Deutsches Team vor Handball-WM: Geliebte Nische

Vor der WM buhlen die deutschen Handballer nicht um Aufmerksamkeit. Sie stapeln lieber tief. Doch wie groß ist ihr wahres Leistungsvermögen?

Juri Knorr jubelt

Juri Knorr zählt mit seinen 22 Jahren schon zu den wichtigsten deutschen Spielern Foto: Axel Heimken/dpa

Sie bringen vieles mit, um die Lieblinge der Nation zu werden. Sie sind nahbar, handfest, unverstellt. Die Tätowierungsdichte hält sich in Grenzen. Manche fahren sogar E-Fahrzeuge. Sie gehen ans Telefon, wenn man sie anruft, und rufen zu vereinbarten Terminen zurück. Sie lassen Berater für sich arbeiten, die das beste für sie herausholen sollen. Aber die Summen, die fließen, sind verglichen mit der körperlichen Beanspruchung lächerlich. Sie haben auch Frauen, die bei den großen Turnieren in ihren Trikots auf den Tribünen sitzen, aber niemand käme auf die Idee, sie als „Spielerfrauen“ zu bezeichnen.

Ja, die Handball-Nationalmannschaft wäre in der Lage, den Hunger nach einem vorzeigbaren und authentischen Nationalteam zu stillen, sollte es diesen Appetit hierzulande überhaupt noch geben. Doch der Weg zu den Lieblingen der Nation führt über sportliche Erfolge. Und da war es die vergangenen sechs Jahre dünn. Der letzte Titel datiert von 2016, damals holte die Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB) in Krakau die Europameisterschaft.

Und selbst wenn es bei der nun startenden Weltmeisterschaft in Polen und Schweden überraschend zum großen Wurf reichen sollte, bliebe die Frage: Wollen die Handballer überhaupt mehr Popularität? Sie selbst fühlen sich in ihrer kommod ausgekleideten Nische nämlich ganz wohl, dort, wo man noch ein ganz normaler Mensch sein kann, und kein Kunstprodukt in den Socials. Und so wurde die Diskussion um die Lücke, in die der Handball in Abwesenheit des Fußball stoßen müsse, vor allem und allein von Bob Hanning geführt. Der aber hat kein Amt im DHB mehr inne und sprach gewissermaßen als Privatperson.

Der Deutsche Handballbund (DHB) hingegen hält sich mit kritischen Seitenhieben in Richtung DFB schon allein deswegen zurück, weil es im Jahr 2024 eine Fußball- und eine Handball-EM in Deutschland geben wird und die beiden Verbände an vielen Stellen Doppelpass spielen.

Zurückhaltende Zielsetzung

Zur Einstellung der deutschen Ballwerfer gehört vor dieser Weltmesse, glaubwürdig tiefzustapeln. Sogar der sonst so mutige Torwart Andreas Wolff hat diesmal nicht von Gold gesprochen, sondern vom nächsten Gegner, der der schwerste sei: „Wir haben bei den vergangenen Turnieren zu oft darüber nachgedacht, mit welchen Ergebnissen wir später auf welche Teams treffen und sind dann ausgeschieden. Wir haben bei dieser WM schon in der Vorrunde starke Gegner, die uns alle wehtun können. Wir wollen ein Turnier mit Biss, Konzen­tration, Leidenschaft und Härte im fairen Rahmen spielen. Wenn uns das gelingt, können wir erhobenen Hauptes in den Februar gehen.“ Bei der letzten WM 2021 in Ägypten waren die Deutschen Zwölfter geworden, zwei Jahre davor beim Heimturnier Vierter. Diesmal ist das Erreichen des Viertelfinales das Ziel.

Andreas Wolff, Torwart

„Wir wollen ein Turnier mit Biss, Konzentration, Leidenschaft und Härte im fairen Rahmen spielen“

Dabei spielen die Elitehandballer am Freitag, Sonntag und Dienstag in Kattowitz gegen Katar, Serbien und Algerien (jeweils 18 Uhr). In der Hauptrunde dürften Norwegen, Nordmazedonien und Argentinien die Gegner sein. Ohne Frage befindet sich der DHB im angenehmeren Teil des Turnierbaums und geht den Favoriten aus Schweden und Dänemark, Spanien und Frankreich lange aus dem Weg.

Doch wie immer in den vergangenen Jahren steht ein Fragezeichen hinter dem wahren Leistungsvermögen des Teams von Bundestrainer Alfred Gislason, seit April 2020 im Amt. In den Tests gegen Island am Wochenende (30:31, 33:31) sah vieles gut aus, was die Stammsieben zeigte. Doch wenn gewechselt werden musste, wurde es dünn. Gislason betont, dass er die 18 besten und formstärksten Spieler nominiert habe, verschweigt aber nicht, wie sehr es ihn ärgert, dass immer wieder wichtige Bundesligaprofis auf ein Engagement in der Nationalmannschaft verzichten. Diesmal hat sich der Berliner Fabian Wiede entschieden, auszusetzen. Er lässt sich in der Liga-Pause die Weisheitszähne ziehen. Das nervt Gislason, denn gerade den Linkshänder Wiede hatte er fest eingeplant. „In anderen Ländern gibt es das nicht, dass Nationalspieler pausieren oder so früh aufhören wie in Deutschland“, sagt Gislason.

Inzwischen hat er das frustrierende Thema zu den Akten gelegt. Seine Mannschaft gehöre gewiss nicht zu den Favoriten, sagt der 62 Jahre alte Isländer, könne aber für eine Überraschung sorgen. Die Kernspieler Wolff im Tor, Johannes Golla in der Abwehr und Juri Knorr (22) als Spielmacher tragen große Verantwortung. Funktioniert diese Achse, ist den Deutschen einiges zuzutrauen.

Und sollte Deutschland aussichtsreich in die Hauptrunde kommen, sind auch wieder hohe Einschaltzahlen bei ARD und ZDF garantiert. Denn die Ballwerfer haben jedes Jahr im Januar ein treues Publikum, das die Spannung des Spiels liebt – oder kaum aushält. Wie gesagt, sie bringen vieles mit, um die Lieblinge der Nation zu werden. Vielleicht liefern sie diesmal auch die passenden Ergebnisse.

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