie im einstigen Stadtschloss-Bewohner Wilhelm II. – verkörperte Böse. Der steht nun neben Engels und Marx und rezitiert ungelenk Text gegen dieses „Schlachthaus der Moderne“, der aus Ruinen auferstandenen Vergangenheit zugewandt.
Auch Kolosko taucht wieder auf, ohne Neopren, im Humboldt Forum. Als „Vorschlag zur Güte“ plädiert der anders als üblich kommentarfreudige Emigholz für den Abriss der Stadtschloss-Replik und an ihrer Stelle die Errichtung eines Prachtbaus in der Architektur Freddy Mamanis. Das ist als witzige Idee, der die Bedeutung und Rolle Mamanis egal ist, so wohlfeil, wenn nicht töricht, wie die windschiefe Konstruktion des ganzen Films, der sich an der Differenz von Genitivus obiectivus und Genitivus subiectivus seines Titels um Differenzierung herum assoziiert.
Das Problem ist nicht, dass Emigholz nicht in vielem recht hätte: Wer mag schon den Stadtschloss-Irrwitz in der Mitte Berlins? Aber bloße Rechthaberei hilft hier wie sonst nicht so recht weiter.
„Schlachthäuser der Moderne“.Regie: Heinz Emigholz. Mit: Stefan Kolosko, Arno Brandlhuber und anderen. Deutschland 2022, 80 Min. Premiere 14. 1., Akademie der Künste Berlin; ab 19. 1. im Kino
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen