countdown lützerath
: Fertigzigaretten rauchen nur Zivilbullen

Der Energiekonzern RWE will den Weiler Lützerath abreißen, um seinen Braunkohleabbau auszuweiten. Die Besetzer wehren sich. Die Räumung soll im Januar stattinden. Ein Tagebuch

Seit fünf Tagen lebe ich mit Ak­ti­vis­t:in­nen in einem besetzten Haus auf einem Bauernhof im Dorf Lützerath und die Morgen beginnen immer gleich. Der kaffeespendende Campingkocher neben der Matratze rauscht, die beschrifteten Wände sagen „Keine Kohle für Kohle“; der Blick aus dem Fenster zeigt den RWE-Bagger draußen, der sich durch eine Tagebauschlucht immer näher schaufelt. Wieder liegen mehr Isomatten auf dem Boden als in der Nacht zuvor.

Ich sehe auf meine Camel-Zigaretten, die mitten im Raum herumliegen. Anfangs führten die zu Irritationen, da hier die unterschiedlichsten Menschen leben: Anarchos, Punks, Alte, Junge, Ak­ti­vis­t:in­nen aus allen möglichen Klimabewegungen, die sich hier alle mit „Mensch“ ansprechen und bei der Begrüßung nach den jeweiligen Pronomen fragen – aber so gut wie keiner außer mir raucht Fertigzigaretten. „Damit siehst du halt aus wie’n Zivilbulle“, sagte man mir beim ersten Plenum.

„Wer bleibt?“, fragte ein Typ mit ausgefranster Daunenjacke. Er meinte damit die Räumung, die die Polizei von Nordrhein-Westfalen rein theoretisch ab dem 10. 1. vornehmen könnte. Ab dem 2. 1. dürfen schon keine Autos mehr nach Lützerath einfahren. Die Menschen im Plenum tragen Decknamen wie Luchs, Schnecke und Sonne – um unerkannt „in Aktion“ zu gehen. Aber die Frage, wer an dem Tag, an dem Po­li­zis­t:in­nen beginnen würden dieses Haus zu stürmen, wurde erst einmal vertagt.

Es ging darum, Aufgaben zu übernehmen, Barrikaden zu bauen, Klettern zu lernen, die Straße aufzureißen und jedes Wohnhaus und Baumhaus für den Ernstfall vorzubereiten und wie jeden Tag Essen zu kochen. Ich ließ mich für den Dienst in der Küfa, der Küche für alle, einteilen. Mein Urgroßonkel hatte bei den Partisanen in Italien schließlich auch immer abseits der Aktionen für alle gekocht.

Bei der Silvesterparty in einer alten Skatehalle des Dorfes rauchte ich dann mit den anderen meine Fertigzigaretten. Es ist unmöglich, nicht über die Räumung zu sprechen. Viele leben hier schon seit zweieinhalb Jahren. Für manche ist das ein Grund, zu bleiben, für manche einer, zu gehen. Andere würden mit einer Strafe ihre bürgerliche Existenz gefährden und wieder andere haben schon zu viel ­gegen RWE gekämpft, um „normal“ bestraft zu werden. So wie die Person, die mir am ersten Tag mein Zimmer gezeigt hat und der eine fünfstellige Geldstrafe im Falle einer Verhaftung droht. „Ich habe das Gefühl, die meisten interessieren sich hier vor allem für dieses aufregende Leben als für die Klimakrise“, sagte sie. Sie musste wegen der Räumung eine Unterlassungserklärung unterschreiben, die auch besagte, dass sie niemanden zum Protest anstacheln würde. Den zweiten Punkt hatte sie durchgestrichen und das Formular unterschrieben an RWE zurückgeschickt.

Es ist noch früh am Morgen. Draußen baggert der Bagger, und gleich beginnt das To-do-Plenum. Aron Boks