Bundesweite Razzia gegen „Letzte Generation“

Elf Hausdurchsuchungen soll es gegeben haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung. Doch diese rechtliche Einschätzung ist umstritten

Aktion der „Letzten Generation“ in München: Die Ak­ti­vis­t:in­nen stünden mit Name und Gesicht zu ihren Handlungen, so die Gruppe Foto: Fo­to:­ Lennart Preiss/dpa

Von Erik Peter
und Timm Kühn

Die Staatsanwaltschaft Neuruppin ermittelt gegen die Klimaschutzgruppe Letzte Generation nach Paragraf 129 wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung. Am Dienstag wurden bundesweit Wohnungen von elf Personen durchsucht und dabei Laptops, Handys sowie Plakate konfisziert.

„Wir haben heute Morgen ab 6 Uhr verteilt über die gesamte Bundesrepublik Durchsuchungsbeschlüsse des Amtsgericht Neuruppin gegen Mitglieder der Letzten Generation vollstreckt“, bestätigte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Neuruppin der taz. Ermittelt würde auch nach Paragraf 316b wegen Störung öffentlicher Betriebe. Im Frühjahr hatten Ak­ti­vis­t:in­nen aus Protest gegen fossile Infrastruktur wiederholt Pipelines der PCK-Raffinerie in Schwedt zugedreht. Diese Aktionsform gehört jedoch nicht mehr zum Repertoire der Gruppe.

Nach Angabe der Letzten Generation richtete sich die Razzia gegen elf Personen in Leipzig, München sowie weiteren bayerischen Städten. Betroffen war auch Carla Hinrichs, eine der Sprecherinnen der Gruppe. Sie bezeichnete den Einsatz auf Twitter als „beängstigend“, schrieb aber auch: „Aber denkt ihr ernsthaft, dass wir jetzt aufhören werden?“

In einer Mitteilung kritisierte die Gruppe die Ermittlungen wegen Paragraf 129 scharf. „Während der Staat durch fehlenden Klimaschutz unser Grundgesetz missachtet, durchsucht die Polizei die Wohnungen jener, die alles friedlich Mögliche versuchen, dies offen zu legen“, heißt es da. Wenn friedlicher Widerstand kriminalisiert würde, bedrohe das „die demokratischen Grundfesten“ der Republik. Lilly Schubert, Sprecherin der Letzten Generation, sagte der taz: „Wir gehen ganz klar davon aus, dass wir eingeschüchtert werden sollen.“ Auf Unverständnis stoßen die Maßnahmen insbesondere deshalb, weil alle Personen, bei denen Durchsuchungen stattfanden, „mit ihrem Namen und ihrem Gesicht zu ihren Taten“ stünden, so Schubert.

„Wir gehen davon aus, dass wir eingeschüchtert werden sollen“

Lilly Schubert, Sprecherin der Gruppe

Juristisch ist umstritten, ob die Gruppe dem Straftatbestand einer kriminellen Vereinigung überhaupt entsprechen kann. Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hatte diese Frage Ende November verneint. Diese Einschätzung sei „bislang unverändert“, sagte Oberstaatsanwalt Sebastian Büchner auf taz-Anfrage. Man überprüfe die eigenen Auffassungen aber fortlaufend. Laut Büchner müssten für eine Einstufung als kriminelle Organisation die strafrechtlich relevanten Aktionen der Gruppe eine gewisse Erheblichkeit überschreiten – bisher sei das in Berlin nicht auszumachen. Vorgeworfen wird den Ak­ti­vis­t:in­nen in Berlin und München zumeist Nötigung und Widerstand – in beiden Vorwürfen kann von einer besonderen Erheblichkeit kaum die Rede sein.

Möglicherweise hat deshalb auch nicht Bayern die Federführung bei der Strafverfolgung übernommen – obwohl die CSU-geführte bayerische Regierung stets am rabiatesten gegen die Ak­ti­vis­t:in­nen vorgegangen ist – etwa durch die Verhängung eines 30-tägigen Präventivgewahrsams. Denn mit der Störung öffentlicher Betriebe wie in der Raffinerie in Schwedt liegt ein nicht unerheblicher Vorwurf vor. Äußern wollte sich das zuständige Justizministerium in Brandenburg auf taz-Nachfrage nicht. Die Staatsanwaltschaft Neuruppin verwies lediglich darauf, dass es sich bei den Ermittlungen nach Paragraf 129 um einen Anfangsverdacht handele. Auf die Frage, woraus sich dieser speise, verwies der Sprecher auf die straffe Organisation und Rollenverteilung in der Gruppe.

Die Innenminister von Bund und Ländern hatten Anfang Dezember beschlossen, ein Lagebild über die Gruppe erstellen zu lassen. Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) hatte sich dabei für Ermittlungen wegen des Verdachts der Gründung einer kriminellen Vereinigung ausgesprochen. „Aus meiner Sicht spricht vieles dafür“, sagte Stübgen: „Sie sind organisiert, haben entsprechende Trainingsplätze und verabreden sich zu kriminellen Aktionen.“ Zuvor hatte sich Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang gegen eine solche Einstufung ausgesprochen. „Das Begehen von Straftaten macht diese Gruppierung jetzt nicht extremistisch“, sagte er. Von einer „Klima-RAF“ zu sprechen, wie dies etwa CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt getan hatte, sei „Nonsens“.