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Leiden. Jucken. Dostojewski

Wie Thomas Mann auf Twitter einen durch dieses Jahr brachte

Wird Thomas Mann dabei nicht vorgeführt? Doch, auf irgendeine Art schon. Aber er hält es aus, und alles in allem steht er sogar ganz gut da in all seinen Neurosen und Empfindlichkeiten, zeitgemäß irgendwie. Auf seine eigene Weise einer von uns. Jedenfalls gab es, bevor Elon Musk auf und in der Plattform herumtrampelte, zwei Twitter-Accounts, die einen durch dieses verdammte Jahr bringen konnten. Auf dem einen erschien immer mittwochs immer derselbe Tweet, auf dem Käpt’n Haddock sagt: „What a week, huh?“, und Tim antwortet: „Captain, it’s Wednesday.“ Das war jedes Mal überraschend, weil man es immer wieder vergessen hatte, dass dieser Tweet kommen würde. Und wenn er kam, freute man sich.

Auf dem zweiten Account twittert irgendjemand (keine Ahnung, wer) täglich einen Satz aus den Tagebüchern Thomas Manns. Die Sätze sind in ihrer Nahbarkeit oft schräg, manchmal auch lustig und zwischendurch auch rührend. „Wie oft in letzter Zeit bis gegen 9 Uhr im Bette geblieben und erst um 10 zu arbeiten begonnen, was nicht gerade von Furor zeugt“ (19. 12. 1934). Oder: „Geschlechtliche Ausschweifung, die aber […] sich geistig eher als zuträglich erwies“ (25. 11. 1919). Oder: „Leiden. Rektal-Jucken. Dostojewski“ (2.9.1952). Oder: „Stand versehentlich um 7 statt um 8 auf. Unbehaglich“ (3. 4. 1954). An manchen Tagen lässt einen das schmunzeln, an anderen erhellt es auch für einen schönen Augenblick das eigene begrenzte Dasein.

Die Tagebücher selbst sind natürlich nichts Neues, im Fischer-Verlag gibt es seit Langem eine sorgfältige Ausgabe, Hanns Zischler hat vor Jahren auch eine Auswahl als Hörbuch eingelesen. Neu ist, dass Mann sich prima einordnete in die vielen Befindlichkeitstweets. Schade, dass Twitter jetzt kaputt ist.

Dirk Knipphals

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